Mittwoch, 1. Januar 2014

Wer regiert das Geld?

Zum Tode von Margrit Kennedy

Wer die energische kleine Frau live erlebt hat, weiß, dass Margrit Kennedy es mit ihrem Engagement ernst meinte. Seit Anfang der 1980er Jahre kämpfte sie gegen die Auswüchse des Zinssystems, das sie als Grund des kapitalistischen Übels ausgemacht hatte. »Ich glaube, dass es in unserem Bildungssystem eine kleine Bildungslücke gibt«, erklärte sie 2011 in der NDR-Talkshow und verblüffte die anwesenden Prominenten mit der Frage, ob sie sich eher wöchentlich 1000 Euro auszahlen lassen würde oder einen Cent als Einstiegslohn, der sich von Woche zu Woche verdopple. 22,5 Billionen Euro verdiene man mit der zweiten Variante in einem Jahr.

Studiert hatte Kennedy Architektur. Sie arbeitete in den 1970ern u.a. für OECD und UNESCO in Nord- und Südamerika, promovierte in Pittsburgh und lehrte später an der Uni Kassel. Anlässlich der Internationalen Bauausstellung in Berlin 1977-87 leitete sie den Forschungsbereich Ökologie, Energie und Frauenprojekte und stieß dabei auf Finanzierungsprobleme ökologischer Bauvorhaben, was sie dazu brachte, den Finanzierungsvorbehalt vieler Betriebe in Sachen Umweltschutz zu hinterfragen. Kennedy machte sich daran, den Wachstumszwang der kapitalistischen Wirtschaft auf Fehler im Geldsystem hin zu überprüfen und veröffentlichte 1987 das Buch »Geld ohne Zinsen und Inflation«. Darin analysierte sie die Möglichkeiten alternativer Währungen und Geldsysteme.

Mit den jüngsten Finanzkrisen interessierte sich eine breitere Öffentlichkeit für ihre Thesen. Als die Occupy-Bewegung in Deutschland aktiv wurde, beriet Kennedy die Aktivisten. Sie gründete die Gruppe »Occupy Money« mit und veröffentlichte ein gleichnamiges Buch. »Geld regiert die Welt! Das ist heute offensichtlich. Doch wer regiert das Geld? Die weltweite Wirtschaftskrise belegt, dass diese Frage für die meisten Menschen zur Überlebensfrage geworden ist«, heißt es im Vorwort.

Kennedy war überzeugt, dass der krisenhafte Kapitalismus zu »heilen« sei, übersah aber, dass die Wachstumsnotwendigkeit nicht monokausal erklärt werden kann. Ihr Engagement für eine bessere Welt war ehrlich, ihre Argumentation aber konnte einer Überprüfung oft nicht standhalten. Weder lässt sich die durch Zins und Zinseszins hervorgerufene exponentielle Vervielfachung von Schulden empirisch nachweisen, noch ist der Zusammenhang logisch haltbar.

So enthält das politische Engagement Kennedys eine gewisse Tragik, da sie ihre einmal gewonnene Erkenntnis von den Auswirkungen des falschen Geldsystems nicht weiterentwickeln konnte und damit noch 2011 Regionalwährungen und Zeitbanken propagierte. Kennedy wollte die kapitalistischen Grundkategorien nicht überwinden, sondern so einhegen, dass sie den Menschen dienen. Sie war eine streitbare und energische Kritikerin der Verhältnisse. Am vergangenen Sonnabend starb sie wenige Monate nach einer Krebsdiagnose im Ökodorf »Lebensgarten Steyerberg« - einem Projekt, für das sie sich bis zu ihrem Tod engagiert hatte.

Erschienen in Neues Deutschland vom 31.12. 2013

Blockupy die Dritte

Bei der Blockupy-Aktionskonferenz in Frankfurt wurde antikapitalistischer Protest für das kommende Jahr geplant. Im Mittelpunkt stand die Zusammenführung lokal und thematisch divergierender Protestformen.

Angesichts der sich zuspitzenden Krise in Europa war das auch internationale Interesse an der Vorbereitungsveranstaltung zur dritten Auflage der Blockupy-Proteste nicht verwunderlich und auch die immer wieder geäußerte Hoffnung vieler Aktivisten, dass die für 2014 geplanten Aktionen „großartig“ würden, ist nicht so weit hergeholt. Knapp 500 Aktivisten waren aus halb Europa nach Frankfurt gekommen.
Deutlichster Ausdruck der Internationalität der Blockupy-Bewegung ist die Tatsache, dass auf den Plenen und zum Teil auch in den Workshops am zweiten und dritten Tag der Aktionskonferenz häufig auf Englisch diskutiert wird. Zwei Dolmetscher übersetzen die wenigen Beiträge auf Deutsch ebenfalls ins Englische, es wird viel Spanisch, Italienisch, Griechisch aber auch Bulgarisch und Französisch gesprochen vor und im altehrwürdigen Frankfurter Studierendenhaus auf dem alten Campus Bockenheim, demVeranstaltungsort der Blockupy-Aktionskonferenz.
Diese Internationalität, oder auch Transnationalität oder Antinationalität ist allgegenwärtig und in vielen Stellungenahmen der beteiligten Gruppen nach der Konferenz ist sogar von einer Mobilisierung „in Europa und darüber hinaus“ die Rede. Es ist neben vielen positiven Entwicklungen während der drei Tage im November 2013, auf denen laut Auskunft der Veranstalter Aktivisten aus über 15 Ländern anwesend waren, die erfreulichste.
Wer die Polemiken innerhalb der deutschen aber auch der weltweiten Linken kennt, weiß, wie die unterschiedlichen Ansichten oft unüberwindbare Hindernisse darstellen. Umso erstaunlicher, dass Blockupy offenbar eine durchaus integrative Wirkung hat. Das mag an der schieren Größe der Veranstaltungen in den Jahren 2012 und 2013 mit mehreren zehntausend Teilnehmern liegen. Da will dann jeder, der den Glauben (welchen auch immer) an eine grundlegende gesellschaftliche Veränderung noch nicht ganz aufgegeben hat, natürlich dabei sein. Und so sind, wie auch im vergangenen Jahr Anarchisten, Antifas jeder Schattierung, Freunde „solidarischer Ökonomien“, selbst ernannte revolutionäre Gruppen, Attac-Globalisierungskritiker, Neomarxisten aller Couleur, Gewerkschafter, Occupy-Aktivisten und interventionistische Linke anwesend. Streit gab es indes kaum.
Stattdessen diskuterte man konzentriert und solidarisch in den Workshops die Möglichkeiten besserer Verknüpfung von Großevents wie Blockupy mit lokalen und regionalen Kämpfen. Es wurden neben Fragen der kapitalistischen Krisenzuspitzung auch deren immer dramatischeren Folgen, wie weitere Verarmung großer Bevölkerungsschichten, zunehmende Arbeitslosigkeit und immer größere Einkommens- und Vermögensungleichheiten thematisiert.
Da es kaum eine Weltregion mehr gibt, in der die (nachholende) Modernisierung nicht genau diese Folgen zeitigt, ist es nur folgerichtig, dass der die ganze Veranstaltung dominierende Grundkonsens die Zusammenführung und Globalisierung verschiedener Kämpfe und Proteste war.
In weiteren Workshops wurden die konkreten Krisenfolgen erörtert, von „Perspektiven für Kämpfe von MigrantInnen und Refugees“ war ebenso die Rede wie von „Kämpfen gegen schmutzige Energie, Großprojekte und Ökodesaster“. Was das Kapital eben so alles anrichtet.

Bei aller Solidarität in den Debatten und in der gemeinsamen Planung des Blockupy-Events sind die inhaltlichen Differenzen natürlich keinesfalls überwunden und die Tatsache, dass in der Pressemitteilung im Anschluss an die Konferenz wieder die üblichen Dämlichkeiten politikberatender Pseudokritik von so genannten „Blockupy-Sprechern“ heruntergebetet werden, dürfte auch einem großen Teil der Konferenzteilnehmern kaum gefallen. Da ist von einem „Kampf für Demokratie, Solidarität und Commons“ die Rede, die sprachkrampfigen #-Zeichen vor jedem Begriff dürfen selbstverständlich nicht fehlen, man will ja trotz aller Kritik irgendwie postmodern cool „rüberkommen“.
Darin kommt bei allem guten Willen in erster Linie die Begriffslosigkeit der Protestbewegungen im Angesicht der nicht enden wollenden Krise zum Ausdruck. Man hat irgendwie davon gehört, dass sich der Kapitalismus in einer historisch einmaligen Phase offen zutage tretender Selbstwidersprüchlichkeit befindet, man sieht auch die Folgen, einige Teilnehmer aus Südeuropa vor der eigenen Haustür oder gar am eigenen Leib, einen Reim darauf kann (und will) man sich aber (lieber) nicht machen. Und so hört man wiederholt, die Demokratie müsse verteidigt und vom Kapitalismus befreit werden. Demokratie ist aber eben nichts als ein Verfahren gemeinsamer Entscheidungsfindung, im Grunde nichts als eine spezifische Form von Sozialtechnik, während unter Kapitalismus auch auf der Konferenz offenbar jeder etwas anderes versteht. Damit auf der Straße dann auch jeder „Anticapitalista“ mitgrölen kann. Ein Teilnehmer hält, wie er sagt, „die Auswüchse der Finanzwirtschaft“ für den Kapitalismus. So gesehen wäre aber auch Wolfgang Schäuble Antikapitalist. Eine begriffliche Schärfung, die dazu führen müsste, die bürgerliche Demokratie und Marktwirtschaft selbst ins Visier der Kritik zu nehmen, fällt auch den Blockupy-Aktiven schwer, man würde wohl einen großen Teil der Anwesenden mit ernst gemeinter radikaler Kritik überfordern.

Wie gut, dass es am Sonntag dann auch vor allem um Organisatorisches geht. Insbesondere da Blockupy 2014 als Gegenveranstaltung zur Eröffnung des neuen EZB-Towers in Frankfurt geplant ist und bisher der Termin der Eröffnungsveranstaltung nicht feststeht, stellt dies tatsächlich eine außergewöhnliches Herausforderung dar. So will man für einen „Tag X“ mobilisieren, eine Vorgehensweise, die nicht unbekannt ist: Ähnliches war auch bei Protesten gegen Castor-Transporte notwendig.
Fest steht, dass die EZB-Eröffnung und damit auch Blockupy erst im Herbst kommenden Jahres stattfinden werden, weshalb man sich zusätzlich auf vorbereitende Werbemaßnahmen im Mai einigte. Diese sollen dezentral stattfinden und helfen, die örtlich und thematisch unterschiedlichen Kämpfe und Proteste insofern zu harmonisieren, dass man dabei einerseits den krisenhaften Gesamtzusammenhang herstellen und andererseits für das Protestevent im Herbst mobilisieren kann.
Die Planungen dafür laufen ab sofort auf Hochtouren, für den Januar wurde ein weiteres Treffen vereinbart.

Die Stimmung während der drei Tage im herbstlichen Frankfurt war jedenfalls bestens, die Diskussionen solidarisch und sachlich und es wehte ein Hauch von Aufbruchsstimmung durch das Frankfurter Studihaus, das von 68er-Bewegten bis Anti-Studiengebührendemos schon so manche Revolte mitgemacht hat. Die teils überschwänglichen Redebeiträge in den abendlichen Plenen zeigten, dass es tatsächlich so etwas wie ein neues Zusammengehörigkeitsgefühl innerhalb der Linken gibt und dass Zusammenkünfte wie die Blockupy-Konferenz äußerst motivierend für die Beteiligten sind. „Ich war auch in einem Workshop. Es war eine sehr interessant Diskussion mit verschiedenen, auch kontroversen Standpunkten. Ich hätte nicht gedacht, dass so viele Leute von so weit her nach Frankfurt kommen würden und bin selbst schon ein bißchen euphorisch. Es ist eine sehr angenehme Atmosphäre, ich glaub, das wird gut“, freute sich Anousha von Occupy Frankfurt und brachte damit auf den Punkt, was man auf den Gängen immer wieder hörte: Schon das Gefühl, nicht allein oder marginalisiert zu sein, lohnt die Anstrengung.
Für zusätzliches Amüsement sorgten im Übrigen die Frankfurter Polizei und der AStA der Uni, der die Räumlichkeiten am Bockenheimer Campus zur Verfügung stellte. Während erstere den anwesenden Gruppen eine E-Mail-Adresse anbot, an die man sich richten könne, wenn man mit der Polizei zusammenarbeiten wolle, machte sich zweiterer Sorgen um die Kleiderordnung und bat die Teilnehmer darum, ihre Palästinensertücher in die Taschen zu stecken, sofern mitgebracht. Außerdem wurden Flyer mit dem Titel „Coole Kids tragen keine Pali-Tücher“ ausgelegt, in denen dazu geraten wird, sich doch bei „H&M“ oder „C&A“ mit neuen Schals einzudecken.

Erschienen in Graswurzelrevolution (GWR) 384
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