Die Antwort »Ich wollte mir einen Kindheitstraum erfüllen« ist ganz falsch, wenn man während eines Pornocastings gefragt wird, warum man eigentlich an so etwas teilnehme.
Erschienen in Titanic Magazin 05/2013
Nicolai Hagedorn - 19. Mai, 21:02
Der monumentale ZDF-Dreiteiler „Unsere Mütter, unsere Väter“ findet ein großes Publikum. Dabei bedient er mit seinem Revisionismus in erster Linie die deutsche Volksseele. Während Deutschland Europa real wieder das Fürchten lehrt, kommt die Selbstvergewisserung via TV gerade recht.
Es sind die letzten Kriegstage des Zweiten Weltkriegs, die Kapitulation steht kurz bevor, als der Held sich opfert. Unterlegt mit einem Streicher-Furor tritt Wehrmachtssoldat Friedhelm irgendwo in einem polnischen Waldgebiet der feindlichen Übermacht der roten Armee entgegen und lässt sich mit dem Gewehr im Anschlag von Kugeln durchlöchern. Es ist ein deutscher Heldentod und die Katharsis der Nation. Dramaturgisch unnötig, aber ideologisch der Knackpunkt des Films „Unsere Väter, unsere Mütter.“
Dieser bemüht sich zuvor über vier Stunden lang darum, der neuen europäischen Hegemonialmacht Deutschland vorzuführen, dass man als Deutscher heute wieder unbekümmert zur Nation stehen kann. Es darf allerdings bezweifelt werden, dass es eine gute Idee ist, einer Bevölkerung, die mittels Selbstverarmung in den letzten 15 Jahren den Rest Europas in die mähliche Verelendung konkurriert hat und längst wieder anderen den eigenen asozialen Willen aufdrängt, einzureden, das einzige, was der Wiedererlangung legitimer Großmannsansprüche noch im Weg steht, sei obsolet; nämlich der Makel der besonderen Schwere genuin deutscher geschichtlicher Schuld. Wo nämlich kein Makel ist, muss auch nichts entfernt werden und man kann frisch-fromm zur ehrgeizigen Tagesordnung zurückkehren.
Hätten indes die Macher von „Unsere Mütter, unsere Väter“ Friedhelm einfach aus dem Krieg heimkehren lassen, dann wäre diejenige der fünf befreundeten Hauptfiguren des Films als einzige umgekommen, die nicht an der Front oder im Viehtransport Richtung KZ gelandet war, sondern in Berlin als Sängerin zurückblieb. Eine solche Darstellung wäre dann aber wohl nicht einmal durch den größten Pathos-Quark der Off-Stimme noch plausibel zu machen gewesen.
Die Filmhandlung beginnt mit fünf gerade dem Teenageralter entwachsenen Freunden, davon vier Arier und ein Jude, die in Berlin gut gelaunt den Beginn des Russlandfeldzuges der Wehrmacht erleben. Im Gefühl des sicheren Sieges gehen die Brüder Wilhelm und Friedhelm samt der Lazarettschwester Charlotte an die Ostfront, während die Sängerin Greta an der Heimatfront für gute Stimmung sorgt. Der fünfte Freund heißt Viktor, ist Gretas Freund, Jude und wird deportiert, obwohl sich seine Freundin - etwas widerstrebend auch mit körperlichem Einsatz - beim zuständigen SS-Mann für ihn stark gemacht hat. Außerdem verspricht der Sturmbannführer Greta eine Karriere als Sängerin, verschweigt ihr aber, dass er Viktor nur zum Schein Ausreise-Papiere besorgt hat. Letzterer entkommt aber gemeinsam mit einer jungen Polin aus dem Viehwaggon und schließt sich einer brutalen polnischen Partisanen-Gruppe an, deren fanatischer Antisemitismus auf eine Art und Weise heraus- und ausgestellt wird, dass das liberale polnische Nachrichtenmagazin Uwazam Rze verständlicher Weise verärgert titelte: „Geschichtsfälschung. Wie die Deutschen sich zu Opfern des Zweiten Weltkriegs machen“.
Derweil erleben Wilhelm, Friedhelm und Charlotte die Gräuel des Bodenkrieges. Wilhelms Desertationsversuch scheitert und er wird in eine Strafeinheit versetzt, die auf dem Rückzug der Wehrmacht für die verbrannte Erde zuständig ist.
Sein Bruder Friedhelm, der anfangs unter Wilhelm in einer Artillerie-Einheit dient, wird auf Befehl des SS-Teufels Hiemer erst zum Kindsmörder und dann zum Lebensretter und Nazikiller, indem er Hiemer erschießt und damit Freund Viktor (dem Juden!) das Leben rettet. Schließlich rennt er, siehe oben, allein ins Feuer des Feindes.
Charlotte denunziert erst eine jüdische Ärztin, die als Kriegsgefangene im deutschen Lazarett als Krankenschwester aushilft, bereut dies aber umgehend und versinkt fortan in Tränen ob all dem Grauen um sie herum. Als sie erfährt, dass Wilhelm gefallen ist, was sich später als Ente herausstellt, beginnt sie aber noch eine Affäre mit dem um einiges älteren Lazarett-Oberarzt.
Schließlich treffen sich die drei überlebenden Freunde nach Kriegsende in Berlin wieder, während Obersturmbannführer Dorn unbehelligt seinen neuen Job in der Nachkriegs-Verwaltung antritt, gedeckt von einem US-Captain.
Nach viereinhalb Stunden „volkspädagogisches Projekt“ (G. Diez) ist klar: Die Bösen sind immer die anderen: Nazis (schlimme Ausnahmen), Antisemiten (polnische Widerstandkämpfer), Nazi-Kollaborateure (Amerikaner nach dem Krieg) und Vergewaltiger (Russen). Zwar werden hin und wieder Erschießungen gezeigt, an denen sie teilnehmen müssen, aber unsere Mütter und Väter haben sofort Gewissensbisse, und Friedhelm erschießt sogar den brutalen SS-Standartenführer Hiemer, während Wilhelm einen anderen Bösewicht, den skrupellosen Oberfeldwebel Krebs ersticht. So werden unsere Mütter und Väter kurzerhand zu menschenfreundlichen Nazi-Jägern umgedeutet. Die polnischen Widerstandskämpfer hingegen erklären: „Wir ertränken Juden wie Katzen“. Die jüdische Ärztin, die zuvor von unserer Mutter Charlotte denunziert worden war, entkommt der Vernichtungsmaschine und lässt später als Rote-Armee-Offizierin eine junge russische Hilfsschwester hinrichten, obwohl unsere Mutter Charlotte sich noch für diese einsetzt!
Die dramatisierende Verbindung von Hochglanz-Ästhetik und Nahaufnahmen (selbst direkte Kriegshandlungen werden meist höchstens in der Halbtotalen dargestellt) erhöht die Identifikation mit den Protagonisten und verwirft den Anspruch eines klaren Blickes auf Schuld und Verantwortlichkeiten, der zur Kenntnis nehmen müsste, „daß die Deutschen allein den blutigsten Krieg der bisherigen Geschichte und ein beispielloses, systematisches Massenmordprogramm zu verantworten haben“, wie Georg Später in anderem Zusammenhang festhielt. Dieses fand nicht im Namen der Regierung oder der NSDAP, sondern im Namen und - wie der Großteil der deutschen Bevölkerung glaubte - zum eigenen Nutzen statt. Deshalb mordeten unsere Mütter und Väter mit oder hielten zumindest still, selbst als sich die Ausmaße der Mordmaschine längst herumgesprochen hatten. Nicht aus Angst oder Ahnungslosigkeit, sondern weil sie für sich selbst einen materiellen Vorteil und für sich als Deutsche eine Machtposition gegenüber anderen erhofften. Dass, wie Brecht formulierte, der Schoß, aus dem das kroch, noch fruchtbar ist, zeigt die Bereitschaft der heutigen deutschen Bevölkerung, den größten Sozialabbau in der Geschichte der BRD hinzunehmen, um sich einen wirtschaftlichen Vorteil zu sichern. Statt jetzt, wo die unmenschlichen Auswirkungen für Griechen, Spanier und andere offen zu Tage treten, die eigene Vorgehensweise zu überdenken, werden rassistische Stereotype von faulen, weniger leistungsstarken Griechen und Spaniern repetiert und das ist immer der erste Schritt auf dem Weg zu Herrenrasse und Untermensch.
Alle Beteiligten an Veranstaltungen wie „Unsere Mütter, unsere Väter“, Produzenten, Schauspieler, Regisseure sowie die Protagonisten des bürgerlichen Mainstreams vom Schlage etwa des unvermeidlichen Frank Schirrmacher, der sich in einer Rezension zum Film allen Ernstes über die Schlafgesundheit von Nazis Sorgen macht; sie alle und ihr Unfähigkeit zu einem ehrlichen Umgang mit der Geschichte und der daraus erwachsenden abstrakten und konkreten eigenen Verantwortlichkeit sorgen dafür, dass auch in Generationen sich Deutsche für ihre Vorfahren noch werden schämen müssen.
Erschienen in Graswurzelrevolution 05/2013 (GWR 379)
Nicolai Hagedorn - 19. Mai, 20:53