Klassenjustiz und eine entfesselte Polizei
Zehn Monate nach der antikapitalistischen Demonstration „M31“ in Frankfurt, bei der ein Polizist verletzt wurde, beschlagnahmt die Polizei bei einer deutschlandweiten Razzia Computer und Fotodateien. Ähnlich wie die Versammlungsfreiheit bei den Protesten spielt auch die Pressefreiheit längst keine Rolle mehr bei den Fakten schaffenden Aktionen des Staates.
„Vernunft ist ein schlechtes Kriterium um zu verstehen, was Polizei und Justiz in diesem Lande so treiben“, ruft der Vertreter der Antifaschistischen Aktion am Frankfurter Opernplatz am Freitagabend des 8. Februar 2013 ins Megaphon. Rund 250 Demonstranten haben sich eine Stunde zuvor auf der Frankfurter Einkaufspassage „Zeil“ spontan versammelt, um gegen die Razzia bei Pressefotografen im Zusammenhang mit den teilweise gewaltsamen Protesten in Frankfurt am 31. März 2012 zu protestieren.
Während der Demonstration M31 war es unter anderem zu einem Vorfall gekommen, bei dem ein Polizist laut Angaben der Behörden schwer verletzt wurde und auf der Intensivstation behandelt werden musste. In der bürgerlichen Presse war damals von einem brutalen Angriff die Rede, BILD-Reporter Max Schneider fabulierte von einer Attacke, bei der die Demonstranten „einen Polizeibeamten am 31. März fast totschlugen.“ Polizeisprecher Rüdiger Reges assistierte, der „Mob“ habe den Beamten mit „Kung-Fu-Tritten“ traktiert und laut Schneider habe der „wehrlose“ Polizist „ein hochgiftiges Pfeffer-Säure-Gemisch“ ins Gesicht bekommen, „das dem Beamten die Augen verätzt“ habe. Jede journalistische Professionalität fahren lassend, freute sich der BILD-Mann: „Jetzt zieht sich das Netz um die feigen Demo-Schläger zu!“
Wie üblich war BILD auf dem Holzweg: Das hochgiftige Pfeffer-Säure-Gemisch stellte sich als übliches Pfeffer-Spray heraus, das von der Polizei am 31. März literweise und wahllos in die Demonstration gesprüht worden war, wohlgemerkt von gepanzerten und schwer bewaffneten Polizeieinheiten gegen ungepanzerte und unbewaffnete Demonstranten. Der Beamte, der laut dem Vertreter der Antifa „selbst nach Aussagen der Frankfurter Staatsanwaltschaft (…) nur das abbekommen [hat], was sonst eigentlich für DemonstrantInnen und soziale Minderheiten reserviert ist – und immer von der Polizei kommt: Pfefferspray und Schläge“ , war mitnichten fast tot, sondern kurze Zeit später wieder im Dienst und bis heute hat sich „das Netz“ der Fahnder keineswegs „zugezogen“, obwohl BILD verschwommene Fotos von angeblichen Augenzeugen präsentiert hatte.
Vielmehr tappt die Frankfurter Sonderkommission auch 10 Monate nach M31 hinsichtlich der Täter im Dunkeln, weshalb am 6. Februar 2013 bei einer Razzia in mehreren Bundesländern Fotojournalisten aufgesucht und tausende Bilder beschlagnahmt bzw. kopiert wurden. Bei einem Journalisten, der nicht anzutreffen war, wurde die Wohnung gewaltsam geöffnet und durchsucht.
Laut Doris Möller-Scheu, Sprecherin der Frankfurter Staatsanwaltschaft, sollten bei der Aktion Originalbilder ermittelt werden, die „die Umgebung des Tatortes“ zeigten. Die Staatsanwaltschaft sei dabei davon ausgegangen, dass die Betroffenen, deren Privaträume durchsucht wurden, „nicht als Pressefotografen tätig waren, sondern selbst der linksradikalen Szene zuzurechnen seien“, wie der kress Mediendienst berichtet.
Dummerweise meldeten sich in den Tagen nach der Durchsunchungsaktion mehrere Betroffene zu Wort, deren Aussagen einhellig darauf hinweisen, dass die Staatsanwaltschaft wissen musste, wen sie da durchsucht. Wer etwa die Namen Christian Mang oder Björn Kiezmann googelt, weiß in Sekunden, dass beide als Pressefotografen arbeiten. Peinlich wird es für die „Ermittler“ im Fall Kiezmann, denn laut taz gehört dieser zu den Journalisten, „die so häufig mit der Pressestelle der Berliner Polizei in Kontakt sind, dass sie im Dezember mit einer Weihnachtskarte bedacht wurden.“
Ungeachtet der Frage, wie sich der Angriff auf den Beamten am 31. März genau zugetragen hat und auch unter Anerkennung der Tatsache, dass bei M31 die Provokationen durchaus nicht ausschließlich von Seiten der Polizei ausgingen, zeigt sich an dem Vorgehen der Behörden, in welchem Ausmaß deutsche Polizei und Staatsanwaltschaften mittlerweile ein Eigenleben führen, das auf Grundrechte keine große Rücksicht mehr zu nehmen braucht, wenn es um die Verfolgung von Straftaten im Zuge des Widerstands gegen die kapitalistischen Zumutungen geht. Im so genannten „Cicero-Prozess“ hatte das Bundesverfassungsgericht festgelegt, „dass bei Journalisten nur durchsucht werden darf, wenn es Beweise dafür gibt, dass sie selbst eine Straftat begangen haben“, wie die Potsdamer Neusten Nachrichten erinnern und Andreas Köhn, Bereichsleiter bei der Dienstleistungsgewerkschaft ver.di Berlin-Brandenburg, erklärte gegenüber dem Neuen Deutschland, es handele sich bei der Razzia um einen Verstoß gegen die Strafprozessordnung: „Gemäß Paragraf 97 Absatz 5 gibt es ein Beschlagnahmeverbot, das für Journalisten ebenso wie für Rechtsanwälte, Pfarrer, Ärzte und Abgeordnete gilt“.
Wie sehr sich das polizeiliche Gewaltmonopol an den wenigen Widerständlern austobt, hat sich wenige Wochen nach M31 auch bei den Blockupy-Protesten in Frankfurt gezeigt, als die Innenstadt weiträumig abgesperrt wurde, die Veranstaltungen zum größten Teil verboten wurden, Menschen widerrechtlich und oft willkürlich eingekesselt, festgehalten oder an der Einreise nach Frankfurt gehindert wurden.
Eine Neuauflage der Blockupy-Proteste ist indes längst geplant und kurz bevor sich die Demonstration am Frankfurter Opernplatz bei klirrender Kälte auflöst, verliest der Redner der Antifa noch eine Botschaft an die erneut mit großem Aufgebot angerückte Polizei: „Wir werden uns revanchieren. Spätestens bei Blockupy Ende Mai. Denn so oder so: Wir lassen uns nicht einschüchtern.“
Erschienen in Graswurzelrevolution 03/2013 (GWR 377)
„Vernunft ist ein schlechtes Kriterium um zu verstehen, was Polizei und Justiz in diesem Lande so treiben“, ruft der Vertreter der Antifaschistischen Aktion am Frankfurter Opernplatz am Freitagabend des 8. Februar 2013 ins Megaphon. Rund 250 Demonstranten haben sich eine Stunde zuvor auf der Frankfurter Einkaufspassage „Zeil“ spontan versammelt, um gegen die Razzia bei Pressefotografen im Zusammenhang mit den teilweise gewaltsamen Protesten in Frankfurt am 31. März 2012 zu protestieren.
Während der Demonstration M31 war es unter anderem zu einem Vorfall gekommen, bei dem ein Polizist laut Angaben der Behörden schwer verletzt wurde und auf der Intensivstation behandelt werden musste. In der bürgerlichen Presse war damals von einem brutalen Angriff die Rede, BILD-Reporter Max Schneider fabulierte von einer Attacke, bei der die Demonstranten „einen Polizeibeamten am 31. März fast totschlugen.“ Polizeisprecher Rüdiger Reges assistierte, der „Mob“ habe den Beamten mit „Kung-Fu-Tritten“ traktiert und laut Schneider habe der „wehrlose“ Polizist „ein hochgiftiges Pfeffer-Säure-Gemisch“ ins Gesicht bekommen, „das dem Beamten die Augen verätzt“ habe. Jede journalistische Professionalität fahren lassend, freute sich der BILD-Mann: „Jetzt zieht sich das Netz um die feigen Demo-Schläger zu!“
Wie üblich war BILD auf dem Holzweg: Das hochgiftige Pfeffer-Säure-Gemisch stellte sich als übliches Pfeffer-Spray heraus, das von der Polizei am 31. März literweise und wahllos in die Demonstration gesprüht worden war, wohlgemerkt von gepanzerten und schwer bewaffneten Polizeieinheiten gegen ungepanzerte und unbewaffnete Demonstranten. Der Beamte, der laut dem Vertreter der Antifa „selbst nach Aussagen der Frankfurter Staatsanwaltschaft (…) nur das abbekommen [hat], was sonst eigentlich für DemonstrantInnen und soziale Minderheiten reserviert ist – und immer von der Polizei kommt: Pfefferspray und Schläge“ , war mitnichten fast tot, sondern kurze Zeit später wieder im Dienst und bis heute hat sich „das Netz“ der Fahnder keineswegs „zugezogen“, obwohl BILD verschwommene Fotos von angeblichen Augenzeugen präsentiert hatte.
Vielmehr tappt die Frankfurter Sonderkommission auch 10 Monate nach M31 hinsichtlich der Täter im Dunkeln, weshalb am 6. Februar 2013 bei einer Razzia in mehreren Bundesländern Fotojournalisten aufgesucht und tausende Bilder beschlagnahmt bzw. kopiert wurden. Bei einem Journalisten, der nicht anzutreffen war, wurde die Wohnung gewaltsam geöffnet und durchsucht.
Laut Doris Möller-Scheu, Sprecherin der Frankfurter Staatsanwaltschaft, sollten bei der Aktion Originalbilder ermittelt werden, die „die Umgebung des Tatortes“ zeigten. Die Staatsanwaltschaft sei dabei davon ausgegangen, dass die Betroffenen, deren Privaträume durchsucht wurden, „nicht als Pressefotografen tätig waren, sondern selbst der linksradikalen Szene zuzurechnen seien“, wie der kress Mediendienst berichtet.
Dummerweise meldeten sich in den Tagen nach der Durchsunchungsaktion mehrere Betroffene zu Wort, deren Aussagen einhellig darauf hinweisen, dass die Staatsanwaltschaft wissen musste, wen sie da durchsucht. Wer etwa die Namen Christian Mang oder Björn Kiezmann googelt, weiß in Sekunden, dass beide als Pressefotografen arbeiten. Peinlich wird es für die „Ermittler“ im Fall Kiezmann, denn laut taz gehört dieser zu den Journalisten, „die so häufig mit der Pressestelle der Berliner Polizei in Kontakt sind, dass sie im Dezember mit einer Weihnachtskarte bedacht wurden.“
Ungeachtet der Frage, wie sich der Angriff auf den Beamten am 31. März genau zugetragen hat und auch unter Anerkennung der Tatsache, dass bei M31 die Provokationen durchaus nicht ausschließlich von Seiten der Polizei ausgingen, zeigt sich an dem Vorgehen der Behörden, in welchem Ausmaß deutsche Polizei und Staatsanwaltschaften mittlerweile ein Eigenleben führen, das auf Grundrechte keine große Rücksicht mehr zu nehmen braucht, wenn es um die Verfolgung von Straftaten im Zuge des Widerstands gegen die kapitalistischen Zumutungen geht. Im so genannten „Cicero-Prozess“ hatte das Bundesverfassungsgericht festgelegt, „dass bei Journalisten nur durchsucht werden darf, wenn es Beweise dafür gibt, dass sie selbst eine Straftat begangen haben“, wie die Potsdamer Neusten Nachrichten erinnern und Andreas Köhn, Bereichsleiter bei der Dienstleistungsgewerkschaft ver.di Berlin-Brandenburg, erklärte gegenüber dem Neuen Deutschland, es handele sich bei der Razzia um einen Verstoß gegen die Strafprozessordnung: „Gemäß Paragraf 97 Absatz 5 gibt es ein Beschlagnahmeverbot, das für Journalisten ebenso wie für Rechtsanwälte, Pfarrer, Ärzte und Abgeordnete gilt“.
Wie sehr sich das polizeiliche Gewaltmonopol an den wenigen Widerständlern austobt, hat sich wenige Wochen nach M31 auch bei den Blockupy-Protesten in Frankfurt gezeigt, als die Innenstadt weiträumig abgesperrt wurde, die Veranstaltungen zum größten Teil verboten wurden, Menschen widerrechtlich und oft willkürlich eingekesselt, festgehalten oder an der Einreise nach Frankfurt gehindert wurden.
Eine Neuauflage der Blockupy-Proteste ist indes längst geplant und kurz bevor sich die Demonstration am Frankfurter Opernplatz bei klirrender Kälte auflöst, verliest der Redner der Antifa noch eine Botschaft an die erneut mit großem Aufgebot angerückte Polizei: „Wir werden uns revanchieren. Spätestens bei Blockupy Ende Mai. Denn so oder so: Wir lassen uns nicht einschüchtern.“
Erschienen in Graswurzelrevolution 03/2013 (GWR 377)
Nicolai Hagedorn - 13. Apr, 23:39