Donnerstag, 31. Januar 2013

Ostfriesische Partei »Die Friesen«!

Auf Deiner Homepage findet sich folgende Positionsbestimmung: »Wir treten dafür ein, daß sich die friesischen Werte im heutigen gesellschaftlichen und politischen Handeln stärker wiederfinden: persönliche Freiheit; gedankliche Unabhängigkeit; Verantwortung des einzelnen für die Gemeinschaft und umgekehrt« – das ist aber ein Witz, oder?

So oder so amüsiert:

Titanic

Erschienen in Titanic Magazin 01/2013

Kapitalismus - sonst nichts?

Vom Märchen der Wohlstandsmaschine zu Kriterien der Emanzipation

Immer weniger Deutsche nehmen Artikel zur Eurokrise noch mit Interesse wahr. Das ergibt eine Untersuchung des Instituts Allensbach. Danach bricht die Lektüre bei Artikeln, die die Signalwörter ESM, ESFM oder Stahlpakt enthalten, oft schon nach 37 Wörtern ab. Danach kann man praktisch jeden Quatsch schreiben, remmbremmer-deng, weil ja ohnehin nur mehr der Mann im Mond zuhört. Schreibt das Titanic-Magazin, während der kapitalistische Globalskandal ungebremst weiterprozessiert und nach Schätzungen der Internationalen Arbeitsorganisation ILO "kommendes Jahr sieben Millionen Jobs vernichten" wird, womit die Community der Joblosen weltweit dann bei geschätzten 209 Millionen liegen dürfte.

Dazu darf man getrost die 900 Millionen Menschen rechnen, die mit weniger als zwei Dollar am Tag auskommen müssen, obwohl sie nicht als arbeitslos gelten, womit wir dann bei etwa 1,1 Milliarden Menschen ohne wohlstandswirksame Arbeit wären.

"In der Wissenschaft, in der wirklichen Welt: Nach langem "trial and error" hat sich der Kapitalismus durchgesetzt", kommentiert Olaf Gersemann in der Welt unter dem Titel "Kapitalismus - was sonst?" und freut sich darüber, dass das warenproduzierende System sich als "beste aller Wohlstandsmaschinen" erwiesen habe.

ILO-Generaldirektor Somavia hingegen kommt zu dem Schluss, dass "jeder dritte Arbeitnehmer auf der Welt arbeitslos ist oder trotz Arbeit in Armut lebt." Oder wie es das Handelsblatt in herzerwärmendem Businessjargon formuliert: "Die globale Beschäftigungssituation bleibt sehr angespannt."

Angespannt dürfte auch sein, wer solcherart Euphemismen aufgetischt bekommt angesichts der Tatsache, dass die Weltmarktsklaven ja die restliche Weltbevölkerung auch noch mitversorgen müssen, was sich dann zu der Horrorzahl von insgesamt 3,14 Milliarden absolut armen Menschen summiert, die jeweils von ca. 2 Euro am Tag leben müssen. Das entspricht einem Anteil von 48% der Weltbevölkerung.

"Am Elend wird der Kapitalismus nicht zugrunde gehen, aber vielleicht am Reichtum. Die Not der Massen hat er gelindert", konstatiert Wolfgang Uchatius in der Zeit kontrafaktisch und belegt seine national bornierte Sichtweise folgerichtig so: "Der Durchschnittsdeutsche von heute besitzt: Fernseher, Bücher, Möbel, Digitalkamera, Elektroherd, Waschmaschine, Mobiltelefon, Auto, Computer. Insgesamt: 10.000 Gegenstände. Die Maschine war ziemlich erfolgreich."

Wer sich nicht vorstellen kann, ohne 10.000 Gegenstände, dafür aber mit 8 Euro am Tag auskommen zu müssen, darf sich darüber freuen, dass er nicht zu den 5,15 Milliarden Menschen zählt, die genau das müssen. 80% der Weltbevölkerung in Armut, also mit einem Tageseinkommen (in Kaufkraft) von unter 8 Euro: Das und nichts anderes ist das Ergebnis der "Erfolgsgeschichte Kapitalismus".

Der "Durchschnittsdeutsche" bekommt davon freilich nichts mit, die Bevölkerung hierzulande sei "von der Leistungsfähigkeit und Effizienz unseres Wirtschaftssystems weit mehr überzeugt als noch vor wenigen Jahren. Die wirtschaftliche Entwicklung der letzten Jahre hat vielen das Vertrauen in die Erfolgsträchtigkeit der Marktwirtschaft zurückgegeben", fasst das Allensbach-Institut die Ergebnisse einer Umfrage zum Thema zusammen.

Während die mit den 10.000 Gegenständen auf die nächsten "Adjustierungen" (Gersemann) des Systems warten, weiß die Financial Times Deutschland davon zu berichten, dass die 151 so genannten Schwellenländer, auf denen die größten Hoffnungen auf eine neue Runde der Kapitalakkumulation ruhen, "bezogen auf Wachstum, Inflation, Investitionen, Staatsfinanzen und Leistungsbilanz" hohen Erwartungen nicht gerecht werden. Hinsichtlich einer zu erwartenden Wachstumsrate von drei Prozent, einer Inflation von höchstens 5 Prozent, einer Investitionsquote von mindestens 25%, einer Staatsverschuldung von weniger als 50% und einem Leistungsbilanzdefizit von weniger als 2% ließe sich laut FTD-Test nur ein einziges Schwellenland benennen, das als in jeder Hinsicht solide zu qualifizieren wäre: Lettland.

In diesem Musterland der nachholenden Kapitalisierung sorgte Anfang 2011 eine Serie von Raubüberfällen für Aufsehen. Die Täter waren zum Teil Polizisten, was in der Lettischen Presseschau, einem deutsch-lettischen Nachrichtenprojekt, dahingehend beurteilt wurde, dass unter anderem die Monatslöhne der Polizeibeamten von "281 bis 421 Euro" schlicht nicht ausreichen: "Mit solchen Summen lässt sich auch in Lettland eine Familie nur schwer über die Runden bringen. Zwar sind die Wohnkosten in Riga noch weitaus geringer als in Köln oder München, doch die Preise für Lebensmittel, Kleidung und sonstige Alltagsware haben längst westliches Niveau erreicht. Ein Teil der Bediensteten jobbt daher in der Freizeit. Polizisten arbeiten als Wachleute, in privaten Sicherheitsdiensten, manchmal arbeiten sie rund um die Uhr."
Die Geschichte vom Wohlstand bringenden Kapitalismus bleibt, was sie immer war: ein Märchen

Seit geraumer Zeit wird in den liberalen Mainstreammedien versucht, sich eine Alternative zur Marktwirtschaft vorzustellen, was naturgemäß solange nicht gelingen kann, wie die positivistische, mechanistische Betrachtungsweise gesellschaftlicher Prozesse aufrechterhalten wird.

Das Wesen der inneren Logik der Kapitalverwertung muss unsichtbar bleiben, solange nicht zur Kenntnis genommen wird, dass es sich dabei im Kern um ein gesellschaftliches Fetischverhältnis handelt, das einem einzigen Zweck dient: Aus Geld mehr Geld zu machen.

Die Produktion stofflichen Reichtums in der Gestalt nützlicher Dinge ist unter diesen Bedingungen also immer nur notwendige Begleiterscheinung der Produktion abstrakten Reichtums, wie er sich im Geld ausdrückt. Wo diese misslingt, kommt auch jene ins Stocken, und die produzierten Dinge stellen bloß nutzloses Material dar, das seinen Zweck nicht erfüllt hat. (Trenkle/ Lohoff)

Spätestens seit FAZ-Herausgeber Schirrmacher in einem an Enttäuschungspathos und Larmoyanz kaum zu überbietenden Räsonnement über die Tauglichkeit liberaler Gesellschaftstheorie und -praxis zu der Einsicht kam, "das große Versprechen an individuellen Lebensmöglichkeiten" habe sich "in sein Gegenteil verkehrt", hat der bürgerliche Mainstream die Systemkritik für sich entdeckt. Selbstverständlich wird hegemonial betont, es könne nur darum gehen, wie man die Marktwirtschaft "bändigt", ihre Funktionsweise wieder herstellt usw.

So gesehen ist die von Gersemann in der Welt aufgeworfenen Frage nach einer grundlegenden Alternative schon ein Fortschritt, auch wenn er sie direkt selbst beantwortet, indem er klarstellt, Sozialismus könne auf keinen Fall eine solche sein, dieser sei für "die Bürger" schließlich "klar als die schlechtere erkennbar".

So stehen sie also vor einem Rätsel. Denn: "Der Kapitalismus kann so nicht bleiben", wie die Zeit klug erkennt, andererseits ist er kaum reformierbar, wie die Empirie mittlerweile so unübersehbar zeigt, dass selbst FAZ, Welt und Zeit es nicht mehr hinwegjubeln können.

Dabei ist die Sache so kompliziert eigentlich gar nicht.

Dass eine Wirtschaftsweise zuallererst so funktionieren sollte, dass sie die materiellen Bedürfnisse Aller einigermaßen gleichmäßig befriedigt, möglichst alle Menschen am Arbeitsprozess beteiligt und der auf die Produktion der Güter zu verwendende Zeitaufwand für den Einzelnen dabei möglichst gering sein sollte, könnte sich auch ein bürgerlicher Journalist selbst zusammenreimen. Und dass die kapitalistische Ökonomie genau das Gegenteil evoziert und jene eigentliche Aufgabe nicht einmal im Programm hat, zeigt, dass es sich hier im Grunde gar nicht um eine "Wirtschaftsweise", sondern um die ins Werk Setzung eines verrückten Selbstzwecks handelt: Trotz ausreichend Produktionsmöglichkeiten zur weltweiten Versorgung der Bevölkerung herrschen Massenarbeitslosigkeit, Massenarmut einerseits und ein idiotischer, krank machender Konkurrenzkampf andererseits.

Auch ohne ein Wort Marx gelesen zu haben, dürfte einleuchten, dass es auf Dauer nicht zu einer vernünftigen Verteilung von produzierten Gütern kommen kann, wenn das zentrale Prinzip der dafür zuständigen ökonomischen Systematik darin besteht, Geld in Güter und dann wieder Güter in Geld zu tauschen, mit dem Ziel, aus einer bestimmten Menge Geld eine größere Menge Geld zu machen.

Es wäre wohl einer Grundschulklasse einsichtig, dass ein solches Vorgehen letztlich dazu führen muss, dass sich Reichtum konzentriert und eben das eigentliche Ziel von vornherein nur verfehlt werden kann.
Wie das besser gemacht werden könnte, liegt auf der Hand

Es müssten alle Menschen am Produktions- bzw. Leistungsprozess beteiligt werden und die Güter und (Dienst-)Leistungen so verteilt werden, dass alle Menschen genug zu essen, ein Dach über dem Kopf , Zugang zu Kultur und Bildung und genug Zeit haben, das zu tun, wonach ihnen der Sinn steht.

Das ist hinsichtlich Produktivität, Logistik und weltweiter Vernetzung längst machbar.

Laut der UN Organisation für Ernährung und Landwirtschaft FAO ist es beim heutigen Stand der Technik möglich, jeden Erdenbewohner mit 2700 Kalorien täglich zu versorgen und wie aus einer Studie aus dem Jahre 2010 (publiziert in "Proceedings oft the Royal Society B") hervorgeht, gehe es dabei "nicht nur darum, die Menschen satt zu machen, sondern sie auch gesünder und umweltschonender zu ernähren." (C. Godfray, zit. n. Zeit online)

Jährlich werden ca. 5 Milliarden Jeanshosen, 65 Millionen Autos und 250 Millionen Fernseher produziert.

Da Produktionskapazitäten unter Marktbedingungen fast nie ausgelastet sind, ist davon auszugehen, dass die mögliche Produktion dieser und aller anderer Produkte deutlich höher liegt.

In etwas mehr als einem Jahr hätte man also die gesamte Weltbevölkerung mit einer zusätzlichen Jeanshose versorgt, bei allen anderen Textilien sieht es ähnlich aus. Geht man davon aus, dass in einem Haushalt 3 Personen leben, könnte bei ca. 1 Milliarde Autos, die derzeit auf der Erde fahren, bereits jetzt jeder zweite Haushalt eines besitzen, bei einer Produktionskapazität von mindestens 70 Millionen Autos jährlich, könnten in 10 Jahren alle Haushalte der Welt mit einem Auto ausgerüstet sein. Mit Fernsehern wären alle in etwa 5 Jahren versorgt.

Nahrung, Kleidung, Mobilität und Zugang zu Informationen für alle: Möglich und machbar.

Wenn man weiterhin berücksichtigt, welche enormen Ressourcen allein in der Verwaltung des sinnlosen Selbstzwecks, also etwa in Banken, Versicherungskonzernen, staatlichen Verwaltungsbehörden, sowie in bedürfnisfremden Segmenten wie der Rüstungsindustrie gebunden sind, drängt sich die Erkenntnis auf: Produktion für alle bei niedrigen Arbeitszeiten für alle ist längst keine Utopie mehr.

Dafür muss man sich aber von der Vorstellung verabschieden, dass es ein blindes System geben muss, dass sich "hinter dem Rücken der Akteure" (Marx) vollzieht und gleich einer "unsichtbaren Hand" (Smith) irgendwie alles regelt.

"[Es] wäre doch in seiner (des Individuums, Anm. d. A.) bündigen Negation, der Abschaffung der Monade durch Solidarität, zugleich die Rettung des Einzelwesens angelegt, das gerade in seiner Beziehung aufs Allgemeine erst ein Besonderes würde", schildert Adorno in der Minima Moralia die Überwindung des Fetischverhältnisses. Im Klartext: Nur in der Solidarität, also im direkten, empa-thischen Bezug auf andere Individuen "wird" der einzelne Mensch "ein Besonderes" und negiert damit sein Gefangensein in Fetischverhältnissen.

Unter den Bedingungen kapitalistischer Vergesellschaftung müssen Gemeinsinn, Kooperation, Solidarität und Empathie aber in einem "privaten" Bereich in einer so genannten, sprachlich schon verräterischen "Freizeit" entsorgt und so zur nutzlosen, dem Fortkommen des angeblichen Wohlstands hinderlichen und daher gewissermaßen lächerlichen Randerscheinung werden.

Zwar werden solche Qualitäten im Arbeitsprozess durchaus gebraucht und vernutzt, sie dienen aber darin allein der Beschaffung von abstraktem Reichtum und stehen mithin voll und ganz im Dienste des Fetischverhältnisses. Von ihrem emanzipativen Charakter bleibt dabei nichts übrig.

Mitten unter den standardisierten und verwalteten Menscheneinheiten west das Individuum fort. Es steht sogar unter Schutz und gewinnt Monopolwert. Aber es ist in Wahrheit bloß noch die Funktion seiner eigenen Einzigkeit, ein Ausstellungsstück wie die Mißgeburten, welche einstmals von Kindern bestaunt und belacht wurden. (a.a.O.)

Das ins "Private" ausgegrenzte existiert nur noch als Hobby im für die Reproduktion irrelevanten Spaßsegment, das von der Kulturindustrie unterhalten wird oder als funktioneller Bestandteil des so genannten Humankapitals: "Da es keine selbständige ökonomische Existenz mehr führt, gerät sein Charakter in Widerspruch mit seiner objektiven gesellschaftlichen Rolle." (a.a.O.)

Um das Kapitalverhältnis zu überwinden, muss nicht eine ökonomische Alternative ausgearbeitet werden, sondern das Solidarische, das, wenn man so will Menschliche zum Prinzip der Organisation der Reproduktionstätigkeit gemacht werden.

Anders gesagt: Nicht eine Wirtschaftsweise muss überwunden werden, weil, wie gesehen, der Kapitalismus im Grunde gar keine Wirtschaftsweise ist, sondern das Fetischverhältnis, das sich über die Produktion von abstraktem Reichtum, dargestellt im Geldmedium realisiert.

Welt-Journalist Gersemann kann sich das nicht vorstellen, zeigt stattdessen autoritären Charakter und ruft nach dem Erlöser, den es schlechterdings nicht geben kann: "Kapitalismuskritiker gibt es viele - doch wo ist der Intellektuelle, dem zuzutrauen wäre, eine kohärente nicht kapitalistische Wirtschaftsordnung zumindest im Modell zu entwerfen?"

So also stellt man sich gesellschaftliche Umbrüche in Springer-Büros vor: Ein intellektueller Tausendsassa muss kommen, ein Modell entwerfen, am besten mit schöner Powerpoint-Präsentation und Mindmap am Flipchart.

Menschen, die gerade unter dem Diktat der kapitalistischen "Selbstverantwortung" jeder Selbstbestimmung über das eigene Leben beraubt und eigentlich selber nichts mehr sind, fragen

unvermeidlich nach einem "Rezept", wenn sie sich der Ausweglosigkeit ihrer Daseinsweise überführt sehen. Damit beweisen sie nur, daß sie selbst die Überwindung des Kapitalismus noch in

kapitalistische Kategorien einbannen wollen. Denn ein "Rezept" setzt bereits voraus, daß die anzustrebende Selbstbestimmung nach vorgefertigten Mustern einer äußerlichen Instanz abzulaufen hat, also sich selber dementiert. Was sich angeben läßt, sind nicht "Rezepte" nach einem sozialen Baukastensystem (das wäre nichts als Sozialtechnologie, die ihren Ort nur im Kapitalismus haben

kann), sondern vielmehr Kriterien der Emanzipation.

Die "böse Horizontale" fängt nicht mit dem

Abspulen eines vorgedachten Programms an, sondern mit der sozialen Rebellion gegen die unverschämten Zumutungen von "Marktwirtschaft und Demokratie". (R. Kurz)

Die Emanzipation von den "Zumutungen" kann, dafür braucht es nicht einmal dialektisches Verständnis, weil es eine pure Tautologie ist, nur emanzipatorisch sein.

Innerhalb des Abhängigkeitsverhältnisses vom Kapital wird das nicht vonstatten gehen können.

Genauso untauglich wie "eine Diktatur des Proletariats", ein "Marsch durch die Institutionen" oder das haarsträubende Vorhaben der RAF, durch Ermordung einzelner Funktionsträger und Anschläge auf symbolträchtige Einrichtungen einen Bewusstseinseffekt beim kapitalistisch deformierten Spießbürger zu erzielen, sind folkloristische Vorstellungen von Subsistenzwirtschaften oder Schenkökonomien.

Es müsste stattdessen die Negation des Finanzierbarkeitsvorbehalts in den Mittelpunkt von Protestaktionen und emanzipatorischen Bewegungen rücken. Wo immer Ressourcen nicht genutzt werden, stofflicher Reichtum nicht dahin gelangt, wo er benötigt wird oder Produktion stattfindet, die Ressourcen bindet ohne an der konkreten Bedürfnisstruktur der Menschen ausgerichtet zu sein, müsste eine antikapitalistische Bewegung aktiv werden.

Ob Wohnungen gebaut, Krankenhäuser betrieben, Nahrungsmittel produziert oder Bahnlinien unterhalten werden, darf nicht davon abhängen, ob die nötige 'Kaufkraft' vorhanden ist. Kriterium dafür kann einzig und allein die Befriedigung konkreter Bedürfnisse sein. (…) Wenn Ressourcen stillgelegt werden sollen, weil 'das Geld fehlt', müssen diese eben angeeignet und in bewusster Frontalstellung gegen die fetischistische Logik der modernen Warenproduktion transformiert und betrieben werden. (Lohoff/Trenkle)

Basisdemokratische Grundstrukturen wären konstitutiv, vorstellbar wären Räte- oder Delegiertenkongresse, an welche übergreifende Entscheidungen abgegeben werden können. Dies kann aber im Vorhinein nicht als Masterplan ausgearbeitet werden.

Das Wie der Organisation von Menschen, die über die sie betreffenden existenziellen Fragen bewusst, solidarisch und kooperativ entscheiden, wird sich nur in genau dem gleichen Aushandlungsprozess vollziehen können, der auch für die Bereiche der Partizipation, arbeitsteilige Produktion und Verteilung konstitutiv sein müsste. Der konkrete Verlauf eines solchen radikalen, emanzipatorischen Prozesses ist unmöglich absehbar und daher auch nicht modellhaft zu planen.

Eine modellhafte, mechanistische Vorstellung gesellschaftlicher Prozesse, die dem Wesen der Kapitalverwertung entspricht und die der kapitalistische Mensch verinnerlicht hat, wird dann auch das größte Hindernis sein bei der Formierung einer relevanten Bewegung.

Wo immer mehr produziert wird oder werden kann, dafür aber immer weniger menschliche Arbeit gebraucht wird, verlieren die Produkte unweigerlich an Wert. Die Maschinen können die von ihnen hergestellten Produkte nicht kaufen, für sie sind diese "wertlos". Massenhaft Güter für Menschen zu produzieren, die nur 8 Euro am Tag ausgeben können, entzieht den Unternehmen andererseits die Profit-Möglichkeiten, Lohnerhöhungen hingegen werden von der Konkurrenzsituation auf dem Markt sofort gnadenlos bestraft.

Wo aber keine Rendite zu erwarten ist, wird nicht investiert. Mit einem Wort: Die wertbasierte Produktionsweise wird nicht aufrechtzuerhalten sein. Nur durch Monopolisierung und das Auftürmen von Schuldenbergen kann wirtschaftliche Aktivität heute noch in Gang gesetzt werden.

"Wenn diese Bombe eines Tages hochgeht und derzeit sehe ich weit und breit keinen Staatsmann/Staatsfrau von Format, der in die richtige Richtung schreitet, dann können Sie Ihre Sicht-, Termin- und Spareinlagen, welche die Deutschen noch immer mehrheitlich halten, abschreiben. Wenn das zusammenbricht, wird noch kein so hochheiliger Treueschwur von Merkel und/oder Steinbrück mehr helfen", schreibt Norbert Lohrke, Gründer und Vorstand der Globalyze Invest AG, einer Anlageberatungsfirma, an seine Kunden und dokumentiert damit, dass die Kapitalseite durchaus weiß, wo sie steht: "Am Abgrund", so der Titel von Lohrkes Kommentar.

Und so trifft Welt-Autor Gersemann mit einem Satz doch noch den Nagel auf den Kopf: "Das Ende der Wirtschaftsgeschichte ist wohl noch nicht erreicht."

Erschienen in Graswurzelrevolution (GWR) 12/2012

Wunschträume von einer vierten Gewalt

Das ursprüngliche Vollgeld-Konzept, das heute von Josef Ackermanns Doktorvater Hans-Christoph Binswanger propagiert und sogar in einem Papier des Internationalen Währungsfonds empfohlen wird, hatte in den 1930er und 1940er Jahren viele Anhänger unter Nationalökonomen und korrespondierte mit Ideen des Antikommunisten Silvio Gesell. So ist von dem damals prominentesten Vollgeld-Befürworter Irving Fisher das Bekenntnis überliefert, er sei »nur ein bescheidener Schüler des Kaufmanns Gesell«.

Schon in den 1990er Jahren warnte der Marxist Robert Kurz vor der Wiederkehr Gesellscher Theorien: »Statt den Anspruch menschlicher Autonomie gegen den Systemterror der Marktwirtschaft zu formulieren, vertreten die Neo-Gesellianer gar nicht klammheimlich die wölfische Autonomie des reinen Marktteilnehmers gegen jeden menschlichen und sinnlichen Anspruch außerhalb der warenförmigen Abstraktionen.« Was die Vollgeld-Apologeten damals wie heute als Krisenursache ausgemacht haben, ist die Giralgeldschöpfung durch die Geschäftsbanken, also die nicht durch Zentralbankgeld gedeckte Weitergabe von Sichteinlagen an die Kunden. Diese werde durch die Einführung des Vollgeldes unmöglich. Die Geschäftsbanken müssten nach einer Vollgeld-Reform »echtes« Zentralbankgeld an die Kunden weitergeben, die Sichteinlagen zu hundert Prozent durch Zentralbankgeld gedeckt sein.

Was zunächst tatsächlich wie eine Verstaatlichung von Geldschöpfungsgewinnen, Zügelung der Banken und Verwirklichung der Lieblingsforderung aller Kapitalismusreformer »Brecht die Macht der Banken und Konzerne« aussehen mag, läuft in Wahrheit auf die Kontrolle der Geldschöpfung durch eine monetäre vierte Gewalt (die »Monetative«) hinaus. Das Vollgeld-Konzept ist schlicht eine Forderung nach einer »Revolution von oben«, statt Emanzipation wird hier Zentralisierung vorgeschlagen. In der Initiativerklärung des Monetative e. V. heißt es unverblümt, die neue Zentralbank müsse »unabhängig gegenüber Begehrlichkeiten von Regierung und Parlament« gestellt werden.

Dabei ist die massive Ausweitung der Geldmenge, von den Zentralbanken seit Jahren selbst herbeigeführt, die notwendige Reaktion auf die Kreditklemme sowie die fehlenden Kapitalakkumulationsmöglichkeiten innerhalb der »Realwirtschaft«. Insofern hätte eine Vollgeld-Zentralbank die Möglichkeit, das Geld, das derzeit »aus dem Nichts« geschöpft wird, tatsächlich zu »drucken«, was zu einer massiven Geldentwertung führen muss, solange der Geldmenge keine reale Wertsubstanz zugrunde liegt. Der Ökonom Thorsten Polleit stellt zu Recht fest: »Dann würden nicht mehr die Geschäftsbanken Geld aus dem Nichts schöpfen, sondern die Zentralbanken.« Alternativ könnten die Zentralbanker durch Verknappung der Geld- und damit der Kreditmenge Wirtschaftskrisen noch verschärfen.

Der Monetative-Vereinsvorsitzende Joseph Huber vertraute dagegen »Spiegel Online« an, mit dem Vollgeld ließen sich sogar die Staatsschulden reduzieren: »Huber geht davon aus, dass dem Staat allein in Deutschland 14 bis 42 Milliarden Euro jährlich zufließen würden, weil nicht mehr die Geschäftsbanken, sondern die Notenbanken die Gewinne aus der Geldschöpfung einstreichen könnten.« Unter monetative.de findet sich dazu diese Erklärung: »Ein inflationsneutraler Zuwachs der Geldmenge entspricht dem zu erwartenden Wachstum der Realwirtschaft. So entsprechen nach heutigen Maßstäben 1-2-3 Prozent Wirtschaftswachstum in Deutschland einem Geldmengenzuwachs und somit einer Seigniorage in Höhe von 25-50-75 Milliarden Euro. Damit lassen sich 2,4-4,8-7,2 Prozent der öffentlichen Gesamtausgaben bestreiten.«

Die Vollgeldianer wollen also die Krisenhaftigkeit des Kapitals bewältigen, indem sie die Geldmenge dem Wirtschaftswachstum anpassen, Geld drucken und aus den dabei erzielten Seigniorage-Gewinnen die Schulden der Staaten tilgen, was die Abhängigkeit jeder haushaltspolitischen Entscheidung von wirtschaftlichen Wachstumsraten weiter zementieren würde. Angesichts der Tatsache, dass viele Staaten am Beginn einer Rezession stehen, bleibt dabei völlig unklar, wie das überhaupt funktionieren soll.

Das hier von bürgerlichen Eliten und Teilen des angeschlossenen Wissenschaftsbetriebes vermarktete Konzept will die Zumutungen des Kapitalismus nicht überwinden, sondern im Gegenteil diesen krisenfester machen und liberale Wunschträume von einer vierten, monetaristischen »Gewalt« ins Werk setzen. Es richtet sich damit gegen die Emanzipation des Menschen von der Fetischware Geld und der irrationalen Verwertungslogik des Kapitals.

Erschienen in Neues Deutschland vom 08.12.2012

Fließendes Geld und kosmische Energie

Ausführliche Kritik am Vollgeld-Konzept

Während alle Welt nach Auswegen aus den Schuldenkrisen sucht, verhelfen zwei IWF-Experten einem fragwürdigen Vorschlag zu medialer Aufmerksamkeit, der auf esoterischen Vorstellungen beruht und mit den Theorien des Sozialdarwinisten Silvio Gesell in Verbindung steht.

Am 16.8. berichtete das Handelsblatt in seiner Online-Version von einer Studie, in der die IWF-Autoren Benes und Kumhof einem so genannten Vollgeld-Konzept „ein gutes Zeugnis“ ausgestellt haben. Zeit Online veröffentlichte den Handelsblatt-Artikel ebenfalls, und am 3.9. zog Spiegel Online nach und präsentierte das Vollgeld als „Alternative zur Geldschwemme“. Am 7.9. berichtete die Süddeutsche Zeitung online unter dem Titel „Alle Macht der Notenbank“.

Was im Handelsblatt als „gängiges makroökonomisches Modell“ bezeichnet wird, das die Autoren des im Original als „Working Paper“ deklarierten Dokuments mit „Daten für die US-Wirtschaft gefüttert haben“, entpuppt sich bei genauerem Hinsehen allerdings als wenig aufschlussreiche Vergleichsrechnung. Wichtiger als diese scheint den IWF-Autoren ohnehin die Historie des „Chicago Plans“ gewesen zu sein, der amerikanischen Variante des Vollgeld-Konzepts, der in den 30er und 40er Jahren viele Anhänger innerhalb der Nationalökonomie hatte und wie die meisten Geldreformvorschläge auf Ideen des unvermeidlichen Silvio Gesell gründet oder mit diesen korrespondiert. Gesell unterhielt mit den damaligen Erfindern des 100%-Geldes einen munteren Briefwechsel. Bei Frederick Soddy, der laut IWF-Papier als erster die Vollgeld-Idee formuliert hatte, bedankt sich Gesell in einem Brief für die Nennung seines Namens „in einem mich ehrenden Zusammenhang.“ Dem damals prominentesten Vollgeld-Befürworter Irving Fisher schickt Gesell eines seiner Bücher mit den Worten: „Sie werden sehen, dass hier die Forderungen, für die Sie schon so lange und so tapfer kämpfen, vielleicht mit anderen Worten, mit anderen Gedanken, mit anderen Argumenten, aber doch mit gleicher Unbeugsamkeit gestellt werden.“ Von Fisher ist das Bekenntnis überliefert, er sei „nur ein bescheidener Schüler des Kaufmanns Gesell“.

Berühmt ist Gesell auch für Zitate wie dieses: „Völkisches Empfinden duldet keine Zinsknechtung anderer oder gar die Beteiligung daran. Wer noch etwas rassisches, völkisches Empfinden verspürt, der gehe in sich, tue Buße; der gestehe, daß er und seine Ahnen Verrat begingen am eigenen Volk, am eigenen Blut.“ Bernd Merling beschrieb bereits 2009 die sozialdarwinistischen Vorstellungen Gesells und wie dessen Theorien „die Nationalsozialisten nicht nur beeinflusst haben, sondern er auch gezielt und konkret mit diesen kooperiert hat und wie sich seine Ideen in das nationalsozialistische Gedankengefüge einbauen ließen“. Der Publizist Robert Kurz stellte bezüglich der jüngeren Gesell-Freunde fest: „Statt den Anspruch menschlicher Autonomie gegen den Systemterror der Marktwirtschaft zu formulieren, vertreten die Neo-Gesellianer gar nicht klammheimlich die wölfische Autonomie des reinen Marktteilnehmers gegen jeden menschlichen und sinnlichen Anspruch außerhalb der warenförmigen Abstraktionen.“

Im IWF-Papier werden derweil seitenlang Fakten und Daten zu Gesells Brieffreunden und ihrem Chicago-Plan referiert, die so auch auf Wikipedia erhältlich sind.
Bereits an dieser Stelle der Lektüre fragt man sich, womit sich IWF-Mitarbeiter eigentlich ihre Zeit vertreiben und was Handelsblatt-Journalisten sich unter einer Studie vorstellen. Wie überhaupt an der Vollgeld-Debatte, die bereits seit längerem in den verschiedensten Internetforen geführt wird und jetzt also das Licht einer größeren Öffentlichkeit erblickt, vor allem eines deutlich wird:
Der Voodoo-Ökonomie folgt die Voodoo-Wissenschaft und wer einmal Zeit darauf verwendet hat, sich mit den Werken von Milton Friedman zu befassen, weiß, dass sich Ökonomienobelpreisträger um offene Inkonsistenzen in ihren eigenen Theoremen ohnehin nicht zu scheren brauchen. Der Säulenheilige aller Marktradikalen wird auch von den IWF-Autoren als Befürworter des Vollgelds ausgewiesen.

Vor allem in Teilen der deutschen Occupy-Bewegung gilt die Vollgeld-Idee als die Lösung der Finanzmarktkrise, besonders befördert durch die Gruppe "occupy money", obgleich bereits ihr Ursprung mehr als einen üblen Verdacht hervorruft.

Was die 100%-Money-Apologeten seit Irving Fisher als Krisenursache damals wie heute ausgemacht haben, ist die Giralgeldschöpfung durch die Geschäftsbanken, also die nicht durch Zentralbankgeld gedeckte Weitergabe von Geld in Form von Sichteinlagen an die Kunden. Laut den neoliberalen Querdenkern wird so von den Banken Geld „aus dem Nichts“ geschöpft. Dies würde durch die Einführung des Vollgeldes unmöglich. Die Geschäftsbanken müssten nach einer Vollgeld-Reform „echtes“ Zentralbankgeld an die Kunden weitergeben, die Sichteinlagen künftig zu hundert Prozent durch Zentralbankgeld gedeckt sein.
Mit dieser grandiosen Idee ließen sich angeblich nicht nur Finanzkrisen abschaffen, sondern auch die Staatsschulden reduzieren, wie der bezüglich kruder Geldreformideen einschlägig bekannte Wirtschaftsprofessor Joseph Huber Spiegel Online anvertraute. „Huber geht davon aus, dass dem Staat allein in Deutschland 14 bis 42 Milliarden Euro jährlich zufließen würden, weil nicht mehr die Geschäftsbanken, sondern die Notenbanken die Gewinne aus der Geldschöpfung einstreichen könnten.“

Prof. Huber ist zweiter Vorsitzender des Vereins Monetative e.V., der die Ausgabe des Vollgelds durch eine „vierte Staatsgewalt“, eben die Monetative, durchgeführt sehen will.

Was zunächst tatsächlich wie eine Vergesellschaftung von Geldschöpfungsgewinnen, Zügelung der Banken und Verwirklichung der Lieblingsforderung aller Kapitalismusreformer „Brecht die Macht der Banken und Konzerne“ aussehen mag, läuft in Wahrheit auf die Kontrolle großer Teile der wirtschaftlichen und politischen Tätigkeit durch ein monetäres Zentralorgan hinaus und käme damit dem seit Mandeville, Bentham und Smith großen liberalen Traum von der totalen ökonomischen Herrschaft nahe.

Das Vollgeld-Konzept, das seit Beginn der weltweiten Platzbesetzungen auch in die Occupy-Bewegung getragen wurde, ist schlicht eine Forderung nach einer „Revolution von oben“. Statt Emanzipation werden Entdemokratisierung und Zentralisierung vorgeschlagen. Denn wo eine zentrale Gewalt alleine über die Geldmenge entscheidet, kann sie diese nach Belieben verknappen oder ausweiten. Was derzeit immerhin noch über Marktmechanismen geregelt ist und damit auch von politischen Entscheidungen beeinflusst werden kann, wäre nach einer solchen Reform allein in den Händen einer der demokratischen Kontrolle weitgehend entzogenen Zentralgewalt. In der Initiativerklärung der Monetative-Gruppe heißt es dann auch unverblümt, die neue Zentralbank müsse „unabhängig gegenüber Begehrlichkeiten von Regierung und Parlament“ gestellt werden.

Gelöst wäre dadurch im Übrigen kein einziges wirtschaftliches Problem. Denn die massive Ausweitung der Geldmenge, die ja durch die Zentralbanken selbst herbeigeführt worden ist, ist nicht Folge grenzenloser Gier seitens der Geschäftsbanken, sondern die notwendige Reaktion auf die Kreditklemme und fehlende Kapitalakkumulationsgelegenheiten innerhalb der warenproduzierenden „Realwirtschaft“. Insofern hätte eine Vollgeld-Zentralbank nur die Möglichkeit, das Geld, das derzeit „aus dem Nichts“ geschöpft wird, entweder tatsächlich zu „drucken“, was zu einer Geldentwertung führen würde, solange der Geldmenge keine reale Wertsubstanz zugrunde liegt. Der Ökonom Thorsten Polleit stellt völlig zu Recht fest: „Dann würden nicht mehr die Geschäftsbanken Geld aus dem Nichts schöpfen, sondern die Zentralbanken“. Alternativ könnten die Zentralbanker durch Verknappung der Geld- und damit der Kreditmenge die derzeitige Krise noch verschärfen.

Auf der äußerst schlichten und wenig informativen Homepage monetative.de findet sich dazu nur eine dünne Erklärung: „Ein inflationsneutraler Zuwachs der Geldmenge entspricht dem zu erwartenden Wachstum der Realwirtschaft. So entsprechen nach heutigen Maßstäben 1-2-3 Prozent Wirtschaftswachstum in Deutschland einem Geldmengenzuwachs und somit einer Seigniorage in Höhe von 25-50-75 Mrd Euro. Damit lassen sich 2,4 - 4,8 - 7,2 Prozent der öffentlichen Gesamtausgaben bestreiten.“
Im Klartext: Die Vollgeld-Theoretiker wollen die so genannte Staatsschuldenkrise bewältigen, indem sie die Geldmenge dem Wirtschaftswachstum anpassen, Geld drucken und aus den dabei erzielten Seigniorage-Gewinnen die Schulden der Staaten tilgen, was die Abhängigkeit jeder haushaltspolitischen Entscheidung von wirtschaftlichen Wachstumsraten endgültig zementieren würde.

Angesichts der Tatsache, dass die meisten europäischen Staaten am Beginn einer Rezession stehen, bleibt darüber hinaus völlig unklar, wie das funktionieren soll.

In einer Lobeshymne an das Buch des Vollgeld-Freundes Prof. Helge Peukert mit dem Titel „Die große Finanzmarkt- und Staatsschuldenkrise“, die in Auszügen auf der occupy money-Website zitiert wird, gestehen die neoliberalen Vordenker nun wirklich völlig absurder Weise die Untauglichkeit der eigenen Konzeptionen ein: „Mit einer bewundernswerten Geste der Aufrichtigkeit bekennt Peukert, dass er ´sich an die letzte Wurzel des Problems der Finanzmärkte bisher nicht herantraute: Wie kann ein Wirtschaftssystem überleben, das angesichts positiver Zinssätze und mit Vermögenswerten, die Rendite abwerfen sollen, was letztlich nur durch Erlöse aus der Realsphäre geleistet werden kann, ein System also, das auf Wachstum angelegt ist, mit den Erfordernissen der Ökosphäre harmonieren, die stetiges Wachstum nicht mehr verträgt.‘ Diese Fragen im wirtschaftswissenschaftlichen Raum überhaupt zu stellen, ist - unabhängig davon, wie sie in Zukunft beantwortet werden - ein geradezu sensationelles Ergebnis."

Diese „sensationelle“ Erkenntnis präsentiert im Original Werner Onken in der Zeitschrift für Sozialökonomie, deren Autoren laut Wikipedia „durch eine gewisse Nähe zur Freiwirtschaftslehre Silvio Gesells miteinander verbunden sind“, womit dann auch endgültig klar ist, woher der Wind hier weht.
Unter den Autoren der Zeitschrift für Sozialökonomie findet sich auch ein gewisser Bernd Senf, auf dessen Wikipedia-Eintrag verwiesen wird, wer in der Internetenzyklopädie nach dem Begriff Monetative sucht.

Es fließt zusammen, was zusammen gehört und neuerdings wird versucht, das ganz große mediale Rad zu drehen.

Gesell-Freund, Monetative-Erfinder und Volkswirtschaftsprofessor Senf erklärt die theoretische Grundlage der Vollgeldkonzeption auf seine Weise. Für ihn sind so genannte Blockierungen und Verklemmungen schuld an den Übeln der Welt.
In Senfs endlosen Vorträgen geht es um wirbelnde Orgonenergie, die sich mit „ebenfalls wirbelnder“ kosmischer Energie auch zu lebendigem Wasser verbinden kann. „Dieses Einwirbeln, Auswirbeln, Einwirbeln, Auswirbeln, wenn das das Wesensmerkmal dieser Lebensenergie ist, und zwar aus sich heraus, (…) dann ist auch verständlich, wenn man materielle Substanz, also Wasser, einwirbelt, dass sich das anreichert, und zwar ohne irgendeinen zusätzlichen Energieaufwand, mit der ebenso wirbelnden Energie.“

Was da im Kopf des Volkswirtschaftlers wirbelt und sich anreichert, ist beeindruckend:
Senf sieht im gesamten Kosmos eine orgonotische Lebensenergie am Werk, die unsichtbar dauernd durch alles fließt und die man auf keinen Fall am Fließen hindern dürfe, sonst komme es zu fatalen Blockierungen und Erstarrungen, auf die alle Unbilden der Welt zurückzuführen sind. Das reicht etwa von Kontaminierungen im Umfeld von Atomkraftwerken bis zu mütterlichen Bauchschmerzen bei der Geburt eines Kindes – alles eine Frage blockierter Orgonenergie.

Dass sich dieses ursprünglich von Parawissenschaftler Wilhelm Reich „entdeckte“ Prinzip auch in der Wirtschaft wiederfindet, ist für Professor Senf selbstverständlich: „Was hat dies alles mit Silvio Gesell zu tun? Beim Studium seiner Schriften fiel mir eine verblüffende Ähnlichkeit mit seiner Erkenntnismethode und Sichtweise von Schauberger und Reich auf, obwohl sich seine Studien überwiegend auf ein scheinbar ganz anderes Gebiet bezogen: nämlich auf das Fließen des Geldes im sozialen Organismus einer arbeitsteiligen und Waren produzierenden Gesellschaft - und auf die Folgen seiner Blockierung, bzw. auf die ungeeigneten Mittel, mit denen dieser Blockierung im herrschenden Geldsystem begegnet wird.“
Wie die Monetative das lebensenergetische Fließen im Geldsystem herstellen soll, erklärt Senf gewohnt ausführlich in einem dreieinhalbstündigen im Internet veröffentlichten Vortrag.

Auf der Liste derer, die das Wunder des Fließens in Form des Senfschen Blockadelöser Monetative und Vollgeld propagieren, wird es durchaus prominent. Neben Josef Ackermanns Doktorvater Hans-Christoph Binswanger taucht auch der Wirtschaftsprofessor Christian Gomez auf, der wiederum als Mitarbeiter des erzneoliberalen Ökonomie-Nobelpreisträger von 1988, Maurice Allais, auf der Homepage der Monetative vorgestellt wird.
Weiter wird den Wirtschaftsstudenten die Fließtheorie nahegebracht von Prof. Michael Hudson (University of Missouri, Kansas City, USA), Prof. Thomas Huth (Leuphana Universität Lüneburg), Prof. Steve Keen (University of Western Sidney), Prof. Helge Peukert (Universität Erfurt), Prof. Peter Ulrich (Uni St. Gallen), Prof. Richard Werner (University of Southampton), Prof. Kaoru Yamagouchi (Doshisha University Business School, Kyoto, Japan) und vielen anderen.

Ähnliche Vorstellungen propagiert eine amerikanische Gruppe, die sich „sacred economy“ nennt und deren prominentestes Mitglied Charles Eisenstein den diesjährigen „Mystica-Kongress“ in München eröffnete, auf dem sich die Teilnehmer in Seminaren mit Themen wie „Bewußtseinsmedizin“ und „Aufwachen oder Erleuchtung – Nur eine Vision oder Chance für ein ganzheitliches Leben?“ dem allerneusten Esoterikquark hingeben konnten. Tagestickets gab´s zum Schnäppchenpreis von 145 Euro, wer gleich das ganze Wochenende durchhalten wollte, war mit schlappen 255 Euro dabei.
Eisenstein tritt mit seiner Heiligen Ökonomie gerne auch auf Veranstaltungen des Zeitgeist Movement auf, die ebenfalls auf der Homepage von Bernd Senf verlinkt ist. Magrit Kennedy, früher Professorin an der Universität Kassel, heute Mitglied im Wissenschaftlichen Beirat der Monetative, leitete derweil auf dem von Eisenstein eröffneten Esoterikkongress das Seminar „Occupy Money – Ein visionäres Plädoyer für ein neues Geld“. Auf Kennedys Blog occupy-money.de ist auch ein MysticaTV-Videomitschnitt von einem gemeinsamen Interview mit Eisenstein einsichtig.

Prominentester Geldfluss-Befürworter hierzulande ist wohl Dirk Müller, im sprachgestörten Börsenjargon irgendwann einmal zum „Mr. Dax“ erkoren und aus kaum einer Talkshow zu Wirtschaft und Krise mehr wegzudenken. Für seine Milchmädchenrechnungen („Josefspfennig“) berühmt-berüchtigt, ist auch er überzeugt von der Wirkmacht des Vollgelds.
Die Liste ließe sich weiter führen.

Es wird hier im Zusammenspiel von neoliberalen Eliten und Vertretern des angeschlossenen Wissenschaftsbetriebes ein Konzept vermarktet, das ökonomisch unsinnig ist, unterlegt mit esoterischer Begleitmusik und kompatibel mit der Gesellschen Vulgärökonomie aber zur Irreführung und zur Ablenkung von der Krise des Kapitals durchaus taugen kann.
Nationalökonomen wollen und können nicht in Erwägung ziehen, dass nur die Überwindung der Kapitallogik selbst der Menschheit eine lebenswerte Perspektive eröffnen könnte, und so wird das Offensichtliche lieber einem kosmischen Energiefluss zugeschrieben, aus dem sich im wahrsten Sinne wundersame Perspektiven generieren lassen.

Wer glaubt, dass solche Manöver nicht durchschaut werden, muss schon ein großes Vertrauen in den Verblödungsgrad des Publikums nach jahrzehntelanger Berieselung durch die kapitalistische Kulturindustrie haben.
Es steht zu befürchten, dass es gerechtfertigt ist.

Erschienen auf indymedia.org am 11.12.2012

Grüß Gott, Veronica Ferres!

Warum Du Dir so sicher seist, daß es IHN gebe, wurdest Du auf »bild.de« gefragt, und führtest als Gottesbeweis an, daß Du einmal aufgrund eines Tropenvirus im Koma gelegen und dabei auch Nahtoderfahrungen gemacht hättest: »Es war Licht da und warm. Ich war irgendwo zwischen dem Hier und dem Jenseits. Da habe ich Gott gespürt.« Daß aber Du, Ferres, eine derartig heikle Situation überlebst, während Millionen anderer bei so etwas über den Jordan gehen – ist das nicht eher ein Beweis für die Nichtexistenz einer halbwegs bei Trost seienden Gottheit?

Findet irgendwie schon:

Titanic

Erschienen in Titanic Magazin 11/2012

Und Du, Philippe Croizon,

bist komplett arm- und beinamputiert und durchschwammst in der Rekordzeit von 13 Stunden ausgerechnet den, ja genau, was auch sonst: Ärmelkanal! Glückwunsch. Und als nächstes besteigst Du den Knieberg in den Dolomiten?
Wir behalten Dich im Auge!

Titanic

Erschienen in Titanic Magazin 08/2010

Schon Ihr Lebenslauf, Andreas Marlovits,

mit Psychologie-, Sportwissenschafts- und Theologiestudium sowie, quasi als Highlight, der Betreuung von Hannover 96 nach Robert Enkes Suizid läßt ja nicht viel Gutes erahnen. Als WM-Experte für Sportpsychologie erklären Sie dann auch in der Frankfurter Rundschau folgerichtig, daß Sie »amoralisch-abgezocktes« Verhalten im Sport »hervorragend« finden, was Sie mit der Reaktion von Manuel Neuer nach dem nicht gegebenen Tor der Engländer illustrieren: »Er hat einfach so getan, als wäre nichts gewesen, und dies im Interview anschließend sogar bestätigt. Das war, im positiven Sinne, richtig skrupellos, nur auf den eigenen Erfolg bedacht – eigentlich eine durch und durch italienische Eigenschaft. Genau diese Eigenschaft fehlte dem Team vor vier Jahren.«
Dabei habe, so deuten Sie weiter, die deutsche Mannschaft »ein Stück ihrer Ehrlichkeit zugunsten einer klaren Fokussierung auf den Erfolg abgelegt. Wenn man so will, zeigt sie uns hier einen Charakterzug, den man bei vielen jungen Deutschen heute beobachten kann. Ihnen ist der persönliche Erfolg wichtiger als übergeordnete Moralvorstellungen, denen man sich zu beugen hat. Darin drückt sich die kollektive Leistung aus, mit dem Erbe der Vergangenheit anders umzugehen als ältere Generationen.«
Und da wünschen wir Ihnen, Marlovits, insbesondere angesichts Ihres Nachnamens, mal lieber keinen jungen Deutschen mit amoralischem Verhältnis zum Erbe der Vergangenheit an den Hals.
Ganz ehrlich:

Titanic

Erschienen in Titanic Magazin 08/2010

Und bei Dir, RTL 2,

treten in der Sendung »Tatort Internet« als Lockvögel immer superheiße Jungs und Mädels auf, die zwar aussehen wie dreizehn, in Wahrheit aber schon achtzehn sind, wie Du nicht müde wirst zu betonen. Daher wäre unsere Frage, ob man die eventuell mal kennenlernen könnte, so ganz unverbindlich. Vielleicht übers Internet oder so?
Könntest Du da vielleicht vermitteln?
Sabberlechz:

Titanic

Erschienen in Titanic Magazin 12/2010

Firma Reifen-Platt in Langenselbold!

Was genau ist eigentlich Deine Geschäftsidee? Fragt ehrlich interessiert:

Titanic

Erschienen in Titanic Magazin 10/2011

Sag mal, Anna Boulygina,

gleich die ganze Dopingproblematik so anschaulich im Namen tragen und dann beim Winterolympia-Damenbiathlon nur Vierte werden – soll das irgendwie witzig sein? Anabolisch-verlogene Grüße:

Titanic

Erschienen in Titanic Magazin 05/2010

Und Du, Bayerische Staatsregierung,

warnst auf der Homepage www.bayern-gegen-linksextremismus.bayern.de unbedarfte Eltern: »Wenn Ihr Kind aber in Kreise gerät, die unseren Rechtsstaat pauschal als ›kapitalistisches Fascho- und Bullensystem‹ diffamieren, eine Beseitigung der freiheitlich demokratischen Grundordnung fordern und hierfür auch Gewalt als legitimes Mittel betrachten, sollten Sie hellhörig werden.«

Gut, das wird bayerischen Eltern sicher eine große Hilfe sein. Was aber, wenn der Heranwachsende den Rechtsstaat nicht pauschal als kapitalistisches Fascho- und Bullensystem diffamiert, sondern ihn differenziert und schlüssig begründet als solches bezeichnet? Dann ist alles in Ordnung?

Ehrlich, bayerische Staatsregierung: Du läßt ganz schön nach.

Stets hellhörig:

Titanic

Erschienen in Titanic Magazin 11/2011

Als in Dir, »hart aber fair«,

neulich der sog. Bundesligacoach P. Neururer zum Thema Homophobie im Fußball mitteilte, er laufe auch nicht den ganzen Tag herum und rufe, er sei hetero (als ehemaliger Trainer von Kickers Offenbach hätte er’s ja eigentlich nötig) – da warst Du, »hart aber fair«, uns schon nach knapp 30 Sekunden zu anstrengend. Neuer Rekord.
Weiterzappend:

Titanic

Erschienen in Titanic Magazin 05/2010

Deiner, »Spiegel«,

gewohnt tiefschürfenden Reportage über Serienkiller entnehmen wir: »Zwar ist der Begriff Psychopath als laxe Beschimpfung in der Öffentlichkeit schnell zur Hand. Demnach wäre etwa Dieter Bohlen einer und Guido Westerwelle wohl auch. Nur: Wer kennt schon das tatsächliche Krankheitsbild solcher auf bizarre Art Gestörten und seine Ursache?« Und weißt Du was, Spiegel? Diese Frage stellt sich tatsächlich schon länger, vor allem, wenn wir Dich lesen.
Bussi:

Titanic

Erschienen in Titanic Magazin 06/2010

Man kann, Firma Royalbeach,

natürlich aus allem Profit schlagen wollen – das ist als Händler für allerlei Beach- und Camping-Material ja auch Deine Aufgabe. Aber mitten in die täglich neuen Enthüllungen um die Vorlieben von katholischen, evangelischen und reformpädagogischen Mitarbeitern ausgerechnet ein »Jugend-Kuppelzelt Shuteye« zum Superschnäppchenpreis anzubieten, geht dann doch ein bißchen weit.
Finden jedenfalls Deine Verkupplungsgenies auf der

Titanic

Erschienen in Titanic 08/2010

Hallo »Bildblog«!

Du kümmerst Dich ja schon seit längerem nicht mehr ausschließlich um die Bild-Zeitung, sondern willst ein »Watchblog für deutsche Medien« sein. Wenn Du Dir aber nun vornimmst, die Fehler in der Frankfurter Rundschau zu korrigieren, ein kleiner, gutgemeinter Rat: Ganz neues Blog aufmachen und viele neue Mitarbeiter einstellen, denn so leicht wie bei dem Artikel über Hannovers Stürmer Ya Konan, in dem Du fünf Fehler fandest, wirst Du im Normalfall nicht davonkommen.
Stets hilfsbereit:

Titanic

Erschienen in Titanic Magazin 12/2010

Prof. Dr. Euphrosyne Gouzoulis-Mayfrank!

Der Offenbach-Post zufolge gelten Sie als »absolute Expertin auf dem Gebiet der Akutwirkung und Langzeitfolgen von Ecstasy auf die Hirnfunktion«. Da stellen wir uns doch gerne Ihre Schützlinge vor, wie sie vor dem Praxisschild stehen und sich fragen, in welche Phantasiewelt/Paralleldimension/Zeitreise sie denn jetzt wieder geraten sind.
Auch schon ganz berauscht:

Titanic

Erschienen in Titanic Magazin 01/2011

Und, Radiomoderatorin Evren Gezer!

Auf der Homepage Deines Senders FFH gibst Du einige Deiner Charakterzüge preis: »Ich bin eine emotionale Rationalistin mit leichtem Hang zum Pessimismus, den ich aber mit einer ordentlichen Portion Optimismus auszugleichen weiß (nennt man das ›Neutralisation‹?).« Deine Frage möchten wir Dir gerne beantworten: Nein, das nennt man nicht »Neutralisation«, das nennt man »eitles Schwafeln«.
Neutral wie immer:

Titanic

Erschienen in Titanic Magazin 02/2011

Rainer Müller-Jöckel!

Sie sind neuer Leiter des Frankfurter Stadtvermessungsamts und laut Frankfurter Rundschau ein »sozialisierter Kölner«.
Was es nicht alles gibt.
Ts, ts:

Titanic

Erschienen in Titanic Magazin 03/2011

Grönemeyer, alter Kumpel!

Bei Beckmann hast Du auf die Frage, ob Dich Deine an Alzheimer erkrankte Mutter, der Du auch ein Lied gewidmet hast, denn noch erkenne, geantwortet: »Ja, sie erkennt mich und lacht. Das Lied beschreibt eben dieses Stadium des beginnenden Sich-Entfernens.« Mensch, Gröni! Könnte es sein, daß Deine Mutter in Wahrheit kerngesund ist? Dich sehen, lachen und sich dann zu entfernen beginnen – da drängt sich doch der Verdacht auf, daß sich die Frau Mama an Deine »Musik« nur allzugut erinnert!

Macht es jedenfalls genauso:

Titanic

Erschienen in Titanic Magazin 06/2011

Auf Deiner Homepage, Gemeinde Palling,

berichtest Du von einer polizeilichen Infoveranstaltung für Firmlinge zum Thema Drogenmißbrauch und konstatierst: »Mit Rauschgift ruiniert man sein komplettes Leben. Der Einstieg ist meist sehr harmlos: Oft wird man vom besten Freund dazu verleitet, eine Haschzigarette zu rauchen, weil dieser seinen eigenen Konsum finanzieren muß. Und ehe man sich versieht, ist man selbst süchtig.«

Wir ahnen, Gemeinde Palling, daß das bei Dir ein gewaltiges Problem ist mit den ganzen Junkies auf dem Kirchenvorplatz. Was wir jedoch gerne einmal wüßten, da wir das mit der Haschzigarettenverführung durch den besten Freund aus eigener Erfahrung kennen: Wie zur Hölle schafft es der Freund, seinen eigenen Konsum zu finanzieren, wenn er uns immer so freigiebig an seinen Joints ziehen läßt?

Das hat nämlich noch nie verstanden:

Titanic

Erschienen in Titanic Magazin 07/2011

Du, Stefan Kleineheismann,

bist eine Art Fußballprofi und hast Deinen anstehenden Vereinswechsel auf »op-online« wie folgt kommentiert: »Fürth hätte gerne mit mir verlängert. Es stand jedoch die ganze Zeit nicht fest, ob ich zum Profi- oder Amateurkader gehören soll. Ich hatte hier schöne Jahre und habe eine gute Ausbildung genossen. Es war nun aber an der Zeit, die große weite Welt kennenzulernen.«

Und das ist auch alles sehr hübsch und wäre selbstverständlich keiner Erwähnung wert, wenn Du die große weite Welt nicht ausgerechnet bei welchem Verein kennenlernen wolltest? Genau: bei den »Profis« von Kickers Offenbach! Hoffentlich wird Dir da nicht schwindelig.

Wünschen Dir Deine Landeier von

Titanic

Erschienen in Titanic Magazin 07/2011

An Deiner Stelle, Wahrsagerin Cassandra,

hätten wir die Geschichte mit dem elfjährigen Jungen, der aus dem Kettenkarussell fiel und direkt in Deinem Wohnwagen landete, nicht unbedingt im Fernsehen ausgeschlachtet. Jedenfalls nicht so, wie Du das Ganze in der »Aktuellen Stunde« des WDR zum besten gabst: »Ich saß jetzt hier, denk an nichts Böses, peng, klatsch, Wagen gewackelt, großer Knall, lag auf einmal das kleine Kind hier bei mir im Wagen drinne.« Wäre da nicht zumindest eine kleine Wahrsagerinnenlüge drin gewesen? So etwas wie: »Ich sach grad noch, irgendwie hab ich das Gefühl, hier wird gleich etwas – peng, klatsch und schon…«

Wünscht trotzdem weiter gutes Gelingen:

Titanic

Erschienen in Titanic Magazin 09/2011

Mitch Winehouse!

Eine ungenannte Quelle berichtete der britischen Tageszeitung The Sun, Sie vermuteten, Ihre Tochter sei an den Folgen einer dreiwöchigen Alkoholabstinenz gestorben.

Wissen Sie, Zufälle gibt’s! Denn genau auf diesen kreuzgefährlichen Zusammenhang trinkt seit Jahren täglich:

Titanic

Erschienen in Titanic Magazin 09/2011

Heinz Bude, Professor für Makrosoziologie an der Uni Kassel!

Bisher meinten wir ja, Jugendliche seien Leute ungefähr zwischen 13 und 21 Jahren. In der Zeit jedoch, in der Sie die aktuellen Jugendproteste analysierten, belehrten Sie uns eines besseren: »Ein Jugendlicher ist man unabhängig vom Alter, wenn man keine Arbeit, keine Familie und keine Bleibe hat. Da kann man sich nur noch an spektakulären Aktionen hochziehen, die einem für einen Augenblick ein Gefühl sozialer Größe versprechen.«

Ach ja? Und Professor für Makrosoziologie ist man unabhängig von irgendeiner Fähigkeit? Wenn man nichts Richtiges studiert, keine Freunde und Zuhörer hat? So daß man sich dann nur noch an sinnlosen Veröffentlichungen in der Wochenpresse hochziehen kann, die einem für einen Augenblick ein Gefühl wissenschaftlicher Größe versprechen?

Dachten wir uns schon:

Titanic

Erschienen in Titanic Magazin 10/2011

In Dir, »Konkret«,

lasen wir folgendes: »Wieder einmal geht die Post ab, und wieder mal ist Konkret nicht auf dem Trittbrett. Die Occupy-Bewegung und ihre Sprecher, besonders der deutschen Variante, nicht als die erbärmliche Parodie der Achtundsechziger zu erkennen, bleibt anderen Revolutionären vorbehalten«, nämlich der Kanzlerin und ihrem Regierungssprecher, die ihr Verständnis für die Proteste geäußert hatten. Klaus Ernst von der Linkspartei, der gesagt hatte, dies sei ein Aufstand der Anständigen, hieltst Du schließlich entgegen: »Und wer möchte zu denen schon gehören?«

Da nun das Frankfurter Occupy-Camp praktisch direkt bei uns um die Ecke ist, schauten wir uns das spätabends mal an. Was wir aber sahen, war eine alkoholisierte Horde, bestehend aus Punks, Obdachlosen und Studienabbrechern, die sich um einen Herrn versammelte, der sich offenbar Stunden vorher als Banker vorgestellt hatte und jetzt sturzbetrunken und vergeblich an den mit antikapitalistischen Parolen vollgeklebten Stellwänden Halt suchte – zum Amüsement des johlenden und knipsenden Mobs. Und ehrlich gesagt, Konkret, entsprach das dann schon ziemlich genau unserer Vorstellung von einer anständigen Revolution.

Dem famosen Quatsch, den diese »Anständigen« sonst noch so verzapften, lauschte jedenfalls noch einige Biere lang entzückt:

Titanic

Erschienen in Titanic Magazin 11/2011

Unbekannter Nachbar,

der Du in Unkenntnis unserer Anwesenheit Deinen Balkon betratst, Dich auf einen Deiner Gartenstühle setztest, Dir eine Zigarette anzündetest und zu Dir selbst die Worte sprachst: »Ich könnte grad schon wieder wichsen« – Dir nur soviel: Es ist immer mitfühlend an Deiner Seite

Titanic

Erschienen in Titanic Magazin 11/2011

In Dir, Caren Miosga,

steckt ja doch mehr, als wir annahmen! Jedenfalls kündigte Dich die »nette« Kollegin Judith Rakers von der Tagesschau neulich so an: »Wir melden uns wieder mit den Tagesthemen um 23.25 Uhr mit Caren Miosga. Darin: minderwertige Brustimplantate.«

Gut, das Zitat ging dann noch weiter, aber da hat schon wieder nicht mehr zugehört:

Titanic

Erschienen in Titanic Magazin 02/2012

Sie, Sandra Maischberger,

haben in der 3sat-Sendung »Bauerfeind« gesagt: »Ich kann meine Stimme nicht wirklich gut hören. Wenn ich nach Hause komme von meiner Sendung, weil wir sie aufgezeichnet haben, und mein Mann guckt ARD, schalte ich sofort um.« Sofern aber solche Selbsterkenntnis nicht öde Koketterie ist und Sie und wir und alle, die wir sonst noch kennen, uns in dieser Sache einig sind: Warum hat das dann keine Konsequenz?

Resigniert:

Titanic

Erschienen in Titanic 03/2012

Thomas Stolle, »Silbermond«-Gitarrist!

Da gab es bei uns doch neulich eine kleine Kontroverse darüber, ob die Combo, in der Du mitspielst, eher auf den Mond oder eher auf den Mars geschossen gehört. Im FR-Interview hast Du nun mitgeteilt: »Auch das Leben ist nicht nur schwarz oder weiß. Das merkt man besonders in einer Diskussion, in der es mindestens zwei Meinungen gibt, die Wahrheit jedoch immer irgendwo dazwischen liegt.«

Und weißt Du was? Selbst wenn wir berücksichtigen, daß die Mond-Mars-Entfernung stark schwankt, und wir nur die kürzeste für unsere Berechnung heranziehen, können wir mit einem Deinem Vorschlag folgenden Kompromiß, also einem Erde-Silbermond-Abstand von ca. 28 Millionen Kilometern, gut leben!

10-9-8-7-6-5-4-3-2-1-Zero:

Titanic

Erschienen in Titanic Magazin 05/2012

Und, Zufall Logistics Group!

»Willkommen in der faszinierenden Welt von Transport, Spedition und Logistik – willkommen in der Zufall Logistics Group«, begrüßt Du uns auf Deiner Homepage, und vielleicht gibt es wirklich nichts Faszinierenderes, als sich in logistischen Dingen auf Zufalls Wirken zu verlassen.

Weiter so!

Titanic

Erschienen in Titanic Magazin 07/2012

Chefredakteur Henrik Müller (»Manager-Magazin«)!

Da haben Sie in Ihrem »Spiegel online«-Kommentar dem Kapitalismus aber mal ordentlich die Leviten gelesen: »Eine Wirtschaft, deren primäres Ziel es ist, eine möglichst hohe Kapitalverzinsung zu erwirtschaften, läuft in die Irre«, heißt es da. Das Modell habe sich totgelaufen: »Profit und Rendite zu erwirtschaften kann nur eine Nebenbedingung einer nachhaltigen Wirtschaft sein, kein Selbstzweck.«

Da nun aber genau dieser Selbstzweck der einzige Antrieb kapitalistischen Wirtschaftens ist, Sie, Müller also erklären, daß der Kapitalismus an sich nicht gut ist, folgern Sie messerscharf was? Logisch, steht ja in der Überschrift: »Es ist Zeit für einen neuen Kapitalismus«.

Jedes System hat halt die Logiker, die es verdient.

Marxistische Grüße von

Titanic

Erschienen in Titanic Magazin 06/2012

Und Ihr, SRH Fachschulen in Frankfurt,

werbt für Eure Ausbildungsgänge mit der Parole »Sinn gesucht – Beruf gefunden«. So kann man das Dilemma unserer Zeit natürlich auch auf den Punkt bringen.

Sucht ebenfalls noch:

Titanic

Erschienen in Titanic Magazin 08/2012

Heureka, Rolf Hochhuth!

Da waren wir uns doch schon sehr sicher, daß im deutschen Fernsehen einfach niemand mehr jemals auch nur einen einzigen vernünftigen Satz sprechen würde, und dann sahen wir Sie, auch nicht gerade als Hoffnungsträger bekannt, wie Sie in der allerletzten ARD-Harald-Schmidt-Show als allerletztes Schlußwort wie zufällig folgendes zum Thema Ausbeutung der arbeitenden Massen sagten: »Das kann nur auf einem gewaltsamen Wege revidiert werden, das heißt durch eine Revolution und nicht durch parlamentarische freundliche Beschlüsse, die immer liebenswürdig sind und niemals etwas bringen.«

Dafür einfach mal einen dicken Schmatz!

Titanic

Erschienen in Titanic Magazin 07/2011

Zu guter Letzt, Punks!

Wenn Ihr, wie kürzlich beim »Ruhrpott-Rodeo«, mal wieder Schwarz-Rot-Gold abfackeln wollt: Stoff- statt Plastikfahne und Brandbeschleuniger benutzen! Sonst gibt’s nur Geschmore und üblen Gestank, und davon habt Ihr ja eigentlich auch so schon genug.
Ansonsten mit Euch aber ganz zufrieden:

Titanic

Erschienen Titanic Magazin 07/2010

Beim Rockfestival

Vor dem Toilettenwagen: Wartende in der Schlange. Im Toilettenwagen: WC-Kabinen links, Pissoirs rechts. Die WC-Kabinen sind besetzt. Die Pissoirs dagegen sind frei, was aber von außen nicht zu sehen ist. Daher auch die lange Schlange. Ein Neuankömmling fragt clever in die Runde: »Zum Scheißen oder zum Pinkeln?«
Antwort eines Wartenden: »Zum Kotzen.«

Erschienen in Titanic Magazin 11/2010

Ein Fall für "Wetten, dass...?"

Ist jemandem schon einmal aufgefallen, daß man beim Betrachten eines Fotos von Franz Josef Wagner (Bild) sofort weiß, wie er riecht? Wie macht er das? Oder liegt es an mir, daß ich mittlerweile sogar glaube, unterschiedliche Schweiß-Alkohol-Zigaretten-Aftershave-Weichspüler-Verhältnisse erriechen zu können, und darum einigermaßen sicher sagen kann, zu welcher Tageszeit ein Foto von Franz Josef Wagner entstanden sein muß? Werde mal versuchen, diese Fähigkeit zu Geld zu machen.

Erschienen in Titanic Magazin 08/2010

Nicht gesund

In einer Ratgebersendung im Radio hörte ich, häufiges Auftreten von Erkältungskrankheiten sei ein sicheres Zeichen für ein starkes Immunsystem. Dieses wehre sich nämlich sofort massiv gegen jeden noch so unbedeutenden Eindringling, und die typischen Symptome wie Rotze, Husten, Kopf- und Gliederschmerzen rührten allein von dessen Eifer her. Ich dagegen war schon so lange nicht mehr krank, daß ich mich an Taschentuch-, geschweige denn Medikamenteneinsatz kaum mehr erinnern kann. Bei dem Gedanken an mein offensichtlich völlig tatenloses Immunsystem wird mir aber gerade etwas flau im Magen. Immerhin!

Erschienen in Titanic Magazin 04/2011

Unterschichtssolidarität

Zwei reichlich heruntergekommene Punks laufen spätabends in Frankfurt über eine Brücke.
Punk eins zerdeppert seine leere Bierflasche.
Punk zwei: »Sollten wir die Flaschen nicht lieber einfach stehenlassen? Dann freuen sich die Penner!«
Punk eins: »Quatsch, die freuen sich noch viel mehr, wenn sie die kaputten Flaschen wieder zusammenkleben können. Da haben die wenigstens mal etwas zu tun.«

Erschienen in Titanic Magazin 07/2011

Geheim

Zwei Neuzugänge für meine Sammlung von Verschwörungstheorien, sie wurden mir im Brustton der Konspiration und sehr besorgt von zwei unterschiedlichen Personen eingeflüstert.

1. Die Kachelmann-Verschwörung: Kachelmann wurde mit den Vergewaltigungsvorwürfen »kaltgestellt«, weil er kurz davor war, durch sein landesweites Netzwerk von Wetterstationen mit Satellitenverbindung die BRD zu kontrollieren.

2. Die Dirk-Bach-Verschwörung: »Den haben sie weggemacht!« Er habe im Zusammenhang mit den NSU-Morden »zuviel gewußt«.

Bedenklich!

Erschienen in Titanic 11/2012

Survival-Deutsch

Wer dem Backgroundgröler einer amerikanischen Rockband nach dem Konzert die beiden gewünschten deutschen Sätze beibringt, erlebt mit etwas Glück, wie der junge Herr alle etwa hundert Konzertbesucher persönlich verabschiedet: »Danke fürs Kommen. Hast du Gras?«

Erschienen in Titanic 09/2011

Zielführung

Wenn man sich vom Navi zwecks Besuch einer Beerdigung zum Friedhof leiten läßt und dieses einem, dort angekommen, emotionslos mitteilt: »Sie haben Ihren Bestimmungort erreicht«, dann hört der Spaß echt auf!

Erschienen in Titanic 04/2012

Eingefroren

Als ich feixend in der Konkret die irre Metapher »glattgefeilte Allgemeinsoße« las – Urheberin: Marietta Slomka, Trägerin des »Medienpreises für Sprachkultur« –, mahnte meine neben mir im Zug mitlesende Freundin: »Feixe nicht zu früh!« Denn ihre italienische Pestosoße beispielsweise könne durchaus gefeilt werden. Sie habe sie vorhin aus meinem Eisfach geholt. Frauen!

Erschienen in Titanic 09/2012

Blutbäder, Brandstifter und das unvermeidliche Delstop

Aktuelles zur Dauerkrise des Kapitals


“Wenn Investoren in einen dünnen Markt verkaufen und niemand kaufen will, bekommen wir eben die Art von Blutbad wie am Freitag gesehen”, kommentierte laut ftd online der Chefsvolkswirt der Unicredit den erneuten Zinsanstieg für 10jährige spanische Staatsanleihen vom Freitag vergangener Woche und stellte fest: „Die Märkte sind disfunktional“

Wo Blutbäder sind, da wird geblutet:

In Indien, wo es das Kapital in die nächste Runde schaffen will, und wo die Mitarbeiter des Automobilherstellers Maruti Suzuki etwa 100 Euro im Monat verdienen, durften zwei Tage zuvor die Manager einmal mitbluten; die Chefetage wurde gestürmt, die Chefs verprügelt, der Personalchef starb bei einem von den Mitarbeitern gelegten Brand in dessen Büro.

Es wird ungemütlich, denn „ die Krisen vermehren sich derzeit wie die Karnickel. Nur von der Krise des Kapitals oder, wie die ganz Schlauen sagen, des Kapitalverthältnisses will niemand reden“, beschwert sich die jungle-world und übersieht, dass es zwischen Kapital und Kapitalverhältnis immer noch einen Unterschied gibt. Die ganz Schlauen wissen nämlich, dass die weltweite Krise zwar eine des Kapitals ist, das Kapitalverhältnis aber auch dann die nächste Runde erreichen kann und wohl auch wird, wenn der Kapitalismus an „seine innere Schranke stoßen“ sollte, wie es der dieser Tage verstorbene Robert Kurz formulierte.

Diese innere Schranke scheint nah, wenn in einer der letzten weltweiten Boomregionen, in China, der durchschnittliche Jahresverdienst der Lohnabhängigen bei 7800 Euro liegt und in Indien Leute für 1200 Euro im Jahr Autos zusammenbauen und das wohl letzte große kapitalistische „Wachstumswunder“ nur noch dadurch erkauft werden kann, dass Menschen jenseits der Überlebensfähigkeit zur Arbeit gezwungen werden müssen.

Und wenn´s dann ganz schlimm wird, gehen die Geschundenen schon mal auf die Chefs los.

Allerdings wusste schon George Orwell, dass von den Proletariern nichts zu befürchten (ist).

Sich selbst überlassen, werden sie von Generation zu Generation und von Jahrhundert zu Jahrhundert weiterhin arbeiten, Kinder zeugen und sterben, und das nicht nur ohne jeden Drang zur Rebellion, sondern ohne sich auch nur vorstellen zu können, daß die Welt ganz anders sein könnte, als sie ist.

Was bei Orwell noch Proletarier hieß, nennen wir heute Lohnabhängiger – wer abhängig von wem ist, kann immer nur im Gegensatz von Kapital und Arbeit deutlich werden, was denn sonst? – und wo der Autor von 1984 zwar einen pervertierten „Sozialismus“ imaginiert, hat er doch hellsichtig beschrieben, wie diejenigen, die für den unermesslichen Reichtum, den der hyperproduktive Kapitalismus heute generiert, täglich stundenlang arbeiten müssen ohne jemals selber reich werden zu können, von der Debatte um ihr eigenes Leben abgetrennt werden.

Der aus seinem kargen, unbefriedigenden Leben resultierende Mißmut wird gezielt nach außen gelenkt und die Überlegungen, die eventuell zu einer skeptischen oder rebellischen Haltung führen könnten, werden durch früh erworbene innere Disziplin von vornherein unterbunden.

Und weil es eben ein karges, unbefriedigendes Leben ist, das selbst der noch materiell gut gestellte Versicherungsangestellte, Bankbeamte, Bauarbeiter, Gymnasiallehrer, Zeitungsjournalist (zumindest Stand 24.7.2012) führt, wird dessen Missmut „nach außen“ gelenkt und er fühlt sich auf Fußballplätzen und –stadien, in Diskos, Kinos, vor dem Fernseher, bei Rockkonzerten und Urlaubsreisen gut unterhalten. Alle 4 Jahre darf er eine Einheitspartei wählen, die der Form halber, zumindest in Deutschland, sich in 4 bis 5 unterschiedliche Parteinamen splittert. So fühlt er sich gefragt und glaubt, etwas mitentscheiden zu dürfen: SPD oder CDU, Mallorca oder Malediven.

Alle glauben ja wirklich, die tägliche Plackerei in tausenden langweiligen Jobs sei notwendig, weil ja irgendjemand „den Wohlstand“ produzieren müsse.

Auf den Umstand verwiesen, dass heute auch minimale Arbeitszeiten ausreichen würden, um „den Wohlstand“ zu sichern, dass es eben wirklich nur noch eine Frage der Organisation wäre, oder auf die Frage, was genau ein Versicherungskonzern eigentlich „zum Wohlstand“ beiträgt, reagiert der Lohnabhängige verschnupft und/oder desinteressiert. Bei Orwell heißt das „Delstop“ und beschreibt zutreffend die geistige Verfasstheit des heutigen Massenmenschen.

Delstop bezeichnet die Fähigkeit, geradezu instinktiv auf der Schwelle jedes riskanten Gedankens haltzumachen. Es schließt die Gabe mit ein, Analogien nicht zu begreifen, logische Fehler zu übersehen, die simpelsten Argumente mißzuverstehen, (…), und von jedem Gedankengang, der in ketzerische Richtung führen könnte, gelangweilt und abgestoßen zu sein.

Der Trick dabei ist, dass die meisten Menschen ja nicht an sich zu dumm sind, um die Vorgänge um sie herum begreifen zu können, der Gesamtzusammenhang der menschlichen Gesellschaft erscheint ihnen vielmehr als „viel zu kompliziert“, ohne dass sie benennen könnten, was genau daran denn kompliziert wäre. Das Denken wird nicht durch Dummheit oder Verblödung, sondern durch unbemerkt antrainierte Disziplin unterbunden, die Lüge ist schlicht zur Wahrheit geworden.

Wenn es jetzt, wie in Spanien, Griechenland, Indien oder unter etwas anderen Vorzeichen auch in Syrien zu gewaltsamen Aufständen kommt, dann ist das nicht Folge eines tieferen Verständnisses – die Lüge von der Alternativlosigkeit kapitalistischer Vergesellschaftung und Produktionsweise wird auch in den meisten Protestbewegungen affirmiert – sondern der Schrei nach Einlösung des uneinlösbaren und von vornherein gelogenen Versprechens. Die Protestler wollen keine andere Welt, sondern Arbeitsplätze. Der begriffliche Selbstbetrug führt mittlerweile dazu, dass unter Kapitalismus nicht mehr die Ausbeutung durch ökonomische Abhängigkeitsverhältnisse gesehen wird, sondern in einer mythischen Herrschaft von Finanzmärkten oder dem Wachstumszwang, der angeblich von Zins- und Zinseszinseffekten hervorgerufen wird und in fataler Weise firmiert solcherart Mystifizierung des Offensichtlichen neuerdings auch in den Protestbewegungen unter dem Label „Kapitalismuskritik“. Da wundert es dann nicht mehr, dass laut den Apologeten dieser Art von „Kritik“ die schlimmen Verhältnisse nicht zu bekämpfen und zu überwinden sind, sondern „geheilt“ werden können: „Durch behutsame Lösung von Blockierungen löst sich von selbst eine Fülle von Problemen, die erst aus der Blockierung entstanden sind. Das ist vielleicht der tiefere Sinn des Wortes “Lösung”. Wir brauchen dieses Wort nur wörtlich zu nehmen – es beinhaltet den Schlüssel zu Heilungen vielfältiger Art.“ (Bernd Senf, Begründer der so genannten „Monetative“)

Es ist notwendig solchen Irreführungen entgegenzutreten und Protest und Widerstand wo immer möglich aufrechtzuerhalten, denn die Krise des Kapitals ist durchaus geeignet, auch das Kapitalverhältnis selbst in die Krise zu führen.

Die Nervosität der Kapitalseite, des ideellen Gesamtkapitalisten oder einfacher: der Regierungen, rührt in der aktuellen Situation nicht so sehr daher, dass es eine weitere vorübergehende Krise zu bewältigen gilt. Das Problem ist vielmehr, dass es von Seiten der Herrschenden keine neue Perspektive mehr gibt, die Metamorphose der Lüge funktioniert nicht mehr und das ist den Mächtigen zumindest instinktiv bewusst.

Das äußert sich in völlig kopflosem Krisenmanagment der Staaten bei gleichzeitig kopflosen Massenprotesten. Das muss aber nicht so bleiben. Die Frage ist, wie, wenn nicht brutal und repressiv, der scheiternde Kapitalismus verteidigt und in die nächste Runde gerettet werden soll.

Während Euro-, Banken- und Staatenrettungen zum Dauerszustand werden, verkürzt sich die Halbwertzeit dieser Rettungen auf Tage. Man kommt mit dem Retten kaum mehr hinterher.

Während im Bundestag die so genannten „Spanien-Rettung“ via 100 Milliarden Euro-Hilfe verabschiedet wurde, stiegen nicht nur die Zinsen für spanische Staatsanleihen auf ein Niveau, auf dem laut ftd.de „sich Spanien nicht auf Dauer am Markt finanzieren (kann), ohne dass die Staatsschulden wegen der steigenden Zinslast nicht mehr tragbar wären“. Der IWF wundert sich darüber, „dass ein Anstieg des Risikoaufschlags Spaniens um vier Prozentpunkte allein im ersten Halbjahr schon lange nicht mehr mit den Fundamentaldaten des Landes zu erklären sei“.

Verwunderung und Perspektivlosigkeit also allerorten, doch die Regierungen wissen, was auf sie zukommt, wenn der zwanglose Zwang zunehmend als die Lüge erscheint, der er ist, weil er eben nur so lange Menschen in Arbeit und somit kapitalistische Vergesellschaftung zwingen kann, solange er Arbeit bereitstellt bzw. generiert bzw. einsaugt.

Man rüstet sich also: „Sicherheitstechniker haben eine Schallkanone entwickelt, die einen weltrekordverdächtigen Lärm erzeugt. Auf Lastwagen montiert, soll das sogenannte Herbertzhorn in Zukunft Wasserwerfer ersetzen“, meldet entzückt ein Käseblatt aus Nordhessen und feixt: „Dem gebündelten Schall kann sich niemand auf weniger als etwa 100 Meter nähern, ohne dass ihm körperlich unwohl wird. Selbst bei Gehörschutzträgern löst die Lärm-Attacke so starke Schwingungen im Körper aus, dass Schwindel und Übelkeit die Folgen sind. Jeder, der beschallt wird, verlässt fluchtartig dessen Wirkungsbereich.“

Es kommt für Protestbewegungen also vor allem darauf an, sich nicht von Scheinlösungen und esoterisch strukturierter Kritik blenden zu lassen, sondern kühlen Kopf zu behalten, wo die Mächtigen den Ihren gerade verlieren und ihnen nichts mehr einfällt als ohrenbetäubender Lärm. Gleichzeitig ist es für soziale Kämpfe nicht in erster Linie entscheidend, warum, sondern dass sie geführt werden, allzu zimperlich sollte man dabei nicht sein.

Erschienen auf occupy-public-space.com am 25.7.2012
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