Bosnischer Aufruhr

Mitten in Europa steht nicht nur Bosnien-Herzegowina vor einem gesellschaftlichen und ökonomischen Scherbenhaufen. Die bosniche Bevölkerung will sich das nicht länger gefallen lassen.

Nach der Schließung mehrerer Industriebretriebe in der ehemaligen bosnischen Wirtschaftsmetropole Tuzla hatte die Bevölkerung genug. Bereits seit Wochen hatte es jeden Mittwoch Demonstrationen gegeben, als in der ersten Februarwoche die Proteste, unterstützt von Studenten der Universität Tuzla, eine neue Qualität gewannen. Am folgenden Donnerstag schlugen die Demonstrationen endgültig in Gewalt um, rund 5000 Demonstranten lieferten sich Straßenschlachten mit der Polizei und versuchten, die Gebäude der Regionalverwaltung einzunehmen.
Die Aufstände griffen schnell auf weitere Städte Bosniens über, auch in Zenica, Mostar und in der Hauptstadt Sarajevo kam es zu gewaltsamen Auseinandersetzungen mit der Polizei. Nachdem sich teilweise auch Polizisten mit den Protestierenden solidarisiert hatten, traten unter anderem die Kantonalregierungschefs von Tuzla und Zenica zurück, schließlich verabschiedete sich der Chef der Regionalregierung von Sarajevo, Suad Zeljkovic, mit den Worten: „Ab morgen können all jene, die so gerne plündern, eine glücklichere Zukunft Sarajevos aufbauen“.
Bosnien war nach dem Jugoslwawienkrieg im Zuge des Daytoner Abkommens in zwei Entitäten geteilt, die gemeinsam den Staat Bosnien-Herzegowina bilden. Die beiden Teilrepubliken Srpska (Serbische Republik) und die Föderation von Bosnien-Herzegowina werden von mehreren Regionalregierungen verwaltet.
Westliche Berichterstatter waren sich nach den Krawallen einig darin, dass sich die Proteste in erster Linie gegen die grassierende Korruption, die Selbstbedienungsmentalität der politischen Eliten und einige gescheiterte Privatisierungen richteten. Die FAZ zitierte gar eine Studie des marktradikalen „Populari Instituts“, das von so genannten NGOs wie der „Charles Stewart Mott Foundation“ (benannt nach dem ultraliberalen US-amerikanischen Republikaner Mott) unterstützt wird, oder der Mozaik Foundation, die wiederum von der Weltbank, Microsoft und der „Uni Credit Foundation“ gesponsert wird. Für die FAZ ist dieser Kapitalisten-Think Tank das „beste soziologische Forschungsinstitut Bosniens“ und dieses kommt wenig überraschend zu der grandiosen Erkenntnis, „die Einstellung der jungen Leute“ in Bosnien sei das eigentliche Problem. „Eltern bestärkten ihre Kinder in dem Irrglauben, sie seien „zu wertvoll“, um Arbeiten anzunehmen, die nicht prestigeträchtig sind oder nicht in ihr Bildungsprofil passen“, beschweren sich die Forscher, die offenbar den Verstand verloren haben angesichts einer Jugendarbeitslosigkeit von rund 50 Prozent und Durchschnittslöhnen von monatlich 400 Euro in Bosnien.
Wahrscheinlicher ist, dass die Bevölkerungen der zunehmend verelendeten Staaten des ehemals sozialistischen Ostblocks allmählich bemerken, wie wenig die spätkapitalistische Krisensystematik ihre prekäre Lage zu bessern im Stande ist. Selbstverständlich können weder die Ukraine, noch die Staaten des ehemaligen Jugoslawien, noch Russland, noch der Ostteil der Bundesrepublik die Kosten aufbringen, die erforderlich wären, um die eigenen Volkswirtschaften wettbewerbsfähig zu machen. Trotz immer niedrigerer Lohnniveaus bleiben in vielen Staaten der kapitalistischen Peripherie schlicht die Kapitaströme aus, die nötig wären, um eine nachholende Modernisierung ins Werk zu setzen.
Dass es eine solche überhaupt noch geben kann, ist angesichts weltweit gigantischer Überkapazitäten längst ein ökonomisches Märchen. Sofern man den Berichten von den bosnischen Protesten Glauben schenken darf, haben die Einwohner Bosnien-Herzegowinas im Zuge des Aufstandes den von den politischen Eliten dauernd geschürten nationalistischen Ressentiments eine Absage erteilt. Blieben sie dabei, wäre eine antikapitalistische Krisenanalyse ohne liberal-nationale Sündenbocklogik a la Ukraine möglich.
Eine Exilbosnierin notierte auf ihrer Facebook-Seite: „Ich bin so stolz auf mein Volk.“

Erschienen in Graswurzelrevolution (GWR) 387 (März 2014)
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