Frankfurter Occupy-Aktivisten antworten per Videobotschaft auf die »Spanien-Rettung«
In Spanien und Deutschland vergrößert sich der Widerstand gegen die europäische Krisenpolitik. Über die Videoplattform Youtube fangen die Aktivisten an zu kommunizieren.
Im Februar hatte die spanische Gruppe Asbamlea3Cantos auf dem Internetportal Youtube eine Videobotschaft an die deutsche Bevölkerung veröffentlicht. Darin fordern spanische Aktivisten Solidarität mit den Opfern der Austeritätspolitik und eine Abkehr vom »Europa der Händler«. Aus Frankfurt kam nun eine Antwort.
»Die Spanien Rettung - El rescate a España«, so der Titel des Youtube-Videos, zählt mittlerweile über 120 000 Aufrufe, der Fernsehsender 3sat berichtete in seiner Sendung »Bauerfeind« ausführlich von der Aktion, auch das ZDF-Magazin »aspekte« und andere Medien griffen das Thema auf. In dem siebenminütigen Clip heißt es, die so genannte Spanien-Rettung belohne die Banken, »die uns in diese Krise gestürzt haben«. Das spanische Volk müsse die Fehler der Banken nun ausbaden, die Demokratie sei in Gefahr. Adrián Selva und Natalia Muñoz-Casayús, die Macher des Films, erklärten gegenüber 3sat, man suche auf diese Weise die direkte Kommunikation mit den Deutschen abseits der großen Medien.
Für ihre Antwort sind rund 30 Protestler von Occupy Frankfurt an den Ort ihres ehemaligen Camps vor der Europäischen Zentral Bank zurückgekehrt. Dort drehten sie ihren Clip direkt unter dem überlebensgroßen Eurozeichen am Frankfurter Willy-Brandt-Platz. Der Film ist seit dem Wochenende ebenfalls als Video auf Youtube abrufbar. Sein Titel: »Re: DIE SPANIEN RETTUNG - EL RESCATE A ESPAÑA«. Den Stil der Vorlage kopierend, treten darin die Kapitalismuskritiker vor die Kamera, um ihre Botschaft auf Spanisch zu vorzutragen.
Im Video heißt es, die Bevölkerungen dürften sich nicht gegeneinander ausspielen lassen, »denn es ist kein Kampf zwischen verschiedenen Volksgruppen, sondern ein Kampf zwischen unten und oben.« Nicht die Armut müsse verteilt werden, sondern der vorhandene Reichtum. Weiter erklären die Occupyer, dass nicht alle Deutschen das europäische Spardiktat unterstützten: »Wir schämen uns, weil Merkel und die deutsche Regierung diese Politik maßgeblich vorantreiben.« Carla, die Psychologin ist und bei der Videoproduktion mitmachte, erklärte gegenüber »nd«, man habe »ein Zeichen der Solidarität« setzen wollen, um dem gemeinsamen Widerstand »ein Gesicht zu geben, viele Gesichter«. Der Clip schließt mit der Aufforderung, sich an den Blockupy-Aktionen Ende Mai in Frankfurt am Main zu beteiligen und für ein Ende der Austeritätspolitik zu demonstrieren.
Erschienen in Neues Deutschland vom 08.05.2013
Nicolai Hagedorn - 7. Mai, 22:31
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Erschienen in Neues Deutschland vom 23.2.2013
Nicolai Hagedorn - 13. Apr, 23:46
Zehn Monate nach der antikapitalistischen Demonstration „M31“ in Frankfurt, bei der ein Polizist verletzt wurde, beschlagnahmt die Polizei bei einer deutschlandweiten Razzia Computer und Fotodateien. Ähnlich wie die Versammlungsfreiheit bei den Protesten spielt auch die Pressefreiheit längst keine Rolle mehr bei den Fakten schaffenden Aktionen des Staates.
„Vernunft ist ein schlechtes Kriterium um zu verstehen, was Polizei und Justiz in diesem Lande so treiben“, ruft der Vertreter der Antifaschistischen Aktion am Frankfurter Opernplatz am Freitagabend des 8. Februar 2013 ins Megaphon. Rund 250 Demonstranten haben sich eine Stunde zuvor auf der Frankfurter Einkaufspassage „Zeil“ spontan versammelt, um gegen die Razzia bei Pressefotografen im Zusammenhang mit den teilweise gewaltsamen Protesten in Frankfurt am 31. März 2012 zu protestieren.
Während der Demonstration M31 war es unter anderem zu einem Vorfall gekommen, bei dem ein Polizist laut Angaben der Behörden schwer verletzt wurde und auf der Intensivstation behandelt werden musste. In der bürgerlichen Presse war damals von einem brutalen Angriff die Rede, BILD-Reporter Max Schneider fabulierte von einer Attacke, bei der die Demonstranten „einen Polizeibeamten am 31. März fast totschlugen.“ Polizeisprecher Rüdiger Reges assistierte, der „Mob“ habe den Beamten mit „Kung-Fu-Tritten“ traktiert und laut Schneider habe der „wehrlose“ Polizist „ein hochgiftiges Pfeffer-Säure-Gemisch“ ins Gesicht bekommen, „das dem Beamten die Augen verätzt“ habe. Jede journalistische Professionalität fahren lassend, freute sich der BILD-Mann: „Jetzt zieht sich das Netz um die feigen Demo-Schläger zu!“
Wie üblich war BILD auf dem Holzweg: Das hochgiftige Pfeffer-Säure-Gemisch stellte sich als übliches Pfeffer-Spray heraus, das von der Polizei am 31. März literweise und wahllos in die Demonstration gesprüht worden war, wohlgemerkt von gepanzerten und schwer bewaffneten Polizeieinheiten gegen ungepanzerte und unbewaffnete Demonstranten. Der Beamte, der laut dem Vertreter der Antifa „selbst nach Aussagen der Frankfurter Staatsanwaltschaft (…) nur das abbekommen [hat], was sonst eigentlich für DemonstrantInnen und soziale Minderheiten reserviert ist – und immer von der Polizei kommt: Pfefferspray und Schläge“ , war mitnichten fast tot, sondern kurze Zeit später wieder im Dienst und bis heute hat sich „das Netz“ der Fahnder keineswegs „zugezogen“, obwohl BILD verschwommene Fotos von angeblichen Augenzeugen präsentiert hatte.
Vielmehr tappt die Frankfurter Sonderkommission auch 10 Monate nach M31 hinsichtlich der Täter im Dunkeln, weshalb am 6. Februar 2013 bei einer Razzia in mehreren Bundesländern Fotojournalisten aufgesucht und tausende Bilder beschlagnahmt bzw. kopiert wurden. Bei einem Journalisten, der nicht anzutreffen war, wurde die Wohnung gewaltsam geöffnet und durchsucht.
Laut Doris Möller-Scheu, Sprecherin der Frankfurter Staatsanwaltschaft, sollten bei der Aktion Originalbilder ermittelt werden, die „die Umgebung des Tatortes“ zeigten. Die Staatsanwaltschaft sei dabei davon ausgegangen, dass die Betroffenen, deren Privaträume durchsucht wurden, „nicht als Pressefotografen tätig waren, sondern selbst der linksradikalen Szene zuzurechnen seien“, wie der kress Mediendienst berichtet.
Dummerweise meldeten sich in den Tagen nach der Durchsunchungsaktion mehrere Betroffene zu Wort, deren Aussagen einhellig darauf hinweisen, dass die Staatsanwaltschaft wissen musste, wen sie da durchsucht. Wer etwa die Namen Christian Mang oder Björn Kiezmann googelt, weiß in Sekunden, dass beide als Pressefotografen arbeiten. Peinlich wird es für die „Ermittler“ im Fall Kiezmann, denn laut taz gehört dieser zu den Journalisten, „die so häufig mit der Pressestelle der Berliner Polizei in Kontakt sind, dass sie im Dezember mit einer Weihnachtskarte bedacht wurden.“
Ungeachtet der Frage, wie sich der Angriff auf den Beamten am 31. März genau zugetragen hat und auch unter Anerkennung der Tatsache, dass bei M31 die Provokationen durchaus nicht ausschließlich von Seiten der Polizei ausgingen, zeigt sich an dem Vorgehen der Behörden, in welchem Ausmaß deutsche Polizei und Staatsanwaltschaften mittlerweile ein Eigenleben führen, das auf Grundrechte keine große Rücksicht mehr zu nehmen braucht, wenn es um die Verfolgung von Straftaten im Zuge des Widerstands gegen die kapitalistischen Zumutungen geht. Im so genannten „Cicero-Prozess“ hatte das Bundesverfassungsgericht festgelegt, „dass bei Journalisten nur durchsucht werden darf, wenn es Beweise dafür gibt, dass sie selbst eine Straftat begangen haben“, wie die Potsdamer Neusten Nachrichten erinnern und Andreas Köhn, Bereichsleiter bei der Dienstleistungsgewerkschaft ver.di Berlin-Brandenburg, erklärte gegenüber dem Neuen Deutschland, es handele sich bei der Razzia um einen Verstoß gegen die Strafprozessordnung: „Gemäß Paragraf 97 Absatz 5 gibt es ein Beschlagnahmeverbot, das für Journalisten ebenso wie für Rechtsanwälte, Pfarrer, Ärzte und Abgeordnete gilt“.
Wie sehr sich das polizeiliche Gewaltmonopol an den wenigen Widerständlern austobt, hat sich wenige Wochen nach M31 auch bei den Blockupy-Protesten in Frankfurt gezeigt, als die Innenstadt weiträumig abgesperrt wurde, die Veranstaltungen zum größten Teil verboten wurden, Menschen widerrechtlich und oft willkürlich eingekesselt, festgehalten oder an der Einreise nach Frankfurt gehindert wurden.
Eine Neuauflage der Blockupy-Proteste ist indes längst geplant und kurz bevor sich die Demonstration am Frankfurter Opernplatz bei klirrender Kälte auflöst, verliest der Redner der Antifa noch eine Botschaft an die erneut mit großem Aufgebot angerückte Polizei: „Wir werden uns revanchieren. Spätestens bei Blockupy Ende Mai. Denn so oder so: Wir lassen uns nicht einschüchtern.“
Erschienen in Graswurzelrevolution 03/2013 (GWR 377)
Nicolai Hagedorn - 13. Apr, 23:39
Ein Gespräch mit vier Occupy-AktivistInnen der ersten Stunde über die Krise des Kapitalismus, Perspektiven der Protestbewegung, anstehende Aktionen und Alternativkonzepte für eine solidarische Gesellschaft
Bevor die erste Frage gestellt ist, entsteht in der WG im Frankfurter Stadtteil Bockenheim, in der das Interview stattfindet, eine Diskussion über das Selbstverständnis von Occupy.
Carla, Psychologin in Frankfurt und im Admin-Team der IT-Gruppe von Occupy Frankfurt, Ralph, Philosoph und Politologe aus Frankfurt, Steven, Pädagoge und Mitgründer der Gruppe "occupy-public-space", sowie Jule, Studentin der Politikwissenschaften und Pädagogik in Frankfurt, berichten, dass sie sich im Occupy-Camp vor der Europäischen Zentralbank (EZB) in Frankfurt kennen gelernt haben und betonen, dass das, was sie sagen, Einzelmeinungen seien.
Graswurzelrevolution: Was macht Occupy aus?
Steven: Der Charakter von Occupy im Vergleich zu anderen Initiativen und bestehenden linken Gruppen besteht rückblickend darin, dass es einen niederschwelligen Einstieg in die Politisierung geboten hat, jenseits eines politischen Programms, das von vornherein gegeben ist. Das Zusammenfinden, das Kennenlernen ist in einem ganz anderen Rahmen verlaufen, als bei anderen Gruppen, die mit ihren Inhalten eine bestimmte Klientel bedienen.
Carla: Das macht es aber auch schwierig. Die Organisation von Occupy hatte schon starke anarchistische Züge, gerade dieser basisdemokratische Anspruch, aber da hat dann doch die Theorie gefehlt. Es war zum Beispiel schnell unklar, ob es nur diese eine Versammlung, also die Asamblea am Camp, geben soll: Wer tagt da wann und welche Entscheidungskompetenzen haben die?
Jule: Umgekehrt haben sich diese von dir angesprochenen anarchistischen Züge immer mehr entwickelt. Zum Beispiel das Prinzip, dass jede Stimme gleich gezählt wird, egal ob man im Camp wohnt oder nicht, oder auch dass wir keinen Pressesprecher hatten.
Steven: Es ist auch zu beachten: Da sind schon Leute mit theoretischem Background hingekommen, also nicht nur Leute, die auf dieses "Empört euch!" oder "Wir sind die 99 Prozent" oder "Brecht die Macht der Banken" reagiert haben, sondern die mit einer umfassenderen Kritik der Produktionsverhältnisse an die Sache herangegangen sind. Bei denen war klar, dass man mehr fordern muss als "Banken in die Schranken". In den AKs hat sich Stück für Stück herauskristallisiert, mit welchen Menschen man zu welchen Themen und Aktionen zusammenarbeiten kann.
Im Prinzip wurde so das "Zentralorgan Asamblea" Stück für Stück delegitimiert und die Gruppen haben dann einfach dezentral agiert, ohne auf irgendetwas zu warten.
Carla: Man hätte viele Konflikte vermeiden können, wenn man über die eigenen Strukturen stärker gesprochen hätte und gerade die Leute, die bereits Erfahrung und Konzepte hatten, haben zu wenig Input gegeben, denn man muss das Rad nicht immer neu erfinden. Natürlich haben sich dann Gruppen abgesondert und ihre eigenen Sachen gemacht, aber das hat das Konfliktpotenzial erhöht und es gab eine Menge Fronten.
Jule: Ich erinnere mich gut daran, dass oft in der Asamblea über etwas Einigkeit bestand. Aber da war dann eine Woche oder manchmal sogar nur einen Tag später eine ganz neue Asamblea-Zusammensetzung.
GWR: Da drängt sich die Frage auf, inwiefern so ein Campleben in der Innenstadt von Frankfurt Aufschluss darüber geben kann, wie eine befreite Gesellschaft funktioniert oder nicht funktioniert. Ist es nicht so, dass genau diese Probleme, wie ihr sie beschreibt, in einer befreiten Gesellschaft ununterbrochen auftreten würden, sodass man sich damit ständig auseinandersetzen müsste?
Carla: Zunächst einmal ist zu beachten, dass wir besondere Bedingungen hatten, weil unser Camp mitten im Bahnhofsviertel in Frankfurt stand.
Es waren viele Leute mit psychischen Problemen da, mit Drogenproblemen, Wohnungslosigkeit hat eine Rolle gespielt und es gab Leute, die ihre Konflikte in erster Linie über Gewalt lösten.
GWR: Davon auszugehen, dass wir den Kapitalismus überwinden und schon gibt es keine gewalttätigen Leute und Drogensüchtigen mehr, ist unrealistisch.
Carla: Ja, aber wir hatten erschwerte Bedingungen, weil es geballt war. In der Regel hat nur ein Bruchteil von Leuten innerhalb einer Gesellschaft solche Probleme, bei uns war das aber ein großer Teil der Leute. Es wurde im Camp nie grundsätzlich diskutiert, bestimmte Personengruppen nicht mehr zuzulassen. Aber als es gewalttätige Übergriffe gab, kam natürlich die Frage auf: Was machen wir jetzt damit? Und da waren die Leute dann überfordert.
Steven: In dem Camp ging es erst einmal darum zu klären, was wir benötigen und wie wir das möglichst kostenlos herstellen können. Sei es, dass Trupps losgezogen sind und Essen für die Gemeinschaftsküche containert haben, sei es, dass Baumaterial vom Sperrmüll organisiert wurde.
Es wurde versucht, die materiellen Dinge, die notwendig waren auch für das soziale Gefüge, als erstes zu erledigen und das ist für mich der Ansatz zu einer postkapitalistischen Gesellschaft. Und dass man in so einer kleinen Gemeinschaft so viele suchtkranke Menschen hat, ist nicht zu tragen, aber man hat es trotzdem versucht.
GWR: Wie könnten also Strukturen beschaffen sein, die nicht hierarchisch sind und nicht zu neuen Abhängigkeitsverhältnissen führen, aber trotzdem gewährleisten, dass man sich nicht selber blockiert?
Carla: Ich glaube, das muss man erst wieder neu lernen. In der kapitalistischen Denkweise ist ein dauerndes Misstrauen angelegt. Was man auch in politischen Gruppen lernen muss, ist anderen zu vertrauen. Dafür muss sich das Bewusstsein ändern und das ist eher ein Problem der kapitalistischen Gedankenwelt als eines von Occupy.
Jule: Es gab im Camp auch immer Positivbeispiele, wo Menschen verschiedener Herkunft und Vorgeschichte in Arbeitsprozesse eingebunden waren. Da haben Alt und Jung, Wohnungsloser und Student, Azubi und Prostituierte zusammengearbeitet. Die Verschiedenartigkeit der Leute kann anstrengend und uneffektiv sein, sie kann aber auch belebend wirken, wenn die Leute offen sind für andere Vorstellungen und sich gegenseitig akzeptieren.
Viele Menschen in unserer Gesellschaft denken aber nur an Konkurrenz: Ich muss Recht haben, Ich muss der Beste sein.
Das war auch im Camp immer ein Hindernis. Es gab aber auch positive Beispiele, wo sich eine gewisse Stellung höchstens durch Fähigkeiten, durch Talent entwickelt hat. Eine gewisse Ordnung kann sich also ganz vielfältig einstellen.
Steven: Auch Bakunin sagt, dass es eine natürliche Autorität geben kann, wenn zum Beispiel jemand ein Meister seines Fachs ist. Dieser kann seine Kenntnisse dann weitergeben, damit auch die anderen unabhängiger werden. Von einer Hierarchie kann man dabei nicht reden, eher von einem Lehr-Lernverhältnis. Was wir schaffen müssen, ist es, solche Themen in einen breiteren Diskurs zu bringen. Es ist notwendig, das auch außerhalb der innerlinken Informationsflüsse zu verbreiten und das könnte eine Integrationsfunktion von Occupy sein, die uns von anderen Gruppen unterscheidet: Wie bekommen wir linke Themen in den offiziellen Diskurs ohne das Linkssein zu sehr zu betonen und damit viele Leute abzuschrecken.
Carla: Ich komme eher aus dem linksradikalen Spektrum und dort fehlt diese Offenheit. Dort musst du von vornherein eine hohe politische Bildung mitbringen; du brauchst ein spezielles Wording, das du an den Tag legen musst, sonst wirst du quasi direkt wieder ausgeschlossen. Um also überhaupt da hineinzukommen, musst du schon eine ganze Menge mitbringen und viele Gruppen, die auch hier in Frankfurt existieren, sind nicht mehr offen. Das ist auch verständlich.
Wenn man als Gruppe einmal funktioniert, verschließt man sich automatisch gegen Neuzugänge, weil es dann wieder komplizierter wird. Aber ich hatte irgendwann das Gefühl, dass man so nicht weiterkommt.
Du brauchst die Gesellschaft hinter dir. Auch wenn man sich mit der bürgerlichen Gesellschaft nicht identifiziert, muss man offen bleiben und eine Kommunikation herstellen.
Von daher hat mich diese Offenheit an Occupy fasziniert, aber genau diese hat in der radikalen linken Szene zu einer Distanzierung geführt. Die Toleranz hat sich im Camp schließlich in Entschlossenheit dahingehend verwandelt, dass etwa die Drohung der Stadt Frankfurt, das Camp zu schließen, wenn nicht die Roma das Camp verließen, nicht zur Debatte stand. Unser Selbstverständnis war: Dann soll die Stadt ihre rassistische Propaganda machen, wir machen da nicht mit.
GWR: Das war dann auch der Punkt, an dem die öffentliche Stimmung anfing, sich gegen euch zu richten. Wie habt ihr das erlebt?
Jule: Da muss man trennen zwischen Sympathien mit dem Camp und mit Occupy allgemein. Die Sympathien mit einer Bewegung, die nicht mit allem einverstanden ist - da ist die Sympathie immer noch groß.
Selbst in konservativen Kreisen herrscht ein Unmut, selbst FAZ-Leser merken: Irgendetwas läuft hier falsch. Was das Camp betrifft, da hatte die BILD-Zeitung schon im Winter einen Versuch gestartet, da hatte das noch nicht funktioniert, aber später dann, die Geschichte mit den Ratten und den Roma, wohl gemerkt in einem Atemzug genannt. Das hat dann schon reingehauen.
Steven: Zu der Ratten-Roma-Müll-Propaganda der BILD-Zeitung: Wir hätten das zu Kampfbegriffen machen müssen. Die Tatsache, dass wir Menschen im Camp hatten, die durch die sozialen Netze fallen, das wäre eine Möglichkeit gewesen, sich stärker mit den Menschen am unteren Ende der Gesellschaft zu solidarisieren. Das haben wir versäumt.
Ralph: Die durch die Massenmedien verwaltete Öffentlichkeit ist ja schon ein geflügeltes Wort. Da hinein zu kommen mit Themen, die nicht sofort mainstreamfähig sind, das ist tatsächlich schwierig. Die Medien hatten sich auf einen gewissen Diskurs über die entfesselten Finanzmärkte eingestellt, waren dann aber schon nicht mehr bereit mitzugehen, wenn es um grundsätzliche Fragen des Kapitalismus ging.
Das war schwierig und da bin ich auch ein bisschen ratlos, wie man solche Themen in den Massenmedien platzieren kann. Es gibt einige kleinere Zeitschriften, Radiostationen, Videoprojekte usw., wo diese Themen aufgegriffen sind, aber solange sie nicht die große Öffentlichkeit erlangen, ist es schwierig einen Integrationseffekt zu bekommen.
Carla: Natürlich hat man die Mainstreammedien gegen sich, denn diese sind systemtragend und das werden sie auch bleiben. Ich fand es auch falsch, den Medien hinterher zu rennen, damit sie einen positiven Bericht schreiben, statt zu sagen: Okay, das ist Teil des Systems und wir müssen unsere eigenen Medien voranbringen.
GWR: Hätte man nicht als erstes ein Presseteam einrichten müssen, das die Anfragen sortiert und beantwortet? Es gab auch den Versuch von Seiten der Medien, einzelne Personen zu Gesichtern der Bewegung zu machen. Man hatte den Eindruck, Occupy hatte nicht die Hoheit über sich selbst.
Carla: Dass das alles so zufällig war, stimmt nicht und es gibt auch immer Rampensäue, die das gerne machen. Aber der Versuch der Personalisierung der Bewegung durch die Medien ist ja gescheitert! Und das lag daran, dass wir immer gesagt haben: Wir haben keine Sprecher.
Jule: Es gab zwar im Camp Einzelpersonen, die mediengeil waren, aber bei der Mehrheit war es nicht so, dass wir den Medien hinterhergerannt sind, sondern eher umgekehrt.
Wir wurden von einer Medienflut überschwemmt und mussten irgendwie darauf reagieren.
Mir gefällt auch dieses pauschale "Massenmedien sind systemtragend" nicht. Es gibt Unterschiede und es gibt mittlerweile Schlupflöcher wie Arte oder 3sat, da kann man auf Formate treffen, die das Ziel haben, Alternativen aufzuzeigen. Die waren auch bei uns. Es gab also eine Menge Möglichkeiten für uns, sich die richtigen herauszusuchen. Das haben wir versäumt. Wir haben dann der "Welt" ein Interview gegeben und da hätte ich nein gesagt.
Carla: Wir hatten auch eine Menge eigene Medien wie z.B. das Radio 99%, das Videoteam und das Online-Team. Es wurde also schon auch versucht, die eigenen Medien voranzutreiben. Sicher gibt es auch kritischere Formate, aber in der Regel waren hr-online, SAT1, RTL und BILD im Camp. Und das waren auch die Leute, die die meiste Propaganda gegen uns gemacht haben. Dann hieß es intern, wir hätten versagt, wir hätten es nicht richtig gemacht, und deshalb schreiben die jetzt schlecht über uns. Bei den Mainstreammedien stecken Interessen dahinter und es ist ein Trugschluss, die Fehler bei uns zu suchen nach dem Motto: Hätten wir alles richtig gemacht, hätten wir auch eine gute Presse.
Ralph: Wir hatten teilweise keine Chance, bestimmte Thematiken oder Forderungen so abgebildet zu bekommen wie wir uns das vorgestellt haben.
Aber das wäre auch illusorisch zu glauben, dass das so einfach geht. Abseits von den Massenmedien haben aber die sozialen Netzwerke eine sehr interessante Rolle gespielt. Occupy war vor allem eine Art Generalprobe für einen weltweit gleichzeitig aufkommenden Protest, der sich selbsttätig vernetzt und eigentlich gar nicht so sehr auf diese etablierten Medien angewiesen ist, zumindest in der Anfangszeit. Das war neu an Occupy und das ist spannend.
Steven: Es stellt sich die Frage: Ist es möglich, dass die Unverdächtigen, was die Occupyer ja erst einmal sind, es schaffen, Begriffe wie "kapitalistische Produktionsverhältnisse" oder "Transformation" in den Mainstreamdiskurs einzubringen?
Ich glaube, dass das möglich ist. Insofern ist auch eine Zusammenarbeit mit Mainstreammedien sinnvoll. Diese Begriffe aufzuwerfen, damit die überhaupt mal wieder ins allgemeine Bewusstsein kommen, das kann man über Mainstreammedien erreichen.
GWR: Ungemach drohte aber auch von anderer Seite. Ihr wart Thema auch im radikal linken Akademikerzirkel, so etwa im Krisengespräch der Zeitschrift "konkret". Da hat man stark gespürt: Die sind zum einen beleidigt, weil sie seit Jahren versuchen, ihre Themen in die Öffentlichkeit zu bringen und dann kommen so ein paar Typen, setzen sich vor die EZB und plötzlich redet die ganze Welt darüber.
Andererseits haben die sich zu Recht darüber geärgert, dass die riesige Medienaufmerksamkeit, die plötzlich da war, nicht genutzt wurde. Die Kritik der alteingesessen radikalen Linken zielte dann auch genau darauf: Jetzt müsste eigentlich das, was wir seit Jahrzehnten erarbeiten, was alles vorhanden ist, transportiert werden. Und das wurde es nicht. Stattdessen ging es mal um Einzelpersonen, mal um Geldreformen, mal hieß es, dass keiner etwas Genaues weiß und alle nur Fragen stellen. So gesehen wurde das Chaos im Camp in den Medien durchaus abgebildet und die Frage wäre: Was lernt man aus all dem?
Jule: Ich habe mich geärgert, dass von den akademischen Linken so wenige an Occupy teilgenommen haben, weil ich wollte, dass genau die Dinge, die da erarbeitet wurden, einen Raum finden. Das ist nicht passiert und das lag auch, aber nicht nur an uns. Wir sind mit vielen Dingen überfordert gewesen, hätten auch anders auf Leute zugehen müssen, hätten vielleicht überhaupt auf die Leute zugehen müssen, aber genauso könnte man auch umgekehrt fragen: Warum ist die linke Szene nicht vor Ort gewesen? Es waren am Anfang ja hin und wieder Leute da, die sich aber von Dingen abgeschreckt fühlten, die für mich eben kein Grund waren, zu sagen: Mit diesen Leuten will ich nichts zu tun haben.
GWR: Das sagt viel über den linken Diskurs insgesamt.
Jule: Genau, das ist dieses Schwimmen im eigenen Sud.
Wenn man unter seinesgleichen ist, ist man sich seiner Sache sicher, steigert sich da immer weiter hinein, bis man am Ende auch nichts anderes mehr zulassen kann. Es wäre schön gewesen, wenn solche Diskurse im Camp stärker vertreten gewesen wären.
GWR: Thomas Ebermann hat gesagt, er wäre jederzeit bereit gewesen zu kommen, wenn er eingeladen worden wäre. Da finde ich dein Argument richtig, wenn du fragst: Warum ist er nicht einfach gekommen? Trotzdem macht es keinen Sinn, sich auf diese Position zurückzuziehen. Es bleibt also die Frage, wie man damit umgeht, wenn jetzt z.B. im Zuge der anstehenden Blockupy-Tage wieder mehr Öffentlichkeit entstehen wird. Wie geht man auf die Leute zu, wie bekommt man eine klare Linie auch in die eigene Darstellung?
Carla: Für uns stellt sich die Frage: Wo stehen wir? Ich glaube, dass wir am Anfang stehen. Das Bewusstsein der Menschen, denen man tagtäglich begegnet, ist kapitalistisch zerfressen und da etwas dagegen zu setzen und langsam wieder andere Konzepte in das Bewusstsein zu bekommen, braucht Zeit. Da kannst du die Leute nicht unter Druck setzen und sagen: Jetzt müsst ihr Erfolge vorweisen. Das ist auch schon wieder kapitalistisch.
Ein Bewusstseinswandel geht langsam vonstatten, mit immer mehr Informationen, immer mehr Durchdringung und Verbindungen, die die Leute in ihren Köpfen herstellen. Der Protest, der Widerstand wird sich steigern, wenn sich das Bewusstsein soweit entwickelt hat.
Ralph: Was diese Erfolgsdebatte angeht, da wurde viel mit Kategorien operiert, die uns aus der Privatwirtschaft bekannt sind: Man muss eine starke Produktivität aufweisen, effizient sein, möglichst gradlinig, sich gegen andere Meinungen durchsetzen oder sein Produkt platzieren. Das ist ein Mentalitätsproblem, das auch mit unserer seit Jahrhunderten bestehenden Involviertheit in das kapitalistisches System zu tun hat.
GWR: Nochmal zu den Lehren, die man aus all dem zieht: Würdet ihr sagen, dass man das künftig genau so weitermacht, dass man also sein eigenes Ding macht, egal was die großen Medien darüber schreiben, weil man es ohnehin nicht groß beeinflussen kann? Oder würdet ihr versuchen, auch solche Kreise einzubeziehen, die von diesen Straßenbewegungen Abstand zu halten versuchen?
Steven: Wir haben in den letzten anderthalb Jahren Interesse geweckt sowohl bei den Medien als auch bei anderen Institutionen. Zum Beispiel werden wir eine gemeinsame Veranstaltung mit dem historischen Museum über Occupy machen.
Dabei werden einige Campobjekte an das Museum übergeben werden und eine prominent besetzte Diskussionsveranstaltung wird sich mit dem Thema der aktuellen Proteste in Frankfurt beschäftigen. Wir erhoffen uns ein gewisses Medienecho. Die Veranstaltung findet kurz vor Blockupy statt, ist daher auch noch eine Möglichkeit der Mobilisierung.
Wir gehen hier auf Institutionen zu, die nicht antikapitalistisch sind, wie ein Museum, versuchen es in die Diskussion einzubinden, um den Diskurs über die linken Gruppen hinaus zu verbreitern und um klar zu machen, dass die Einzelprobleme alle mit dieser kapitalistischen Gesellschaftsformation zusammenhängen.
Carla: Die Vernetzung mit anderen Gruppen hat auch längst stattgefunden. Im Blockupy-Bündnis etwa sind etliche Gruppen zusammengekommen, zum Beispiel Aktivisten von Attac, der Linkspartei, der Interventionistischen Linken, von Occupy, Erwerbsloseninitiativen und vielen anderen (weitere Gruppen sind die anarchistische Gewerkschaft FAU oder das "Um's Ganze"-Bündnis, in dem auch viele antifaschistische Gruppen vertreten sind, N.H.). Dieses Bündnis hätte es ohne Occupy nie gegeben und es ist das erste Mal seit langem, dass in Deutschland so viele linke Gruppen zusammenkommen. Blockupy findet auch 2013 statt und hat leider nur punktuellen Charakter. Wir mobilisieren alle für einen Termin, nämlich den 31. Mai und 1. Juni, aber es ist ein guter Anfang für die Linke in Deutschland.
GWR: Die Blockupy-Proteste richten sich explizit auch gegen die Sparpolitik in Südeuropa. Obwohl im Grunde seit Jahren von Seiten des offiziellen Diskurses erklärt wird, die Krise sei zu Ende, es gehe jetzt wieder aufwärts, passiert genau das nicht. Im Gegenteil: In Griechenland, Spanien und Portugal schlägt die Verarmungspolitik längst auf die Bevölkerung durch. Warum ist die Protestbewegung dennoch nach wie vor so klein und wie könnte eine Solidarisierung mit den betroffenen Ländern auch der antikapitalistischen Bewegung aus ihrer Protesthaltung heraushelfen? Wie könnte eine Perspektive entwickelt werden?
Carla: Ich glaube, die Zukunft ist düster. Wir werden Zeugen vermehrter wirtschaftlich motivierter Kriegseinsätze werden und einen Zuwachs an sozialem Elend erleben müssen.
Man kann sich nur in kleineren Gruppen selbst organisieren.
Egal ob es Gartenprojekte oder Hausbesetzungen sind oder Versorgungsprojekte, wie es in Griechenland viele gibt. Die einzige Chance, die wir haben, sind selbstverwaltete Projekte, damit wir so autonom wie möglich existieren können.
Steven: Ich glaube auch, dass es ein Schrecken ohne Ende wird. Ich glaube nicht, dass der Kapitalismus zu Ende geht. Es wird immer Möglichkeiten geben, das Ganze über das nächste Jahr, über das nächste Jahrzehnt zu retten. Das geht nicht von selbst den Bach runter. Da wird Blut fließen, mit allen faschistischen Tendenzen.
Der einzige Weg, der uns offen steht, ist der, möglichst autonom zu werden und sich dabei möglichst so zu vernetzen, dass es eine kooperative Zivilgesellschaft gibt, die dafür sorgt, dass alle materiellen Bedürfnisse befriedigt werden, damit ein gutes Leben möglich sein kann jenseits von künstlich erzeugten Bedürfnissen.
GWR: Libertäre Zentren, Stadtteile, Gebiete gibt es schon lange, das hat aber nicht dazu geführt, dass sich etwas zum Besseren wendet. Es ist wenig plausibel, das jetzt einfach fortzusetzen. Außerdem kann eine Stadt wie Frankfurt sich nicht selbst versorgen.
Sind also in einer Welt totaler Arbeitsteilung nicht ganz andere Konzepte gefragt? Etwa Konzepte der Aneignung, statt sich immer noch die Tomaten selber züchten zu wollen?
Steven: Man darf die globale Perspektive nicht vergessen und muss sich im Klaren darüber sein, dass Produktionsprozesse heute global organisiert sind. Wir leben nicht mehr zu Zeiten Kropotkins mit der Eroberung des Brotes, wo die Commune de Paris sich mit der Landbevölkerung organisiert.
Die Grundidee, die darin steckt, muss aber auf jeden Fall weitergetragen werden, damit der Gedanke einer Reorganisation von unten weiter verbreitet wird.
Wenn man das graswurzelhaft an vielen Stellen macht und das medial verbreitet und damit zeigt, dass es gelingen kann, dann kann sich so ein Gedanke verbreiten.
Jule: Ich habe auch eher ein düsteres Bild von der Zukunft. Diese Vorstellung, dass irgendwie alles funktioniert, das bröckelt. Durch diese Krise gibt es die Hoffnung, dass mehr Leute nicht nur überlegen, wie sie sich selbst versorgen, sondern auch darüber nachdenken, was es für Alternativkonzepte gibt für eine solidarische, kooperierende Gesellschaft.
Es gibt diesen Trend und den sollte man nutzen und pushen. Es ist salonfähig geworden, von einer Systemkrise zu reden und solche Ent- bzw. Aneignungskonzepte könnten auch in Zukunft wieder salonfähig werden. Es ist nicht mehr so aussichtslos wie in den 80er Jahren, wo es hieß: Eigentlich läuft ja alles gut. Das ist eine Chance.
Steven: Du sagst Salonfähigkeit und das meint das bürgerliche Spektrum?
Jule: Genau das meine ich auch!
Carla: Wenn man sich die autonomen Zentren in Griechenland anschaut�
GWR: Da werden aber gerade viele abgerissen�
Carla: Das stimmt, aber es gibt dort eine ganz andere Notwendigkeit. Die autonomen Zentren haben plötzlich eine existenzsichernde Funktion. Das fängt da an, wo bestimmte Aspekte des Gesundheitssystem autonom werden, wo sich Ärzte in Kollektiven zusammenschließen und Leute behandeln; wo sich Bauern in Kollektiven zusammenschließen und die Bevölkerung mit Lebensmitteln versorgen; wo es Werkbesetzungen gibt und die Arbeiter die Produktionsmittel übernehmen. Das sind Tendenzen, die kann man in Griechenland beobachten und das hat eine andere Dimension als die autonomen Zentren in Deutschland.
Das ist der Weg, wo wir hin müssen. Man muss global denken, lokal handeln und solche Projekte vorantreiben. Die werden eine andere Dimension bekommen als bisher.
Ralph: Ich schließe mich der düsteren Prognose an und bin auch der Meinung, dass einige Chancen in der Selbstorganisation auf lokaler Ebene liegen.
Was einen aber verdrießlich macht, ist, dass wir seit fünf Jahren eine sich nicht wesentlich bessernde Krisensituation haben und dass zwar in der Bevölkerung ein Krisenbewusstsein da ist, dass dieses aber nicht zum Handeln seitens der Bevölkerung führt.
Das liegt einerseits an einer gewissen Perspektivlosigkeit; man steckt in diesem System und es scheint keine nahe liegenden Alternativen zu geben, die man ergreifen kann. Es liegt auch an der ungebrochenen Macht des Sachzwangarguments und unseren technokratischen Lösungsversuchen, die überall auf Regierungsebene angestrebt werden.
Ich möchte die Rolle von internationalen Nichtregierungsorganisationen hervorheben.
uch auf dieser Ebene liegen Chancen, die in den nächsten Jahren wichtig werden können, weil gerade diese NGOs gegenüber der Politik und den Massenmedien die Möglichkeit haben, praktische Ziele in den öffentlichen Diskurs einzuschleusen, sodass man sich in Bezug auf praktische Vorstellungen dahingehend, was besser sein könnte, was falsch läuft und welche Alternativen man hat, bestimmen kann. Auch diese Möglichkeit sollte man nicht abschreiben.
Interview: Nicolai Hagedorn
Erschienen in Graswurzelrevolution 04/2013 (GWR 378)
Nicolai Hagedorn - 13. Apr, 23:28
Entgegen meinen Erwartungen werden Silberfischchen-Populationen durch tagelangen »Meister Proper«-Beschuß nur stärker, die einzelnen Mitglieder größer und widerstandsfähiger. Hätte aber funktionieren können!
Erschienen in Titanic Magazin 02/2012
Nicolai Hagedorn - 3. Mär, 13:29
Von den Grenzen der spätkapitalistischen Natur
Die weltweite so genannte Verschuldungskrise ist nicht zu stoppen. Trotz aller Anstrengungen der bürgerlichen Eliten im Verein mit den politisch Handelnden, aus den Krisenverläufen schlau zu werden und den Niedergang durch Sparprogramme und Niedrigzinsen aufzuhalten, wachsen die Schuldenberge weiter. Nur der gewünschte realwirtschaftliche Effekt will sich nicht einstellen. Das ist bei näherer Betrachtung kein Wunder.
Ohne sich jemals als Kandidat einer Volksabstimmung gestellt zu haben, wurde Mario Monti im Dezember 2011, gefördert von Staatspräsident Napolitano und Vorgänger Berlusconi, von einer Parlamentsmehrheit zum italienischen Ministerpräsident gewählt und übernahm dazu noch das Wirtschaftsministerium.
Die Technokraten-Regierung um Ex-Goldman Sachs-Banker Monti organisierte seitdem als Antwort auf die so genannte Staatsschuldenkrise einen weiteren neoliberalen Reformschwung: Seit Ende 2011 wurde das Renteneintrittsalter von 65 auf 67 erhöht, Personal im Öffentlichen Dienst abgebaut, die Renten gekürzt (Aussetzung des Inflationsausgleiches), der Kündigungsschutz gelockert, eine Luxus- und eine Immobiliensteuer eingeführt. Letztere trifft viele DurchschnittsverdienerInnen, da Immobilienbesitz in Italien besonders in der Mittelschicht verbreitet ist. (Die Kirchen sind übrigens von der Steuer ausgenommen.)
Das italienische Finanzministerium kommentierte laut Konrad-Adenauer-Stiftung die Wirkungen der Reformen im Februar 2011 euphorisch. Es habe „bereits berechnet, dass die von der Regierung Monti beschlossenen Reformen über die nächsten Jahre das Wirtschaftswachstum um bis zu 11 Prozent, die Einkommen um bis zu 12 Prozent und die Beschäftigung um bis zu 8 Prozent steigen lassen sollen. Sollte sich eine entsprechende Entwicklung abzeichnen, wäre dies mit Sicherheit das Signal für deutlich sinkende Kreditzinsen auch bei den langfristigen italienischen Titeln.“
Die Rechnung geht nicht auf
Ein Blick auf die Zahlen macht deutlich, wie vollumfänglich hier die Rechnung der italienischen Regierungsbürokraten blamiert ist. Im Oktober 2012, ein knappes Jahr nach Einleitung des Reformprozesses, stieg die italienische Staatsverschuldung erstmals über 2 Billionen Euro, der Verschuldungsgrad liegt Ende 2012 bei beeindruckenden 129, 2 % des italienischen BIP, die Industrieproduktion bewegt sich auf dem Niveau der späten 1980er Jahre: „Mit einem industriellen Output und damit mit dem Output handelbarer Waren und Güter auf einem Niveau von Mitte 1987 lassen sich auch die italienischen Schuldenpyramiden nicht tragen“, beschreibt der Wirtschaftsblogger Steffen Bogs (querschuesse.de) die ernüchternde Realität.
Gleichzeitig stieg die Arbeitslosenquote in Italien auf über 11 Prozent und die Jugendarbeitslosigkeit bis Oktober 2012 sogar auf ein neues Allzeithoch von 36,5 Prozent.
Von einer wirtschaftlichen Erholung kann also nicht die Rede sein. Und dennoch: Die Rendite, die Italien zahlen muss, um sich am Kapitalmarkt neues Geld zu leihen, ist bei 10jährigen Anlagen von 6,8% im November 2011 auf 4,85% im November 2012 gefallen.
Das wunderliche Betragen des „automatischen Subjekts“ bleibt für den Politikbetrieb rätselhaft, weshalb dieser jenes unentwegt und überall auftretende Phänomen schon lange nicht mehr ernsthaft zu analysieren versucht und stattdessen die sinkenden Zinsen pauschal auf das „Vertrauen“ der Finanzmärkte zurückführt. Vertrauen in Monti, in den prognostizierten Aufschwung, in die baldige Wirkung der Reformen, in gehacktes Basilikum – ist eigentlich egal.
Die damals noch existente Financial Times Deutschland kommentierte stellvertretend für den publizistischen Mainstream: „Italien hat sich frisches Geld geliehen - zu recht günstigen Konditionen. Der stabile Zinssatz zeigt, dass Investoren das Land unter der Regierung Monti auf dem richtigen Kurs wähnen.“ Niemand, der bei Sinnen ist, könnte sich angesichts der tatsächlichen realwirtschaftlichen Entwicklung mit einer solchen Erklärung zufriedengeben.
Konkurrenz, Geld und Wert
Um zu verstehen, wie sich die Finanzsphäre so vollkommen von der Realwirtschaft emanzipieren konnte, ist zunächst die kapitalistische Funktionsweise an sich zu betrachten. Diese besteht keineswegs nur in der Produktion von Gebrauchsgütern für einen Markt, auf dem dann nach einem mehr oder minder „intelligenten“ Verfahren die Möglichkeit besteht, die Produkte zu tauschen. Das Wesen des Kapitals ist nicht bestimmt durch Produktion und Austausch von Waren, sondern durch die Bedingtheit aller Akteure durch die Konkurrenz: „Begrifflich ist die Konkurrenz nichts als die innere Natur des Kapitals, seine wesentliche Bestimmung erscheinend und realisiert als Wechselwirkung der vielen Kapitalien aufeinander, die innere Tendenz als äußere Notwendigkeit.“ (Marx, Grundrisse)
Wenn das so ist, wird auch klar, warum es unmöglich ist, die empirischen Phänomene mit positivistischen Interpretationen zu erklären, denn der von der Konkurrenz bestimmte Prozess, der diese Phänomene determiniert, ist empirisch unsichtbar und vollzieht sich auf der Ebene des Gesamtkapitals.
Es muss also hinter den Erscheinungen eine Bewegung geben, die zwar nicht empirisch messbar, aber dennoch logisch darstellbar ist: „Sie (die Konkurrenz, N.H.) ist nur negativ verstanden worden, d.h. als Negation von Monopolen, Korporation, gesetzlichen Regularien etc. Als Negation der feudalen Produktion. Sie muß aber doch auch etwas für sich sein, da bloß 0 leere Negation ist.“
Der Schlüssel zum Verständnis liegt darin, dass der Selbstzweck der Kapitalverwertung auf der Ebene des Einzelunternehmers, nämlich aus Geld mehr Geld zu machen, die Existenz eines Konkurrenzraumes auf gesamtkapitalistischer Ebene zur Bedingung hat. Erst die Tatsache, dass andere den Teil des gesamtkapitalistischen Mehrwerts, den das einzelne Kapital ergattern will, auch auf sich ziehen wollen, zwingt das Einzelkapital dazu, effizienter, produktiver zu sein als möglichst viele andere. Wert und Mehrwert entspringen aber ausschließlich menschlicher Arbeit, die Gesamtmehrwertmasse entspricht also der Gesamtsumme aller Mehrwertarbeit auf gesamtkapitalistischer Ebene. Und um die wird konkurriert. Wert drückt sich dabei zwar in der Geldform aus, aber für das Kapital geht es nicht um „das Geld“, sondern allein um den Wert. Die Kapitalisten kämpfen nicht um einen Anteil an der Geldmenge, sondern um einen möglichst großen Anteil an der Gesamtmehrwertmasse, dargestellt in Geld. Dieser theoretische Unterschied öffnet das Verständnis für die Bewegungen des Kapitals.
Die Verwissenschaftlichung der Produktion durch Fließbandfertigung, Robotik, Mikroelektronik und Medientechnik hat den „menschlichen Faktor“ in einem solchen Ausmaß aus dem Produktionsprozess eliminiert, dass eine Steigerung der Gesamtmehrwertmasse immer schwieriger wird.
Der kapitalistische Player ist also gezwungen, wenn er reüssieren will, sich seiner eigenen „Spielgrundlage“ langfristig zu berauben und gleicht damit tatsächlich einem Parasit, der sich nur dann reproduzieren kann, wenn er seinen Wirt langfristig tötet.
Lange konnte diese Tendenz durch äußere und/oder innere Kapitalexpansion (Kapitalisierung neuer Weltregionen bzw. Erschließung bisher unerschlossener Bereiche der Reproduktion) überkompensiert werden. Um im Bild zu bleiben: Der Wirt konnte wachsen bzw. der Parasit fand noch nicht entdeckte Stellen, die er sich einverleiben konnte; seitdem der Wirt, im konkreten Fall der gesamte Planet aber durchkapitalisiert ist, kommt dieser notwendige Kompensationsmechanismus an sein unüberwindbares Ende: „ Dann schlägt der relative Fall der Profitrate in einen absoluten Fall der gesellschaftlichen Mehrwert- und damit Profitmasse um und damit die vermeintlich ewige Verwertung des Werts in seine historische Entwertung.“ (Kurz 2012)
Der letzte Trick und des Rätsels Nichtlösung
Der letzte Ausweg aus der Ausweglosigkeit besteht nun seit den 1980er Jahren in einem gewissermaßen „schlauen“ Trick: Es wird eine sich ausdehnende Gesamtwertmasse simuliert. Der Wert stellt sich im Kapitalismus im Geldmedium dar und dieses kann gedruckt oder auf andere Art „aus dem Nichts geschaffen“ werden, wodurch sich eine simulierte Gesamtwertmasse virtuell theoretisch ins Unendliche ausweiten lässt. (Der so genannte Neoliberalismus ist so gesehen die politische Organisationsform dieses Tricks.) Nur entsteht so kein (Mehr-)Wert, denn dafür müsste ja massenhaft menschliche Arbeit angewandt werden. Was entsteht, ist „Geld ohne Wert“. (Vgl. Kurz 2012)
Dabei wurde ein Volumen an Eigentumstiteln in Form von Derivaten generiert, das mittlerweile dem 15fachen des Weltsozialprodukts entspricht. Daran und an den Leitzinssätzen in den kapitalistischen Zentren, die nahe Null verharren, aber kein Wachstum auslösen, das den Staaten erlauben würde, ausreichend Kapital abzuschöpfen, um die Staatsschulden zurückzuzahlen, ist abzulesen, dass das Simulieren von Wert ein Fake und dieser „Wert“ innerhalb der Realwirtschaft überhaupt nicht mehr zu realisieren ist. Gleichzeitig gelangt der simulierte, fiktive Wert in Form von „Geld ohne Wert“ in die Sphäre der akkumulationsunfähigen Warenproduktion und hält diese am Laufen, Etwa durch die Bereitstellung für Privatkredite, Kapitalerhöhungen von Aktiengesellschaften oder Staatsanleihenkäufe. Die Finanzmärkte sind demnach nicht das Problem (wie ja noch immer manche selbst ernannten Kapitalismuskritiker glauben), sie halten vielmehr die realwirtschaftliche Produktion überhaupt noch am Leben. Die verantwortlichen Politiker müssen deshalb alles tun, um die massenhafte Liquiditätsflutung aufrechtzuerhalten und gleichzeitig die Rückzahlung der Schulden zu garantieren. Deshalb ist auch das italienische Finanzministerium so scharf auf sinkende Kreditzinsen. Und Angela Merkel auf Sparprogramme.
Aus dieser Perspektive erscheinen auch die merkwürdigen Krisenentwicklungen nicht mehr rätselhaft.
Die Kreditzinsen Italiens sind gesunken, weil es Ende 2012 ausreichend Liquidität und Rettungsschirme gab, die die relativ hohe Rendite auf die italienischen Staatsanleihen absicherten. Damit Kurse sinken oder fallen, muss nur ein großer Teil der Fondsmanager und anderer Spekulanten der Meinung sein, ein bestimmter Titel sei so sicher in der Rückzahlung, dass die Aussicht auf eine hohe Rendite größer ist als das Risiko des Zahlungsausfalls. Sinkende Renditen sind also Ausdruck einer veränderten Relation, nämlich des Verhältnisses der durchschnittlichen Investoreneinschätzung von Renditeaussicht zu Ausfallrisiko. Diese beiden Größen hängen aber direkt voneinander ab: Die Renditeaussicht steigt mit dem Ausfallrisiko und andersherum und damit ist dann auch klar, warum die Zinsen auf Staatsanleihen trotz sich eintrübender Aussichten durchaus sinken können. Erscheint nämlich, wie im Fall Italien, eine Rückzahlung relativ sicher (durch Rettungsschirme) und ist für den angenommen Sicherheitsgrad die je aktuelle Rendite hoch genug, wird der Titel gekauft, bis sich eine andere Einschätzung einstellt. So gesehen ist das Kalkül der Regierungen erst einmal durchaus aufgegangen, denn durch die gesunkenen Kreditzinsen kann Italien frisches Geld aus dem Pool fiktiven Kapitals entnehmen. Dieses Geld ist aber im Grunde „wertlos“, da es in Wahrheit ja keinen tatsächlich geschaffenen Wert repräsentiert, sondern nur einen weiteren Berg von Forderungen, die irgendwann fällig werden.
Ausschlaggebend war also nicht das Vertrauen der Finanzmärkte in die Regierung Monti oder die wirtschaftliche Entwicklung Italiens, sondern einzig die Absicherung der Spekulation durch die Rettungsschirme. Diese sind aber aus einem bestimmten Grund an Sparbedingungen geknüpft: Durch das volkswirtschaftliche Sparen erhöht sich die Wettbewerbsfähigkeit, also eine relative Größe. Solange sich die Gesamtmehrwertmasse vergrößert, steht steigende Wettbewerbsfähigkeit tatsächlich für Wachstum. Bei schrumpfender Wertmasse auf gesamtgesellschaftlicher Ebene geht diese Rechnung aber nicht mehr auf, weil auch relative Verbesserung bei schrumpfender Rechnungsgrundlage langfristig tendenziell absolute Verluste bedeuten.
Der Versuch, die Volkswirtschaften, die schlechterdings nicht mehr ausreichend Wert „produzieren“ können, durch Sparprogramme wieder wettbewerbsfähig zu machen, ist langfristig daher unsinnig. Nur die neuerliche massenhafte Anwendung wertschöpfender menschlicher Arbeit könnte die Tendenz der schrumpfenden Wertmasse umkehren. Die Produktionsprozesse sind aber mittlerweile so automatisiert, dass dies nicht mehr möglich ist – das ist ja das Problem! Vor diesem Hintergrund bleibt völlig schleierhaft, wie ein Sparprogramm eine neue Akkumulationsrunde auslösen soll, die nur dann nachhaltig sein könnte, wenn sie nicht getrieben wäre von simuliertem, also fiktivem Wert, kurz: neuen Schulden. Ein Zusammensparen der Volkswirtschaften verstärkt die Schrumpfungstendenz vielmehr, sodass die gesteigerte Wettbewerbsfähigkeit letztlich nicht die gewünschte Wirkung entfalten kann.
Die Rettung: Tausendmilliarden Euro
In einem Interview im Handelsblatt verkündete der Chef der Vermögensberatungsfirma PSM, Langen v.d. Goltz, den einzigen innerhalb der kapitalistischen Kategorien noch denkbaren Lösungsweg: „Die EZB muss EU-Staatsanleihen in Höhe von circa drei bis vier Tausendmilliarden Euro aufkaufen. Diese Anleihen können dann bei nicht Rückzahlbarkeit auf dreißig bis vierzig Jahre zinslos verlängert werden, bis sie schließlich wertlos werden. Durch diesen Bilanztrick kommt es zu einem faktischen Schuldenerlass. Das ist die einzige Möglichkeit, den Staatsbankrott zu verhindern, quasi die beste unter allen anderen schlechten Lösungsvorschlägen.“ Das Interview erschien am 7.12.2012, ist also kein Aprilscherz.
Und im Grunde genommen hat v.d.Goltz ja Recht: Außer der Produktion fiktiven Kapitals in astronomischen Größenordnungen bleibt dem Kapitalverwertungsspiel nichts mehr übrig.
Der brave Anlageberatungschef konstatiert zu Recht: „Mit Sparen lassen sich die Probleme nicht lösen, die Schulden wachsen trotzdem weiter. Wachstum ohne neue Schulden gibt es nicht. Unser gesamtes Wirtschafts- und Geldsystem ist auf immer höheren Schulden aufgebaut. Würden Autos, Immobilien und Maschinen nicht auf Kredit gekauft, breche (sic!) unser Wirtschaftssystem zusammen und ein weiteres Heer von Millionen Arbeitslosen.“ (sic!) Tja, und deshalb: „An eine Rückzahlung der Schulden ist niemals mehr zu denken. Die Steuereinnahmen decken gerade mal die laufenden Kosten, doch der Schuldenberg wächst unaufhörlich weiter. Stellt man sich die Weltwirtschaft als überschuldete Firma vor, gibt es nur drei Möglichkeiten, entweder die Firma wächst, indem sie neue Schulden macht, sie geht Bankrott (sic!), wenn sie die Schulden nicht mehr bedienen kann oder sie macht einen Vergleich mit den Gläubigern.“1
Mit welchen Extraterrestrischen der Herr v.d.Goltz da einen Vergleich machen will oder wie so ein Weltbankrott aussieht, darauf darf man gespannt sein.
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1 Orthografie und Grammatik der Zitate spiegeln den Hund, auf den der deutsche Qualitätsjournalismus à la Handelsblatt gekommen ist. Das Interview ist unter
http://www.handelsblatt.com/finanzen/boerse-maerkte/anlagestrategie/eckart-langen-v-d-goltz-es-muss-etwas-passieren-das-bislang-undenkbar-erschien/7474810-2.html nachzulesen.
Erschienen in Graswurzelrevolution 02/2013 (GWR 376)
Nicolai Hagedorn - 18. Feb, 22:10
Im Spiegel-Interview verkündeten Sie, es sei bald möglich, Neandertaler wiederauferstehen zu lassen. Allerdings dürfe es, wie Sie erklärten, keinesfalls bei einem Neandertaler bleiben, »weil sie schließlich Gesellschaft brauchen. Nur so würden sie eine Form eigener Identität ausbilden. Es könnte eine Art Neo-Neandertaler-Kultur entstehen.«
Mr. Church! Sie waren nicht zufällig in letzter Zeit bei einer Veranstaltung von, sagen wir, Mario Barth? Sonst wüßten Sie nämlich: Das gibt’s alles schon.
Immer gern behilflich:
Titanic
Erschienen in Titanic Magazin 02/2013
Nicolai Hagedorn - 14. Feb, 15:21
Auf Deiner Homepage findet sich folgende Positionsbestimmung: »Wir treten dafür ein, daß sich die friesischen Werte im heutigen gesellschaftlichen und politischen Handeln stärker wiederfinden: persönliche Freiheit; gedankliche Unabhängigkeit; Verantwortung des einzelnen für die Gemeinschaft und umgekehrt« – das ist aber ein Witz, oder?
So oder so amüsiert:
Titanic
Erschienen in Titanic Magazin 01/2013
Nicolai Hagedorn - 31. Jan, 23:30
Vom Märchen der Wohlstandsmaschine zu Kriterien der Emanzipation
Immer weniger Deutsche nehmen Artikel zur Eurokrise noch mit Interesse wahr. Das ergibt eine Untersuchung des Instituts Allensbach. Danach bricht die Lektüre bei Artikeln, die die Signalwörter ESM, ESFM oder Stahlpakt enthalten, oft schon nach 37 Wörtern ab. Danach kann man praktisch jeden Quatsch schreiben, remmbremmer-deng, weil ja ohnehin nur mehr der Mann im Mond zuhört. Schreibt das Titanic-Magazin, während der kapitalistische Globalskandal ungebremst weiterprozessiert und nach Schätzungen der Internationalen Arbeitsorganisation ILO "kommendes Jahr sieben Millionen Jobs vernichten" wird, womit die Community der Joblosen weltweit dann bei geschätzten 209 Millionen liegen dürfte.
Dazu darf man getrost die 900 Millionen Menschen rechnen, die mit weniger als zwei Dollar am Tag auskommen müssen, obwohl sie nicht als arbeitslos gelten, womit wir dann bei etwa 1,1 Milliarden Menschen ohne wohlstandswirksame Arbeit wären.
"In der Wissenschaft, in der wirklichen Welt: Nach langem "trial and error" hat sich der Kapitalismus durchgesetzt", kommentiert Olaf Gersemann in der Welt unter dem Titel "Kapitalismus - was sonst?" und freut sich darüber, dass das warenproduzierende System sich als "beste aller Wohlstandsmaschinen" erwiesen habe.
ILO-Generaldirektor Somavia hingegen kommt zu dem Schluss, dass "jeder dritte Arbeitnehmer auf der Welt arbeitslos ist oder trotz Arbeit in Armut lebt." Oder wie es das Handelsblatt in herzerwärmendem Businessjargon formuliert: "Die globale Beschäftigungssituation bleibt sehr angespannt."
Angespannt dürfte auch sein, wer solcherart Euphemismen aufgetischt bekommt angesichts der Tatsache, dass die Weltmarktsklaven ja die restliche Weltbevölkerung auch noch mitversorgen müssen, was sich dann zu der Horrorzahl von insgesamt 3,14 Milliarden absolut armen Menschen summiert, die jeweils von ca. 2 Euro am Tag leben müssen. Das entspricht einem Anteil von 48% der Weltbevölkerung.
"Am Elend wird der Kapitalismus nicht zugrunde gehen, aber vielleicht am Reichtum. Die Not der Massen hat er gelindert", konstatiert Wolfgang Uchatius in der Zeit kontrafaktisch und belegt seine national bornierte Sichtweise folgerichtig so: "Der Durchschnittsdeutsche von heute besitzt: Fernseher, Bücher, Möbel, Digitalkamera, Elektroherd, Waschmaschine, Mobiltelefon, Auto, Computer. Insgesamt: 10.000 Gegenstände. Die Maschine war ziemlich erfolgreich."
Wer sich nicht vorstellen kann, ohne 10.000 Gegenstände, dafür aber mit 8 Euro am Tag auskommen zu müssen, darf sich darüber freuen, dass er nicht zu den 5,15 Milliarden Menschen zählt, die genau das müssen. 80% der Weltbevölkerung in Armut, also mit einem Tageseinkommen (in Kaufkraft) von unter 8 Euro: Das und nichts anderes ist das Ergebnis der "Erfolgsgeschichte Kapitalismus".
Der "Durchschnittsdeutsche" bekommt davon freilich nichts mit, die Bevölkerung hierzulande sei "von der Leistungsfähigkeit und Effizienz unseres Wirtschaftssystems weit mehr überzeugt als noch vor wenigen Jahren. Die wirtschaftliche Entwicklung der letzten Jahre hat vielen das Vertrauen in die Erfolgsträchtigkeit der Marktwirtschaft zurückgegeben", fasst das Allensbach-Institut die Ergebnisse einer Umfrage zum Thema zusammen.
Während die mit den 10.000 Gegenständen auf die nächsten "Adjustierungen" (Gersemann) des Systems warten, weiß die Financial Times Deutschland davon zu berichten, dass die 151 so genannten Schwellenländer, auf denen die größten Hoffnungen auf eine neue Runde der Kapitalakkumulation ruhen, "bezogen auf Wachstum, Inflation, Investitionen, Staatsfinanzen und Leistungsbilanz" hohen Erwartungen nicht gerecht werden. Hinsichtlich einer zu erwartenden Wachstumsrate von drei Prozent, einer Inflation von höchstens 5 Prozent, einer Investitionsquote von mindestens 25%, einer Staatsverschuldung von weniger als 50% und einem Leistungsbilanzdefizit von weniger als 2% ließe sich laut FTD-Test nur ein einziges Schwellenland benennen, das als in jeder Hinsicht solide zu qualifizieren wäre: Lettland.
In diesem Musterland der nachholenden Kapitalisierung sorgte Anfang 2011 eine Serie von Raubüberfällen für Aufsehen. Die Täter waren zum Teil Polizisten, was in der Lettischen Presseschau, einem deutsch-lettischen Nachrichtenprojekt, dahingehend beurteilt wurde, dass unter anderem die Monatslöhne der Polizeibeamten von "281 bis 421 Euro" schlicht nicht ausreichen: "Mit solchen Summen lässt sich auch in Lettland eine Familie nur schwer über die Runden bringen. Zwar sind die Wohnkosten in Riga noch weitaus geringer als in Köln oder München, doch die Preise für Lebensmittel, Kleidung und sonstige Alltagsware haben längst westliches Niveau erreicht. Ein Teil der Bediensteten jobbt daher in der Freizeit. Polizisten arbeiten als Wachleute, in privaten Sicherheitsdiensten, manchmal arbeiten sie rund um die Uhr."
Die Geschichte vom Wohlstand bringenden Kapitalismus bleibt, was sie immer war: ein Märchen
Seit geraumer Zeit wird in den liberalen Mainstreammedien versucht, sich eine Alternative zur Marktwirtschaft vorzustellen, was naturgemäß solange nicht gelingen kann, wie die positivistische, mechanistische Betrachtungsweise gesellschaftlicher Prozesse aufrechterhalten wird.
Das Wesen der inneren Logik der Kapitalverwertung muss unsichtbar bleiben, solange nicht zur Kenntnis genommen wird, dass es sich dabei im Kern um ein gesellschaftliches Fetischverhältnis handelt, das einem einzigen Zweck dient: Aus Geld mehr Geld zu machen.
Die Produktion stofflichen Reichtums in der Gestalt nützlicher Dinge ist unter diesen Bedingungen also immer nur notwendige Begleiterscheinung der Produktion abstrakten Reichtums, wie er sich im Geld ausdrückt. Wo diese misslingt, kommt auch jene ins Stocken, und die produzierten Dinge stellen bloß nutzloses Material dar, das seinen Zweck nicht erfüllt hat. (Trenkle/ Lohoff)
Spätestens seit FAZ-Herausgeber Schirrmacher in einem an Enttäuschungspathos und Larmoyanz kaum zu überbietenden Räsonnement über die Tauglichkeit liberaler Gesellschaftstheorie und -praxis zu der Einsicht kam, "das große Versprechen an individuellen Lebensmöglichkeiten" habe sich "in sein Gegenteil verkehrt", hat der bürgerliche Mainstream die Systemkritik für sich entdeckt. Selbstverständlich wird hegemonial betont, es könne nur darum gehen, wie man die Marktwirtschaft "bändigt", ihre Funktionsweise wieder herstellt usw.
So gesehen ist die von Gersemann in der Welt aufgeworfenen Frage nach einer grundlegenden Alternative schon ein Fortschritt, auch wenn er sie direkt selbst beantwortet, indem er klarstellt, Sozialismus könne auf keinen Fall eine solche sein, dieser sei für "die Bürger" schließlich "klar als die schlechtere erkennbar".
So stehen sie also vor einem Rätsel. Denn: "Der Kapitalismus kann so nicht bleiben", wie die Zeit klug erkennt, andererseits ist er kaum reformierbar, wie die Empirie mittlerweile so unübersehbar zeigt, dass selbst FAZ, Welt und Zeit es nicht mehr hinwegjubeln können.
Dabei ist die Sache so kompliziert eigentlich gar nicht.
Dass eine Wirtschaftsweise zuallererst so funktionieren sollte, dass sie die materiellen Bedürfnisse Aller einigermaßen gleichmäßig befriedigt, möglichst alle Menschen am Arbeitsprozess beteiligt und der auf die Produktion der Güter zu verwendende Zeitaufwand für den Einzelnen dabei möglichst gering sein sollte, könnte sich auch ein bürgerlicher Journalist selbst zusammenreimen. Und dass die kapitalistische Ökonomie genau das Gegenteil evoziert und jene eigentliche Aufgabe nicht einmal im Programm hat, zeigt, dass es sich hier im Grunde gar nicht um eine "Wirtschaftsweise", sondern um die ins Werk Setzung eines verrückten Selbstzwecks handelt: Trotz ausreichend Produktionsmöglichkeiten zur weltweiten Versorgung der Bevölkerung herrschen Massenarbeitslosigkeit, Massenarmut einerseits und ein idiotischer, krank machender Konkurrenzkampf andererseits.
Auch ohne ein Wort Marx gelesen zu haben, dürfte einleuchten, dass es auf Dauer nicht zu einer vernünftigen Verteilung von produzierten Gütern kommen kann, wenn das zentrale Prinzip der dafür zuständigen ökonomischen Systematik darin besteht, Geld in Güter und dann wieder Güter in Geld zu tauschen, mit dem Ziel, aus einer bestimmten Menge Geld eine größere Menge Geld zu machen.
Es wäre wohl einer Grundschulklasse einsichtig, dass ein solches Vorgehen letztlich dazu führen muss, dass sich Reichtum konzentriert und eben das eigentliche Ziel von vornherein nur verfehlt werden kann.
Wie das besser gemacht werden könnte, liegt auf der Hand
Es müssten alle Menschen am Produktions- bzw. Leistungsprozess beteiligt werden und die Güter und (Dienst-)Leistungen so verteilt werden, dass alle Menschen genug zu essen, ein Dach über dem Kopf , Zugang zu Kultur und Bildung und genug Zeit haben, das zu tun, wonach ihnen der Sinn steht.
Das ist hinsichtlich Produktivität, Logistik und weltweiter Vernetzung längst machbar.
Laut der UN Organisation für Ernährung und Landwirtschaft FAO ist es beim heutigen Stand der Technik möglich, jeden Erdenbewohner mit 2700 Kalorien täglich zu versorgen und wie aus einer Studie aus dem Jahre 2010 (publiziert in "Proceedings oft the Royal Society B") hervorgeht, gehe es dabei "nicht nur darum, die Menschen satt zu machen, sondern sie auch gesünder und umweltschonender zu ernähren." (C. Godfray, zit. n. Zeit online)
Jährlich werden ca. 5 Milliarden Jeanshosen, 65 Millionen Autos und 250 Millionen Fernseher produziert.
Da Produktionskapazitäten unter Marktbedingungen fast nie ausgelastet sind, ist davon auszugehen, dass die mögliche Produktion dieser und aller anderer Produkte deutlich höher liegt.
In etwas mehr als einem Jahr hätte man also die gesamte Weltbevölkerung mit einer zusätzlichen Jeanshose versorgt, bei allen anderen Textilien sieht es ähnlich aus. Geht man davon aus, dass in einem Haushalt 3 Personen leben, könnte bei ca. 1 Milliarde Autos, die derzeit auf der Erde fahren, bereits jetzt jeder zweite Haushalt eines besitzen, bei einer Produktionskapazität von mindestens 70 Millionen Autos jährlich, könnten in 10 Jahren alle Haushalte der Welt mit einem Auto ausgerüstet sein. Mit Fernsehern wären alle in etwa 5 Jahren versorgt.
Nahrung, Kleidung, Mobilität und Zugang zu Informationen für alle: Möglich und machbar.
Wenn man weiterhin berücksichtigt, welche enormen Ressourcen allein in der Verwaltung des sinnlosen Selbstzwecks, also etwa in Banken, Versicherungskonzernen, staatlichen Verwaltungsbehörden, sowie in bedürfnisfremden Segmenten wie der Rüstungsindustrie gebunden sind, drängt sich die Erkenntnis auf: Produktion für alle bei niedrigen Arbeitszeiten für alle ist längst keine Utopie mehr.
Dafür muss man sich aber von der Vorstellung verabschieden, dass es ein blindes System geben muss, dass sich "hinter dem Rücken der Akteure" (Marx) vollzieht und gleich einer "unsichtbaren Hand" (Smith) irgendwie alles regelt.
"[Es] wäre doch in seiner (des Individuums, Anm. d. A.) bündigen Negation, der Abschaffung der Monade durch Solidarität, zugleich die Rettung des Einzelwesens angelegt, das gerade in seiner Beziehung aufs Allgemeine erst ein Besonderes würde", schildert Adorno in der Minima Moralia die Überwindung des Fetischverhältnisses. Im Klartext: Nur in der Solidarität, also im direkten, empa-thischen Bezug auf andere Individuen "wird" der einzelne Mensch "ein Besonderes" und negiert damit sein Gefangensein in Fetischverhältnissen.
Unter den Bedingungen kapitalistischer Vergesellschaftung müssen Gemeinsinn, Kooperation, Solidarität und Empathie aber in einem "privaten" Bereich in einer so genannten, sprachlich schon verräterischen "Freizeit" entsorgt und so zur nutzlosen, dem Fortkommen des angeblichen Wohlstands hinderlichen und daher gewissermaßen lächerlichen Randerscheinung werden.
Zwar werden solche Qualitäten im Arbeitsprozess durchaus gebraucht und vernutzt, sie dienen aber darin allein der Beschaffung von abstraktem Reichtum und stehen mithin voll und ganz im Dienste des Fetischverhältnisses. Von ihrem emanzipativen Charakter bleibt dabei nichts übrig.
Mitten unter den standardisierten und verwalteten Menscheneinheiten west das Individuum fort. Es steht sogar unter Schutz und gewinnt Monopolwert. Aber es ist in Wahrheit bloß noch die Funktion seiner eigenen Einzigkeit, ein Ausstellungsstück wie die Mißgeburten, welche einstmals von Kindern bestaunt und belacht wurden. (a.a.O.)
Das ins "Private" ausgegrenzte existiert nur noch als Hobby im für die Reproduktion irrelevanten Spaßsegment, das von der Kulturindustrie unterhalten wird oder als funktioneller Bestandteil des so genannten Humankapitals: "Da es keine selbständige ökonomische Existenz mehr führt, gerät sein Charakter in Widerspruch mit seiner objektiven gesellschaftlichen Rolle." (a.a.O.)
Um das Kapitalverhältnis zu überwinden, muss nicht eine ökonomische Alternative ausgearbeitet werden, sondern das Solidarische, das, wenn man so will Menschliche zum Prinzip der Organisation der Reproduktionstätigkeit gemacht werden.
Anders gesagt: Nicht eine Wirtschaftsweise muss überwunden werden, weil, wie gesehen, der Kapitalismus im Grunde gar keine Wirtschaftsweise ist, sondern das Fetischverhältnis, das sich über die Produktion von abstraktem Reichtum, dargestellt im Geldmedium realisiert.
Welt-Journalist Gersemann kann sich das nicht vorstellen, zeigt stattdessen autoritären Charakter und ruft nach dem Erlöser, den es schlechterdings nicht geben kann: "Kapitalismuskritiker gibt es viele - doch wo ist der Intellektuelle, dem zuzutrauen wäre, eine kohärente nicht kapitalistische Wirtschaftsordnung zumindest im Modell zu entwerfen?"
So also stellt man sich gesellschaftliche Umbrüche in Springer-Büros vor: Ein intellektueller Tausendsassa muss kommen, ein Modell entwerfen, am besten mit schöner Powerpoint-Präsentation und Mindmap am Flipchart.
Menschen, die gerade unter dem Diktat der kapitalistischen "Selbstverantwortung" jeder Selbstbestimmung über das eigene Leben beraubt und eigentlich selber nichts mehr sind, fragen
unvermeidlich nach einem "Rezept", wenn sie sich der Ausweglosigkeit ihrer Daseinsweise überführt sehen. Damit beweisen sie nur, daß sie selbst die Überwindung des Kapitalismus noch in
kapitalistische Kategorien einbannen wollen. Denn ein "Rezept" setzt bereits voraus, daß die anzustrebende Selbstbestimmung nach vorgefertigten Mustern einer äußerlichen Instanz abzulaufen hat, also sich selber dementiert. Was sich angeben läßt, sind nicht "Rezepte" nach einem sozialen Baukastensystem (das wäre nichts als Sozialtechnologie, die ihren Ort nur im Kapitalismus haben
kann), sondern vielmehr Kriterien der Emanzipation.
Die "böse Horizontale" fängt nicht mit dem
Abspulen eines vorgedachten Programms an, sondern mit der sozialen Rebellion gegen die unverschämten Zumutungen von "Marktwirtschaft und Demokratie". (R. Kurz)
Die Emanzipation von den "Zumutungen" kann, dafür braucht es nicht einmal dialektisches Verständnis, weil es eine pure Tautologie ist, nur emanzipatorisch sein.
Innerhalb des Abhängigkeitsverhältnisses vom Kapital wird das nicht vonstatten gehen können.
Genauso untauglich wie "eine Diktatur des Proletariats", ein "Marsch durch die Institutionen" oder das haarsträubende Vorhaben der RAF, durch Ermordung einzelner Funktionsträger und Anschläge auf symbolträchtige Einrichtungen einen Bewusstseinseffekt beim kapitalistisch deformierten Spießbürger zu erzielen, sind folkloristische Vorstellungen von Subsistenzwirtschaften oder Schenkökonomien.
Es müsste stattdessen die Negation des Finanzierbarkeitsvorbehalts in den Mittelpunkt von Protestaktionen und emanzipatorischen Bewegungen rücken. Wo immer Ressourcen nicht genutzt werden, stofflicher Reichtum nicht dahin gelangt, wo er benötigt wird oder Produktion stattfindet, die Ressourcen bindet ohne an der konkreten Bedürfnisstruktur der Menschen ausgerichtet zu sein, müsste eine antikapitalistische Bewegung aktiv werden.
Ob Wohnungen gebaut, Krankenhäuser betrieben, Nahrungsmittel produziert oder Bahnlinien unterhalten werden, darf nicht davon abhängen, ob die nötige 'Kaufkraft' vorhanden ist. Kriterium dafür kann einzig und allein die Befriedigung konkreter Bedürfnisse sein. (
) Wenn Ressourcen stillgelegt werden sollen, weil 'das Geld fehlt', müssen diese eben angeeignet und in bewusster Frontalstellung gegen die fetischistische Logik der modernen Warenproduktion transformiert und betrieben werden. (Lohoff/Trenkle)
Basisdemokratische Grundstrukturen wären konstitutiv, vorstellbar wären Räte- oder Delegiertenkongresse, an welche übergreifende Entscheidungen abgegeben werden können. Dies kann aber im Vorhinein nicht als Masterplan ausgearbeitet werden.
Das Wie der Organisation von Menschen, die über die sie betreffenden existenziellen Fragen bewusst, solidarisch und kooperativ entscheiden, wird sich nur in genau dem gleichen Aushandlungsprozess vollziehen können, der auch für die Bereiche der Partizipation, arbeitsteilige Produktion und Verteilung konstitutiv sein müsste. Der konkrete Verlauf eines solchen radikalen, emanzipatorischen Prozesses ist unmöglich absehbar und daher auch nicht modellhaft zu planen.
Eine modellhafte, mechanistische Vorstellung gesellschaftlicher Prozesse, die dem Wesen der Kapitalverwertung entspricht und die der kapitalistische Mensch verinnerlicht hat, wird dann auch das größte Hindernis sein bei der Formierung einer relevanten Bewegung.
Wo immer mehr produziert wird oder werden kann, dafür aber immer weniger menschliche Arbeit gebraucht wird, verlieren die Produkte unweigerlich an Wert. Die Maschinen können die von ihnen hergestellten Produkte nicht kaufen, für sie sind diese "wertlos". Massenhaft Güter für Menschen zu produzieren, die nur 8 Euro am Tag ausgeben können, entzieht den Unternehmen andererseits die Profit-Möglichkeiten, Lohnerhöhungen hingegen werden von der Konkurrenzsituation auf dem Markt sofort gnadenlos bestraft.
Wo aber keine Rendite zu erwarten ist, wird nicht investiert. Mit einem Wort: Die wertbasierte Produktionsweise wird nicht aufrechtzuerhalten sein. Nur durch Monopolisierung und das Auftürmen von Schuldenbergen kann wirtschaftliche Aktivität heute noch in Gang gesetzt werden.
"Wenn diese Bombe eines Tages hochgeht und derzeit sehe ich weit und breit keinen Staatsmann/Staatsfrau von Format, der in die richtige Richtung schreitet, dann können Sie Ihre Sicht-, Termin- und Spareinlagen, welche die Deutschen noch immer mehrheitlich halten, abschreiben. Wenn das zusammenbricht, wird noch kein so hochheiliger Treueschwur von Merkel und/oder Steinbrück mehr helfen", schreibt Norbert Lohrke, Gründer und Vorstand der Globalyze Invest AG, einer Anlageberatungsfirma, an seine Kunden und dokumentiert damit, dass die Kapitalseite durchaus weiß, wo sie steht: "Am Abgrund", so der Titel von Lohrkes Kommentar.
Und so trifft Welt-Autor Gersemann mit einem Satz doch noch den Nagel auf den Kopf: "Das Ende der Wirtschaftsgeschichte ist wohl noch nicht erreicht."
Erschienen in Graswurzelrevolution (GWR) 12/2012
Nicolai Hagedorn - 31. Jan, 23:24
Das ursprüngliche Vollgeld-Konzept, das heute von Josef Ackermanns Doktorvater Hans-Christoph Binswanger propagiert und sogar in einem Papier des Internationalen Währungsfonds empfohlen wird, hatte in den 1930er und 1940er Jahren viele Anhänger unter Nationalökonomen und korrespondierte mit Ideen des Antikommunisten Silvio Gesell. So ist von dem damals prominentesten Vollgeld-Befürworter Irving Fisher das Bekenntnis überliefert, er sei »nur ein bescheidener Schüler des Kaufmanns Gesell«.
Schon in den 1990er Jahren warnte der Marxist Robert Kurz vor der Wiederkehr Gesellscher Theorien: »Statt den Anspruch menschlicher Autonomie gegen den Systemterror der Marktwirtschaft zu formulieren, vertreten die Neo-Gesellianer gar nicht klammheimlich die wölfische Autonomie des reinen Marktteilnehmers gegen jeden menschlichen und sinnlichen Anspruch außerhalb der warenförmigen Abstraktionen.« Was die Vollgeld-Apologeten damals wie heute als Krisenursache ausgemacht haben, ist die Giralgeldschöpfung durch die Geschäftsbanken, also die nicht durch Zentralbankgeld gedeckte Weitergabe von Sichteinlagen an die Kunden. Diese werde durch die Einführung des Vollgeldes unmöglich. Die Geschäftsbanken müssten nach einer Vollgeld-Reform »echtes« Zentralbankgeld an die Kunden weitergeben, die Sichteinlagen zu hundert Prozent durch Zentralbankgeld gedeckt sein.
Was zunächst tatsächlich wie eine Verstaatlichung von Geldschöpfungsgewinnen, Zügelung der Banken und Verwirklichung der Lieblingsforderung aller Kapitalismusreformer »Brecht die Macht der Banken und Konzerne« aussehen mag, läuft in Wahrheit auf die Kontrolle der Geldschöpfung durch eine monetäre vierte Gewalt (die »Monetative«) hinaus. Das Vollgeld-Konzept ist schlicht eine Forderung nach einer »Revolution von oben«, statt Emanzipation wird hier Zentralisierung vorgeschlagen. In der Initiativerklärung des Monetative e. V. heißt es unverblümt, die neue Zentralbank müsse »unabhängig gegenüber Begehrlichkeiten von Regierung und Parlament« gestellt werden.
Dabei ist die massive Ausweitung der Geldmenge, von den Zentralbanken seit Jahren selbst herbeigeführt, die notwendige Reaktion auf die Kreditklemme sowie die fehlenden Kapitalakkumulationsmöglichkeiten innerhalb der »Realwirtschaft«. Insofern hätte eine Vollgeld-Zentralbank die Möglichkeit, das Geld, das derzeit »aus dem Nichts« geschöpft wird, tatsächlich zu »drucken«, was zu einer massiven Geldentwertung führen muss, solange der Geldmenge keine reale Wertsubstanz zugrunde liegt. Der Ökonom Thorsten Polleit stellt zu Recht fest: »Dann würden nicht mehr die Geschäftsbanken Geld aus dem Nichts schöpfen, sondern die Zentralbanken.« Alternativ könnten die Zentralbanker durch Verknappung der Geld- und damit der Kreditmenge Wirtschaftskrisen noch verschärfen.
Der Monetative-Vereinsvorsitzende Joseph Huber vertraute dagegen »Spiegel Online« an, mit dem Vollgeld ließen sich sogar die Staatsschulden reduzieren: »Huber geht davon aus, dass dem Staat allein in Deutschland 14 bis 42 Milliarden Euro jährlich zufließen würden, weil nicht mehr die Geschäftsbanken, sondern die Notenbanken die Gewinne aus der Geldschöpfung einstreichen könnten.« Unter monetative.de findet sich dazu diese Erklärung: »Ein inflationsneutraler Zuwachs der Geldmenge entspricht dem zu erwartenden Wachstum der Realwirtschaft. So entsprechen nach heutigen Maßstäben 1-2-3 Prozent Wirtschaftswachstum in Deutschland einem Geldmengenzuwachs und somit einer Seigniorage in Höhe von 25-50-75 Milliarden Euro. Damit lassen sich 2,4-4,8-7,2 Prozent der öffentlichen Gesamtausgaben bestreiten.«
Die Vollgeldianer wollen also die Krisenhaftigkeit des Kapitals bewältigen, indem sie die Geldmenge dem Wirtschaftswachstum anpassen, Geld drucken und aus den dabei erzielten Seigniorage-Gewinnen die Schulden der Staaten tilgen, was die Abhängigkeit jeder haushaltspolitischen Entscheidung von wirtschaftlichen Wachstumsraten weiter zementieren würde. Angesichts der Tatsache, dass viele Staaten am Beginn einer Rezession stehen, bleibt dabei völlig unklar, wie das überhaupt funktionieren soll.
Das hier von bürgerlichen Eliten und Teilen des angeschlossenen Wissenschaftsbetriebes vermarktete Konzept will die Zumutungen des Kapitalismus nicht überwinden, sondern im Gegenteil diesen krisenfester machen und liberale Wunschträume von einer vierten, monetaristischen »Gewalt« ins Werk setzen. Es richtet sich damit gegen die Emanzipation des Menschen von der Fetischware Geld und der irrationalen Verwertungslogik des Kapitals.
Erschienen in Neues Deutschland vom 08.12.2012
Nicolai Hagedorn - 31. Jan, 23:22
Ausführliche Kritik am Vollgeld-Konzept
Während alle Welt nach Auswegen aus den Schuldenkrisen sucht, verhelfen zwei IWF-Experten einem fragwürdigen Vorschlag zu medialer Aufmerksamkeit, der auf esoterischen Vorstellungen beruht und mit den Theorien des Sozialdarwinisten Silvio Gesell in Verbindung steht.
Am 16.8. berichtete das Handelsblatt in seiner Online-Version von einer Studie, in der die IWF-Autoren Benes und Kumhof einem so genannten Vollgeld-Konzept „ein gutes Zeugnis“ ausgestellt haben. Zeit Online veröffentlichte den Handelsblatt-Artikel ebenfalls, und am 3.9. zog Spiegel Online nach und präsentierte das Vollgeld als „Alternative zur Geldschwemme“. Am 7.9. berichtete die Süddeutsche Zeitung online unter dem Titel „Alle Macht der Notenbank“.
Was im Handelsblatt als „gängiges makroökonomisches Modell“ bezeichnet wird, das die Autoren des im Original als „Working Paper“ deklarierten Dokuments mit „Daten für die US-Wirtschaft gefüttert haben“, entpuppt sich bei genauerem Hinsehen allerdings als wenig aufschlussreiche Vergleichsrechnung. Wichtiger als diese scheint den IWF-Autoren ohnehin die Historie des „Chicago Plans“ gewesen zu sein, der amerikanischen Variante des Vollgeld-Konzepts, der in den 30er und 40er Jahren viele Anhänger innerhalb der Nationalökonomie hatte und wie die meisten Geldreformvorschläge auf Ideen des unvermeidlichen Silvio Gesell gründet oder mit diesen korrespondiert. Gesell unterhielt mit den damaligen Erfindern des 100%-Geldes einen munteren Briefwechsel. Bei Frederick Soddy, der laut IWF-Papier als erster die Vollgeld-Idee formuliert hatte, bedankt sich Gesell in einem Brief für die Nennung seines Namens „in einem mich ehrenden Zusammenhang.“ Dem damals prominentesten Vollgeld-Befürworter Irving Fisher schickt Gesell eines seiner Bücher mit den Worten: „Sie werden sehen, dass hier die Forderungen, für die Sie schon so lange und so tapfer kämpfen, vielleicht mit anderen Worten, mit anderen Gedanken, mit anderen Argumenten, aber doch mit gleicher Unbeugsamkeit gestellt werden.“ Von Fisher ist das Bekenntnis überliefert, er sei „nur ein bescheidener Schüler des Kaufmanns Gesell“.
Berühmt ist Gesell auch für Zitate wie dieses: „Völkisches Empfinden duldet keine Zinsknechtung anderer oder gar die Beteiligung daran. Wer noch etwas rassisches, völkisches Empfinden verspürt, der gehe in sich, tue Buße; der gestehe, daß er und seine Ahnen Verrat begingen am eigenen Volk, am eigenen Blut.“ Bernd Merling beschrieb bereits 2009 die sozialdarwinistischen Vorstellungen Gesells und wie dessen Theorien „die Nationalsozialisten nicht nur beeinflusst haben, sondern er auch gezielt und konkret mit diesen kooperiert hat und wie sich seine Ideen in das nationalsozialistische Gedankengefüge einbauen ließen“. Der Publizist Robert Kurz stellte bezüglich der jüngeren Gesell-Freunde fest: „Statt den Anspruch menschlicher Autonomie gegen den Systemterror der Marktwirtschaft zu formulieren, vertreten die Neo-Gesellianer gar nicht klammheimlich die wölfische Autonomie des reinen Marktteilnehmers gegen jeden menschlichen und sinnlichen Anspruch außerhalb der warenförmigen Abstraktionen.“
Im IWF-Papier werden derweil seitenlang Fakten und Daten zu Gesells Brieffreunden und ihrem Chicago-Plan referiert, die so auch auf Wikipedia erhältlich sind.
Bereits an dieser Stelle der Lektüre fragt man sich, womit sich IWF-Mitarbeiter eigentlich ihre Zeit vertreiben und was Handelsblatt-Journalisten sich unter einer Studie vorstellen. Wie überhaupt an der Vollgeld-Debatte, die bereits seit längerem in den verschiedensten Internetforen geführt wird und jetzt also das Licht einer größeren Öffentlichkeit erblickt, vor allem eines deutlich wird:
Der Voodoo-Ökonomie folgt die Voodoo-Wissenschaft und wer einmal Zeit darauf verwendet hat, sich mit den Werken von Milton Friedman zu befassen, weiß, dass sich Ökonomienobelpreisträger um offene Inkonsistenzen in ihren eigenen Theoremen ohnehin nicht zu scheren brauchen. Der Säulenheilige aller Marktradikalen wird auch von den IWF-Autoren als Befürworter des Vollgelds ausgewiesen.
Vor allem in Teilen der deutschen Occupy-Bewegung gilt die Vollgeld-Idee als die Lösung der Finanzmarktkrise, besonders befördert durch die Gruppe "occupy money", obgleich bereits ihr Ursprung mehr als einen üblen Verdacht hervorruft.
Was die 100%-Money-Apologeten seit Irving Fisher als Krisenursache damals wie heute ausgemacht haben, ist die Giralgeldschöpfung durch die Geschäftsbanken, also die nicht durch Zentralbankgeld gedeckte Weitergabe von Geld in Form von Sichteinlagen an die Kunden. Laut den neoliberalen Querdenkern wird so von den Banken Geld „aus dem Nichts“ geschöpft. Dies würde durch die Einführung des Vollgeldes unmöglich. Die Geschäftsbanken müssten nach einer Vollgeld-Reform „echtes“ Zentralbankgeld an die Kunden weitergeben, die Sichteinlagen künftig zu hundert Prozent durch Zentralbankgeld gedeckt sein.
Mit dieser grandiosen Idee ließen sich angeblich nicht nur Finanzkrisen abschaffen, sondern auch die Staatsschulden reduzieren, wie der bezüglich kruder Geldreformideen einschlägig bekannte Wirtschaftsprofessor Joseph Huber Spiegel Online anvertraute. „Huber geht davon aus, dass dem Staat allein in Deutschland 14 bis 42 Milliarden Euro jährlich zufließen würden, weil nicht mehr die Geschäftsbanken, sondern die Notenbanken die Gewinne aus der Geldschöpfung einstreichen könnten.“
Prof. Huber ist zweiter Vorsitzender des Vereins Monetative e.V., der die Ausgabe des Vollgelds durch eine „vierte Staatsgewalt“, eben die Monetative, durchgeführt sehen will.
Was zunächst tatsächlich wie eine Vergesellschaftung von Geldschöpfungsgewinnen, Zügelung der Banken und Verwirklichung der Lieblingsforderung aller Kapitalismusreformer „Brecht die Macht der Banken und Konzerne“ aussehen mag, läuft in Wahrheit auf die Kontrolle großer Teile der wirtschaftlichen und politischen Tätigkeit durch ein monetäres Zentralorgan hinaus und käme damit dem seit Mandeville, Bentham und Smith großen liberalen Traum von der totalen ökonomischen Herrschaft nahe.
Das Vollgeld-Konzept, das seit Beginn der weltweiten Platzbesetzungen auch in die Occupy-Bewegung getragen wurde, ist schlicht eine Forderung nach einer „Revolution von oben“. Statt Emanzipation werden Entdemokratisierung und Zentralisierung vorgeschlagen. Denn wo eine zentrale Gewalt alleine über die Geldmenge entscheidet, kann sie diese nach Belieben verknappen oder ausweiten. Was derzeit immerhin noch über Marktmechanismen geregelt ist und damit auch von politischen Entscheidungen beeinflusst werden kann, wäre nach einer solchen Reform allein in den Händen einer der demokratischen Kontrolle weitgehend entzogenen Zentralgewalt. In der Initiativerklärung der Monetative-Gruppe heißt es dann auch unverblümt, die neue Zentralbank müsse „unabhängig gegenüber Begehrlichkeiten von Regierung und Parlament“ gestellt werden.
Gelöst wäre dadurch im Übrigen kein einziges wirtschaftliches Problem. Denn die massive Ausweitung der Geldmenge, die ja durch die Zentralbanken selbst herbeigeführt worden ist, ist nicht Folge grenzenloser Gier seitens der Geschäftsbanken, sondern die notwendige Reaktion auf die Kreditklemme und fehlende Kapitalakkumulationsgelegenheiten innerhalb der warenproduzierenden „Realwirtschaft“. Insofern hätte eine Vollgeld-Zentralbank nur die Möglichkeit, das Geld, das derzeit „aus dem Nichts“ geschöpft wird, entweder tatsächlich zu „drucken“, was zu einer Geldentwertung führen würde, solange der Geldmenge keine reale Wertsubstanz zugrunde liegt. Der Ökonom Thorsten Polleit stellt völlig zu Recht fest: „Dann würden nicht mehr die Geschäftsbanken Geld aus dem Nichts schöpfen, sondern die Zentralbanken“. Alternativ könnten die Zentralbanker durch Verknappung der Geld- und damit der Kreditmenge die derzeitige Krise noch verschärfen.
Auf der äußerst schlichten und wenig informativen Homepage monetative.de findet sich dazu nur eine dünne Erklärung: „Ein inflationsneutraler Zuwachs der Geldmenge entspricht dem zu erwartenden Wachstum der Realwirtschaft. So entsprechen nach heutigen Maßstäben 1-2-3 Prozent Wirtschaftswachstum in Deutschland einem Geldmengenzuwachs und somit einer Seigniorage in Höhe von 25-50-75 Mrd Euro. Damit lassen sich 2,4 - 4,8 - 7,2 Prozent der öffentlichen Gesamtausgaben bestreiten.“
Im Klartext: Die Vollgeld-Theoretiker wollen die so genannte Staatsschuldenkrise bewältigen, indem sie die Geldmenge dem Wirtschaftswachstum anpassen, Geld drucken und aus den dabei erzielten Seigniorage-Gewinnen die Schulden der Staaten tilgen, was die Abhängigkeit jeder haushaltspolitischen Entscheidung von wirtschaftlichen Wachstumsraten endgültig zementieren würde.
Angesichts der Tatsache, dass die meisten europäischen Staaten am Beginn einer Rezession stehen, bleibt darüber hinaus völlig unklar, wie das funktionieren soll.
In einer Lobeshymne an das Buch des Vollgeld-Freundes Prof. Helge Peukert mit dem Titel „Die große Finanzmarkt- und Staatsschuldenkrise“, die in Auszügen auf der occupy money-Website zitiert wird, gestehen die neoliberalen Vordenker nun wirklich völlig absurder Weise die Untauglichkeit der eigenen Konzeptionen ein: „Mit einer bewundernswerten Geste der Aufrichtigkeit bekennt Peukert, dass er ´sich an die letzte Wurzel des Problems der Finanzmärkte bisher nicht herantraute: Wie kann ein Wirtschaftssystem überleben, das angesichts positiver Zinssätze und mit Vermögenswerten, die Rendite abwerfen sollen, was letztlich nur durch Erlöse aus der Realsphäre geleistet werden kann, ein System also, das auf Wachstum angelegt ist, mit den Erfordernissen der Ökosphäre harmonieren, die stetiges Wachstum nicht mehr verträgt.‘ Diese Fragen im wirtschaftswissenschaftlichen Raum überhaupt zu stellen, ist - unabhängig davon, wie sie in Zukunft beantwortet werden - ein geradezu sensationelles Ergebnis."
Diese „sensationelle“ Erkenntnis präsentiert im Original Werner Onken in der Zeitschrift für Sozialökonomie, deren Autoren laut Wikipedia „durch eine gewisse Nähe zur Freiwirtschaftslehre Silvio Gesells miteinander verbunden sind“, womit dann auch endgültig klar ist, woher der Wind hier weht.
Unter den Autoren der Zeitschrift für Sozialökonomie findet sich auch ein gewisser Bernd Senf, auf dessen Wikipedia-Eintrag verwiesen wird, wer in der Internetenzyklopädie nach dem Begriff Monetative sucht.
Es fließt zusammen, was zusammen gehört und neuerdings wird versucht, das ganz große mediale Rad zu drehen.
Gesell-Freund, Monetative-Erfinder und Volkswirtschaftsprofessor Senf erklärt die theoretische Grundlage der Vollgeldkonzeption auf seine Weise. Für ihn sind so genannte Blockierungen und Verklemmungen schuld an den Übeln der Welt.
In Senfs endlosen Vorträgen geht es um wirbelnde Orgonenergie, die sich mit „ebenfalls wirbelnder“ kosmischer Energie auch zu lebendigem Wasser verbinden kann. „Dieses Einwirbeln, Auswirbeln, Einwirbeln, Auswirbeln, wenn das das Wesensmerkmal dieser Lebensenergie ist, und zwar aus sich heraus, (…) dann ist auch verständlich, wenn man materielle Substanz, also Wasser, einwirbelt, dass sich das anreichert, und zwar ohne irgendeinen zusätzlichen Energieaufwand, mit der ebenso wirbelnden Energie.“
Was da im Kopf des Volkswirtschaftlers wirbelt und sich anreichert, ist beeindruckend:
Senf sieht im gesamten Kosmos eine orgonotische Lebensenergie am Werk, die unsichtbar dauernd durch alles fließt und die man auf keinen Fall am Fließen hindern dürfe, sonst komme es zu fatalen Blockierungen und Erstarrungen, auf die alle Unbilden der Welt zurückzuführen sind. Das reicht etwa von Kontaminierungen im Umfeld von Atomkraftwerken bis zu mütterlichen Bauchschmerzen bei der Geburt eines Kindes – alles eine Frage blockierter Orgonenergie.
Dass sich dieses ursprünglich von Parawissenschaftler Wilhelm Reich „entdeckte“ Prinzip auch in der Wirtschaft wiederfindet, ist für Professor Senf selbstverständlich: „Was hat dies alles mit Silvio Gesell zu tun? Beim Studium seiner Schriften fiel mir eine verblüffende Ähnlichkeit mit seiner Erkenntnismethode und Sichtweise von Schauberger und Reich auf, obwohl sich seine Studien überwiegend auf ein scheinbar ganz anderes Gebiet bezogen: nämlich auf das Fließen des Geldes im sozialen Organismus einer arbeitsteiligen und Waren produzierenden Gesellschaft - und auf die Folgen seiner Blockierung, bzw. auf die ungeeigneten Mittel, mit denen dieser Blockierung im herrschenden Geldsystem begegnet wird.“
Wie die Monetative das lebensenergetische Fließen im Geldsystem herstellen soll, erklärt Senf gewohnt ausführlich in einem dreieinhalbstündigen im Internet veröffentlichten Vortrag.
Auf der Liste derer, die das Wunder des Fließens in Form des Senfschen Blockadelöser Monetative und Vollgeld propagieren, wird es durchaus prominent. Neben Josef Ackermanns Doktorvater Hans-Christoph Binswanger taucht auch der Wirtschaftsprofessor Christian Gomez auf, der wiederum als Mitarbeiter des erzneoliberalen Ökonomie-Nobelpreisträger von 1988, Maurice Allais, auf der Homepage der Monetative vorgestellt wird.
Weiter wird den Wirtschaftsstudenten die Fließtheorie nahegebracht von Prof. Michael Hudson (University of Missouri, Kansas City, USA), Prof. Thomas Huth (Leuphana Universität Lüneburg), Prof. Steve Keen (University of Western Sidney), Prof. Helge Peukert (Universität Erfurt), Prof. Peter Ulrich (Uni St. Gallen), Prof. Richard Werner (University of Southampton), Prof. Kaoru Yamagouchi (Doshisha University Business School, Kyoto, Japan) und vielen anderen.
Ähnliche Vorstellungen propagiert eine amerikanische Gruppe, die sich „sacred economy“ nennt und deren prominentestes Mitglied Charles Eisenstein den diesjährigen „Mystica-Kongress“ in München eröffnete, auf dem sich die Teilnehmer in Seminaren mit Themen wie „Bewußtseinsmedizin“ und „Aufwachen oder Erleuchtung – Nur eine Vision oder Chance für ein ganzheitliches Leben?“ dem allerneusten Esoterikquark hingeben konnten. Tagestickets gab´s zum Schnäppchenpreis von 145 Euro, wer gleich das ganze Wochenende durchhalten wollte, war mit schlappen 255 Euro dabei.
Eisenstein tritt mit seiner Heiligen Ökonomie gerne auch auf Veranstaltungen des Zeitgeist Movement auf, die ebenfalls auf der Homepage von Bernd Senf verlinkt ist. Magrit Kennedy, früher Professorin an der Universität Kassel, heute Mitglied im Wissenschaftlichen Beirat der Monetative, leitete derweil auf dem von Eisenstein eröffneten Esoterikkongress das Seminar „Occupy Money – Ein visionäres Plädoyer für ein neues Geld“. Auf Kennedys Blog occupy-money.de ist auch ein MysticaTV-Videomitschnitt von einem gemeinsamen Interview mit Eisenstein einsichtig.
Prominentester Geldfluss-Befürworter hierzulande ist wohl Dirk Müller, im sprachgestörten Börsenjargon irgendwann einmal zum „Mr. Dax“ erkoren und aus kaum einer Talkshow zu Wirtschaft und Krise mehr wegzudenken. Für seine Milchmädchenrechnungen („Josefspfennig“) berühmt-berüchtigt, ist auch er überzeugt von der Wirkmacht des Vollgelds.
Die Liste ließe sich weiter führen.
Es wird hier im Zusammenspiel von neoliberalen Eliten und Vertretern des angeschlossenen Wissenschaftsbetriebes ein Konzept vermarktet, das ökonomisch unsinnig ist, unterlegt mit esoterischer Begleitmusik und kompatibel mit der Gesellschen Vulgärökonomie aber zur Irreführung und zur Ablenkung von der Krise des Kapitals durchaus taugen kann.
Nationalökonomen wollen und können nicht in Erwägung ziehen, dass nur die Überwindung der Kapitallogik selbst der Menschheit eine lebenswerte Perspektive eröffnen könnte, und so wird das Offensichtliche lieber einem kosmischen Energiefluss zugeschrieben, aus dem sich im wahrsten Sinne wundersame Perspektiven generieren lassen.
Wer glaubt, dass solche Manöver nicht durchschaut werden, muss schon ein großes Vertrauen in den Verblödungsgrad des Publikums nach jahrzehntelanger Berieselung durch die kapitalistische Kulturindustrie haben.
Es steht zu befürchten, dass es gerechtfertigt ist.
Erschienen auf indymedia.org am 11.12.2012
Nicolai Hagedorn - 31. Jan, 23:18
Warum Du Dir so sicher seist, daß es IHN gebe, wurdest Du auf »bild.de« gefragt, und führtest als Gottesbeweis an, daß Du einmal aufgrund eines Tropenvirus im Koma gelegen und dabei auch Nahtoderfahrungen gemacht hättest: »Es war Licht da und warm. Ich war irgendwo zwischen dem Hier und dem Jenseits. Da habe ich Gott gespürt.« Daß aber Du, Ferres, eine derartig heikle Situation überlebst, während Millionen anderer bei so etwas über den Jordan gehen – ist das nicht eher ein Beweis für die Nichtexistenz einer halbwegs bei Trost seienden Gottheit?
Findet irgendwie schon:
Titanic
Erschienen in Titanic Magazin 11/2012
Nicolai Hagedorn - 31. Jan, 23:13
bist komplett arm- und beinamputiert und durchschwammst in der Rekordzeit von 13 Stunden ausgerechnet den, ja genau, was auch sonst: Ärmelkanal! Glückwunsch. Und als nächstes besteigst Du den Knieberg in den Dolomiten?
Wir behalten Dich im Auge!
Titanic
Erschienen in Titanic Magazin 08/2010
Nicolai Hagedorn - 31. Jan, 23:11
mit Psychologie-, Sportwissenschafts- und Theologiestudium sowie, quasi als Highlight, der Betreuung von Hannover 96 nach Robert Enkes Suizid läßt ja nicht viel Gutes erahnen. Als WM-Experte für Sportpsychologie erklären Sie dann auch in der Frankfurter Rundschau folgerichtig, daß Sie »amoralisch-abgezocktes« Verhalten im Sport »hervorragend« finden, was Sie mit der Reaktion von Manuel Neuer nach dem nicht gegebenen Tor der Engländer illustrieren: »Er hat einfach so getan, als wäre nichts gewesen, und dies im Interview anschließend sogar bestätigt. Das war, im positiven Sinne, richtig skrupellos, nur auf den eigenen Erfolg bedacht – eigentlich eine durch und durch italienische Eigenschaft. Genau diese Eigenschaft fehlte dem Team vor vier Jahren.«
Dabei habe, so deuten Sie weiter, die deutsche Mannschaft »ein Stück ihrer Ehrlichkeit zugunsten einer klaren Fokussierung auf den Erfolg abgelegt. Wenn man so will, zeigt sie uns hier einen Charakterzug, den man bei vielen jungen Deutschen heute beobachten kann. Ihnen ist der persönliche Erfolg wichtiger als übergeordnete Moralvorstellungen, denen man sich zu beugen hat. Darin drückt sich die kollektive Leistung aus, mit dem Erbe der Vergangenheit anders umzugehen als ältere Generationen.«
Und da wünschen wir Ihnen, Marlovits, insbesondere angesichts Ihres Nachnamens, mal lieber keinen jungen Deutschen mit amoralischem Verhältnis zum Erbe der Vergangenheit an den Hals.
Ganz ehrlich:
Titanic
Erschienen in Titanic Magazin 08/2010
Nicolai Hagedorn - 31. Jan, 23:07
treten in der Sendung »Tatort Internet« als Lockvögel immer superheiße Jungs und Mädels auf, die zwar aussehen wie dreizehn, in Wahrheit aber schon achtzehn sind, wie Du nicht müde wirst zu betonen. Daher wäre unsere Frage, ob man die eventuell mal kennenlernen könnte, so ganz unverbindlich. Vielleicht übers Internet oder so?
Könntest Du da vielleicht vermitteln?
Sabberlechz:
Titanic
Erschienen in Titanic Magazin 12/2010
Nicolai Hagedorn - 31. Jan, 23:05
Was genau ist eigentlich Deine Geschäftsidee? Fragt ehrlich interessiert:
Titanic
Erschienen in Titanic Magazin 10/2011
Nicolai Hagedorn - 31. Jan, 23:04
gleich die ganze Dopingproblematik so anschaulich im Namen tragen und dann beim Winterolympia-Damenbiathlon nur Vierte werden – soll das irgendwie witzig sein? Anabolisch-verlogene Grüße:
Titanic
Erschienen in Titanic Magazin 05/2010
Nicolai Hagedorn - 31. Jan, 23:02
warnst auf der Homepage www.bayern-gegen-linksextremismus.bayern.de unbedarfte Eltern: »Wenn Ihr Kind aber in Kreise gerät, die unseren Rechtsstaat pauschal als ›kapitalistisches Fascho- und Bullensystem‹ diffamieren, eine Beseitigung der freiheitlich demokratischen Grundordnung fordern und hierfür auch Gewalt als legitimes Mittel betrachten, sollten Sie hellhörig werden.«
Gut, das wird bayerischen Eltern sicher eine große Hilfe sein. Was aber, wenn der Heranwachsende den Rechtsstaat nicht pauschal als kapitalistisches Fascho- und Bullensystem diffamiert, sondern ihn differenziert und schlüssig begründet als solches bezeichnet? Dann ist alles in Ordnung?
Ehrlich, bayerische Staatsregierung: Du läßt ganz schön nach.
Stets hellhörig:
Titanic
Erschienen in Titanic Magazin 11/2011
Nicolai Hagedorn - 31. Jan, 22:59
neulich der sog. Bundesligacoach P. Neururer zum Thema Homophobie im Fußball mitteilte, er laufe auch nicht den ganzen Tag herum und rufe, er sei hetero (als ehemaliger Trainer von Kickers Offenbach hätte er’s ja eigentlich nötig) – da warst Du, »hart aber fair«, uns schon nach knapp 30 Sekunden zu anstrengend. Neuer Rekord.
Weiterzappend:
Titanic
Erschienen in Titanic Magazin 05/2010
Nicolai Hagedorn - 31. Jan, 22:57
gewohnt tiefschürfenden Reportage über Serienkiller entnehmen wir: »Zwar ist der Begriff Psychopath als laxe Beschimpfung in der Öffentlichkeit schnell zur Hand. Demnach wäre etwa Dieter Bohlen einer und Guido Westerwelle wohl auch. Nur: Wer kennt schon das tatsächliche Krankheitsbild solcher auf bizarre Art Gestörten und seine Ursache?« Und weißt Du was, Spiegel? Diese Frage stellt sich tatsächlich schon länger, vor allem, wenn wir Dich lesen.
Bussi:
Titanic
Erschienen in Titanic Magazin 06/2010
Nicolai Hagedorn - 31. Jan, 22:52
natürlich aus allem Profit schlagen wollen – das ist als Händler für allerlei Beach- und Camping-Material ja auch Deine Aufgabe. Aber mitten in die täglich neuen Enthüllungen um die Vorlieben von katholischen, evangelischen und reformpädagogischen Mitarbeitern ausgerechnet ein »Jugend-Kuppelzelt Shuteye« zum Superschnäppchenpreis anzubieten, geht dann doch ein bißchen weit.
Finden jedenfalls Deine Verkupplungsgenies auf der
Titanic
Erschienen in Titanic 08/2010
Nicolai Hagedorn - 31. Jan, 22:51
Du kümmerst Dich ja schon seit längerem nicht mehr ausschließlich um die Bild-Zeitung, sondern willst ein »Watchblog für deutsche Medien« sein. Wenn Du Dir aber nun vornimmst, die Fehler in der Frankfurter Rundschau zu korrigieren, ein kleiner, gutgemeinter Rat: Ganz neues Blog aufmachen und viele neue Mitarbeiter einstellen, denn so leicht wie bei dem Artikel über Hannovers Stürmer Ya Konan, in dem Du fünf Fehler fandest, wirst Du im Normalfall nicht davonkommen.
Stets hilfsbereit:
Titanic
Erschienen in Titanic Magazin 12/2010
Nicolai Hagedorn - 31. Jan, 22:48
Der Offenbach-Post zufolge gelten Sie als »absolute Expertin auf dem Gebiet der Akutwirkung und Langzeitfolgen von Ecstasy auf die Hirnfunktion«. Da stellen wir uns doch gerne Ihre Schützlinge vor, wie sie vor dem Praxisschild stehen und sich fragen, in welche Phantasiewelt/Paralleldimension/Zeitreise sie denn jetzt wieder geraten sind.
Auch schon ganz berauscht:
Titanic
Erschienen in Titanic Magazin 01/2011
Nicolai Hagedorn - 31. Jan, 22:46
Auf der Homepage Deines Senders FFH gibst Du einige Deiner Charakterzüge preis: »Ich bin eine emotionale Rationalistin mit leichtem Hang zum Pessimismus, den ich aber mit einer ordentlichen Portion Optimismus auszugleichen weiß (nennt man das ›Neutralisation‹?).« Deine Frage möchten wir Dir gerne beantworten: Nein, das nennt man nicht »Neutralisation«, das nennt man »eitles Schwafeln«.
Neutral wie immer:
Titanic
Erschienen in Titanic Magazin 02/2011
Nicolai Hagedorn - 31. Jan, 22:44
Sie sind neuer Leiter des Frankfurter Stadtvermessungsamts und laut Frankfurter Rundschau ein »sozialisierter Kölner«.
Was es nicht alles gibt.
Ts, ts:
Titanic
Erschienen in Titanic Magazin 03/2011
Nicolai Hagedorn - 31. Jan, 22:42
Bei Beckmann hast Du auf die Frage, ob Dich Deine an Alzheimer erkrankte Mutter, der Du auch ein Lied gewidmet hast, denn noch erkenne, geantwortet: »Ja, sie erkennt mich und lacht. Das Lied beschreibt eben dieses Stadium des beginnenden Sich-Entfernens.« Mensch, Gröni! Könnte es sein, daß Deine Mutter in Wahrheit kerngesund ist? Dich sehen, lachen und sich dann zu entfernen beginnen – da drängt sich doch der Verdacht auf, daß sich die Frau Mama an Deine »Musik« nur allzugut erinnert!
Macht es jedenfalls genauso:
Titanic
Erschienen in Titanic Magazin 06/2011
Nicolai Hagedorn - 31. Jan, 22:40
berichtest Du von einer polizeilichen Infoveranstaltung für Firmlinge zum Thema Drogenmißbrauch und konstatierst: »Mit Rauschgift ruiniert man sein komplettes Leben. Der Einstieg ist meist sehr harmlos: Oft wird man vom besten Freund dazu verleitet, eine Haschzigarette zu rauchen, weil dieser seinen eigenen Konsum finanzieren muß. Und ehe man sich versieht, ist man selbst süchtig.«
Wir ahnen, Gemeinde Palling, daß das bei Dir ein gewaltiges Problem ist mit den ganzen Junkies auf dem Kirchenvorplatz. Was wir jedoch gerne einmal wüßten, da wir das mit der Haschzigarettenverführung durch den besten Freund aus eigener Erfahrung kennen: Wie zur Hölle schafft es der Freund, seinen eigenen Konsum zu finanzieren, wenn er uns immer so freigiebig an seinen Joints ziehen läßt?
Das hat nämlich noch nie verstanden:
Titanic
Erschienen in Titanic Magazin 07/2011
Nicolai Hagedorn - 31. Jan, 22:37
bist eine Art Fußballprofi und hast Deinen anstehenden Vereinswechsel auf »op-online« wie folgt kommentiert: »Fürth hätte gerne mit mir verlängert. Es stand jedoch die ganze Zeit nicht fest, ob ich zum Profi- oder Amateurkader gehören soll. Ich hatte hier schöne Jahre und habe eine gute Ausbildung genossen. Es war nun aber an der Zeit, die große weite Welt kennenzulernen.«
Und das ist auch alles sehr hübsch und wäre selbstverständlich keiner Erwähnung wert, wenn Du die große weite Welt nicht ausgerechnet bei welchem Verein kennenlernen wolltest? Genau: bei den »Profis« von Kickers Offenbach! Hoffentlich wird Dir da nicht schwindelig.
Wünschen Dir Deine Landeier von
Titanic
Erschienen in Titanic Magazin 07/2011
Nicolai Hagedorn - 31. Jan, 22:35
hätten wir die Geschichte mit dem elfjährigen Jungen, der aus dem Kettenkarussell fiel und direkt in Deinem Wohnwagen landete, nicht unbedingt im Fernsehen ausgeschlachtet. Jedenfalls nicht so, wie Du das Ganze in der »Aktuellen Stunde« des WDR zum besten gabst: »Ich saß jetzt hier, denk an nichts Böses, peng, klatsch, Wagen gewackelt, großer Knall, lag auf einmal das kleine Kind hier bei mir im Wagen drinne.« Wäre da nicht zumindest eine kleine Wahrsagerinnenlüge drin gewesen? So etwas wie: »Ich sach grad noch, irgendwie hab ich das Gefühl, hier wird gleich etwas – peng, klatsch und schon…«
Wünscht trotzdem weiter gutes Gelingen:
Titanic
Erschienen in Titanic Magazin 09/2011
Nicolai Hagedorn - 31. Jan, 22:32
Eine ungenannte Quelle berichtete der britischen Tageszeitung The Sun, Sie vermuteten, Ihre Tochter sei an den Folgen einer dreiwöchigen Alkoholabstinenz gestorben.
Wissen Sie, Zufälle gibt’s! Denn genau auf diesen kreuzgefährlichen Zusammenhang trinkt seit Jahren täglich:
Titanic
Erschienen in Titanic Magazin 09/2011
Nicolai Hagedorn - 31. Jan, 22:31
Bisher meinten wir ja, Jugendliche seien Leute ungefähr zwischen 13 und 21 Jahren. In der Zeit jedoch, in der Sie die aktuellen Jugendproteste analysierten, belehrten Sie uns eines besseren: »Ein Jugendlicher ist man unabhängig vom Alter, wenn man keine Arbeit, keine Familie und keine Bleibe hat. Da kann man sich nur noch an spektakulären Aktionen hochziehen, die einem für einen Augenblick ein Gefühl sozialer Größe versprechen.«
Ach ja? Und Professor für Makrosoziologie ist man unabhängig von irgendeiner Fähigkeit? Wenn man nichts Richtiges studiert, keine Freunde und Zuhörer hat? So daß man sich dann nur noch an sinnlosen Veröffentlichungen in der Wochenpresse hochziehen kann, die einem für einen Augenblick ein Gefühl wissenschaftlicher Größe versprechen?
Dachten wir uns schon:
Titanic
Erschienen in Titanic Magazin 10/2011
Nicolai Hagedorn - 31. Jan, 22:27
lasen wir folgendes: »Wieder einmal geht die Post ab, und wieder mal ist Konkret nicht auf dem Trittbrett. Die Occupy-Bewegung und ihre Sprecher, besonders der deutschen Variante, nicht als die erbärmliche Parodie der Achtundsechziger zu erkennen, bleibt anderen Revolutionären vorbehalten«, nämlich der Kanzlerin und ihrem Regierungssprecher, die ihr Verständnis für die Proteste geäußert hatten. Klaus Ernst von der Linkspartei, der gesagt hatte, dies sei ein Aufstand der Anständigen, hieltst Du schließlich entgegen: »Und wer möchte zu denen schon gehören?«
Da nun das Frankfurter Occupy-Camp praktisch direkt bei uns um die Ecke ist, schauten wir uns das spätabends mal an. Was wir aber sahen, war eine alkoholisierte Horde, bestehend aus Punks, Obdachlosen und Studienabbrechern, die sich um einen Herrn versammelte, der sich offenbar Stunden vorher als Banker vorgestellt hatte und jetzt sturzbetrunken und vergeblich an den mit antikapitalistischen Parolen vollgeklebten Stellwänden Halt suchte – zum Amüsement des johlenden und knipsenden Mobs. Und ehrlich gesagt, Konkret, entsprach das dann schon ziemlich genau unserer Vorstellung von einer anständigen Revolution.
Dem famosen Quatsch, den diese »Anständigen« sonst noch so verzapften, lauschte jedenfalls noch einige Biere lang entzückt:
Titanic
Erschienen in Titanic Magazin 11/2011
Nicolai Hagedorn - 31. Jan, 22:24
der Du in Unkenntnis unserer Anwesenheit Deinen Balkon betratst, Dich auf einen Deiner Gartenstühle setztest, Dir eine Zigarette anzündetest und zu Dir selbst die Worte sprachst: »Ich könnte grad schon wieder wichsen« – Dir nur soviel: Es ist immer mitfühlend an Deiner Seite
Titanic
Erschienen in Titanic Magazin 11/2011
Nicolai Hagedorn - 31. Jan, 22:21
steckt ja doch mehr, als wir annahmen! Jedenfalls kündigte Dich die »nette« Kollegin Judith Rakers von der Tagesschau neulich so an: »Wir melden uns wieder mit den Tagesthemen um 23.25 Uhr mit Caren Miosga. Darin: minderwertige Brustimplantate.«
Gut, das Zitat ging dann noch weiter, aber da hat schon wieder nicht mehr zugehört:
Titanic
Erschienen in Titanic Magazin 02/2012
Nicolai Hagedorn - 31. Jan, 22:18
haben in der 3sat-Sendung »Bauerfeind« gesagt: »Ich kann meine Stimme nicht wirklich gut hören. Wenn ich nach Hause komme von meiner Sendung, weil wir sie aufgezeichnet haben, und mein Mann guckt ARD, schalte ich sofort um.« Sofern aber solche Selbsterkenntnis nicht öde Koketterie ist und Sie und wir und alle, die wir sonst noch kennen, uns in dieser Sache einig sind: Warum hat das dann keine Konsequenz?
Resigniert:
Titanic
Erschienen in Titanic 03/2012
Nicolai Hagedorn - 31. Jan, 22:17
Da gab es bei uns doch neulich eine kleine Kontroverse darüber, ob die Combo, in der Du mitspielst, eher auf den Mond oder eher auf den Mars geschossen gehört. Im FR-Interview hast Du nun mitgeteilt: »Auch das Leben ist nicht nur schwarz oder weiß. Das merkt man besonders in einer Diskussion, in der es mindestens zwei Meinungen gibt, die Wahrheit jedoch immer irgendwo dazwischen liegt.«
Und weißt Du was? Selbst wenn wir berücksichtigen, daß die Mond-Mars-Entfernung stark schwankt, und wir nur die kürzeste für unsere Berechnung heranziehen, können wir mit einem Deinem Vorschlag folgenden Kompromiß, also einem Erde-Silbermond-Abstand von ca. 28 Millionen Kilometern, gut leben!
10-9-8-7-6-5-4-3-2-1-Zero:
Titanic
Erschienen in Titanic Magazin 05/2012
Nicolai Hagedorn - 31. Jan, 22:14
»Willkommen in der faszinierenden Welt von Transport, Spedition und Logistik – willkommen in der Zufall Logistics Group«, begrüßt Du uns auf Deiner Homepage, und vielleicht gibt es wirklich nichts Faszinierenderes, als sich in logistischen Dingen auf Zufalls Wirken zu verlassen.
Weiter so!
Titanic
Erschienen in Titanic Magazin 07/2012
Nicolai Hagedorn - 31. Jan, 22:12
Da haben Sie in Ihrem »Spiegel online«-Kommentar dem Kapitalismus aber mal ordentlich die Leviten gelesen: »Eine Wirtschaft, deren primäres Ziel es ist, eine möglichst hohe Kapitalverzinsung zu erwirtschaften, läuft in die Irre«, heißt es da. Das Modell habe sich totgelaufen: »Profit und Rendite zu erwirtschaften kann nur eine Nebenbedingung einer nachhaltigen Wirtschaft sein, kein Selbstzweck.«
Da nun aber genau dieser Selbstzweck der einzige Antrieb kapitalistischen Wirtschaftens ist, Sie, Müller also erklären, daß der Kapitalismus an sich nicht gut ist, folgern Sie messerscharf was? Logisch, steht ja in der Überschrift: »Es ist Zeit für einen neuen Kapitalismus«.
Jedes System hat halt die Logiker, die es verdient.
Marxistische Grüße von
Titanic
Erschienen in Titanic Magazin 06/2012
Nicolai Hagedorn - 31. Jan, 22:09
werbt für Eure Ausbildungsgänge mit der Parole »Sinn gesucht – Beruf gefunden«. So kann man das Dilemma unserer Zeit natürlich auch auf den Punkt bringen.
Sucht ebenfalls noch:
Titanic
Erschienen in Titanic Magazin 08/2012
Nicolai Hagedorn - 31. Jan, 22:07
Da waren wir uns doch schon sehr sicher, daß im deutschen Fernsehen einfach niemand mehr jemals auch nur einen einzigen vernünftigen Satz sprechen würde, und dann sahen wir Sie, auch nicht gerade als Hoffnungsträger bekannt, wie Sie in der allerletzten ARD-Harald-Schmidt-Show als allerletztes Schlußwort wie zufällig folgendes zum Thema Ausbeutung der arbeitenden Massen sagten: »Das kann nur auf einem gewaltsamen Wege revidiert werden, das heißt durch eine Revolution und nicht durch parlamentarische freundliche Beschlüsse, die immer liebenswürdig sind und niemals etwas bringen.«
Dafür einfach mal einen dicken Schmatz!
Titanic
Erschienen in Titanic Magazin 07/2011
Nicolai Hagedorn - 31. Jan, 22:03
Wenn Ihr, wie kürzlich beim »Ruhrpott-Rodeo«, mal wieder Schwarz-Rot-Gold abfackeln wollt: Stoff- statt Plastikfahne und Brandbeschleuniger benutzen! Sonst gibt’s nur Geschmore und üblen Gestank, und davon habt Ihr ja eigentlich auch so schon genug.
Ansonsten mit Euch aber ganz zufrieden:
Titanic
Erschienen Titanic Magazin 07/2010
Nicolai Hagedorn - 31. Jan, 22:01
Vor dem Toilettenwagen: Wartende in der Schlange. Im Toilettenwagen: WC-Kabinen links, Pissoirs rechts. Die WC-Kabinen sind besetzt. Die Pissoirs dagegen sind frei, was aber von außen nicht zu sehen ist. Daher auch die lange Schlange. Ein Neuankömmling fragt clever in die Runde: »Zum Scheißen oder zum Pinkeln?«
Antwort eines Wartenden: »Zum Kotzen.«
Erschienen in Titanic Magazin 11/2010
Nicolai Hagedorn - 31. Jan, 21:54
Ist jemandem schon einmal aufgefallen, daß man beim Betrachten eines Fotos von Franz Josef Wagner (Bild) sofort weiß, wie er riecht? Wie macht er das? Oder liegt es an mir, daß ich mittlerweile sogar glaube, unterschiedliche Schweiß-Alkohol-Zigaretten-Aftershave-Weichspüler-Verhältnisse erriechen zu können, und darum einigermaßen sicher sagen kann, zu welcher Tageszeit ein Foto von Franz Josef Wagner entstanden sein muß? Werde mal versuchen, diese Fähigkeit zu Geld zu machen.
Erschienen in Titanic Magazin 08/2010
Nicolai Hagedorn - 31. Jan, 21:51
In einer Ratgebersendung im Radio hörte ich, häufiges Auftreten von Erkältungskrankheiten sei ein sicheres Zeichen für ein starkes Immunsystem. Dieses wehre sich nämlich sofort massiv gegen jeden noch so unbedeutenden Eindringling, und die typischen Symptome wie Rotze, Husten, Kopf- und Gliederschmerzen rührten allein von dessen Eifer her. Ich dagegen war schon so lange nicht mehr krank, daß ich mich an Taschentuch-, geschweige denn Medikamenteneinsatz kaum mehr erinnern kann. Bei dem Gedanken an mein offensichtlich völlig tatenloses Immunsystem wird mir aber gerade etwas flau im Magen. Immerhin!
Erschienen in Titanic Magazin 04/2011
Nicolai Hagedorn - 31. Jan, 21:49
Zwei reichlich heruntergekommene Punks laufen spätabends in Frankfurt über eine Brücke.
Punk eins zerdeppert seine leere Bierflasche.
Punk zwei: »Sollten wir die Flaschen nicht lieber einfach stehenlassen? Dann freuen sich die Penner!«
Punk eins: »Quatsch, die freuen sich noch viel mehr, wenn sie die kaputten Flaschen wieder zusammenkleben können. Da haben die wenigstens mal etwas zu tun.«
Erschienen in Titanic Magazin 07/2011
Nicolai Hagedorn - 31. Jan, 21:42
Zwei Neuzugänge für meine Sammlung von Verschwörungstheorien, sie wurden mir im Brustton der Konspiration und sehr besorgt von zwei unterschiedlichen Personen eingeflüstert.
1. Die Kachelmann-Verschwörung: Kachelmann wurde mit den Vergewaltigungsvorwürfen »kaltgestellt«, weil er kurz davor war, durch sein landesweites Netzwerk von Wetterstationen mit Satellitenverbindung die BRD zu kontrollieren.
2. Die Dirk-Bach-Verschwörung: »Den haben sie weggemacht!« Er habe im Zusammenhang mit den NSU-Morden »zuviel gewußt«.
Bedenklich!
Erschienen in Titanic 11/2012
Nicolai Hagedorn - 31. Jan, 21:39
Wer dem Backgroundgröler einer amerikanischen Rockband nach dem Konzert die beiden gewünschten deutschen Sätze beibringt, erlebt mit etwas Glück, wie der junge Herr alle etwa hundert Konzertbesucher persönlich verabschiedet: »Danke fürs Kommen. Hast du Gras?«
Erschienen in Titanic 09/2011
Nicolai Hagedorn - 31. Jan, 21:37
Wenn man sich vom Navi zwecks Besuch einer Beerdigung zum Friedhof leiten läßt und dieses einem, dort angekommen, emotionslos mitteilt: »Sie haben Ihren Bestimmungort erreicht«, dann hört der Spaß echt auf!
Erschienen in Titanic 04/2012
Nicolai Hagedorn - 31. Jan, 21:34
Als ich feixend in der Konkret die irre Metapher »glattgefeilte Allgemeinsoße« las – Urheberin: Marietta Slomka, Trägerin des »Medienpreises für Sprachkultur« –, mahnte meine neben mir im Zug mitlesende Freundin: »Feixe nicht zu früh!« Denn ihre italienische Pestosoße beispielsweise könne durchaus gefeilt werden. Sie habe sie vorhin aus meinem Eisfach geholt. Frauen!
Erschienen in Titanic 09/2012
Nicolai Hagedorn - 31. Jan, 21:27
Aktuelles zur Dauerkrise des Kapitals
“Wenn Investoren in einen dünnen Markt verkaufen und niemand kaufen will, bekommen wir eben die Art von Blutbad wie am Freitag gesehen”, kommentierte laut ftd online der Chefsvolkswirt der Unicredit den erneuten Zinsanstieg für 10jährige spanische Staatsanleihen vom Freitag vergangener Woche und stellte fest: „Die Märkte sind disfunktional“
Wo Blutbäder sind, da wird geblutet:
In Indien, wo es das Kapital in die nächste Runde schaffen will, und wo die Mitarbeiter des Automobilherstellers Maruti Suzuki etwa 100 Euro im Monat verdienen, durften zwei Tage zuvor die Manager einmal mitbluten; die Chefetage wurde gestürmt, die Chefs verprügelt, der Personalchef starb bei einem von den Mitarbeitern gelegten Brand in dessen Büro.
Es wird ungemütlich, denn „ die Krisen vermehren sich derzeit wie die Karnickel. Nur von der Krise des Kapitals oder, wie die ganz Schlauen sagen, des Kapitalverthältnisses will niemand reden“, beschwert sich die jungle-world und übersieht, dass es zwischen Kapital und Kapitalverhältnis immer noch einen Unterschied gibt. Die ganz Schlauen wissen nämlich, dass die weltweite Krise zwar eine des Kapitals ist, das Kapitalverhältnis aber auch dann die nächste Runde erreichen kann und wohl auch wird, wenn der Kapitalismus an „seine innere Schranke stoßen“ sollte, wie es der dieser Tage verstorbene Robert Kurz formulierte.
Diese innere Schranke scheint nah, wenn in einer der letzten weltweiten Boomregionen, in China, der durchschnittliche Jahresverdienst der Lohnabhängigen bei 7800 Euro liegt und in Indien Leute für 1200 Euro im Jahr Autos zusammenbauen und das wohl letzte große kapitalistische „Wachstumswunder“ nur noch dadurch erkauft werden kann, dass Menschen jenseits der Überlebensfähigkeit zur Arbeit gezwungen werden müssen.
Und wenn´s dann ganz schlimm wird, gehen die Geschundenen schon mal auf die Chefs los.
Allerdings wusste schon George Orwell, dass von den Proletariern nichts zu befürchten (ist).
Sich selbst überlassen, werden sie von Generation zu Generation und von Jahrhundert zu Jahrhundert weiterhin arbeiten, Kinder zeugen und sterben, und das nicht nur ohne jeden Drang zur Rebellion, sondern ohne sich auch nur vorstellen zu können, daß die Welt ganz anders sein könnte, als sie ist.
Was bei Orwell noch Proletarier hieß, nennen wir heute Lohnabhängiger – wer abhängig von wem ist, kann immer nur im Gegensatz von Kapital und Arbeit deutlich werden, was denn sonst? – und wo der Autor von 1984 zwar einen pervertierten „Sozialismus“ imaginiert, hat er doch hellsichtig beschrieben, wie diejenigen, die für den unermesslichen Reichtum, den der hyperproduktive Kapitalismus heute generiert, täglich stundenlang arbeiten müssen ohne jemals selber reich werden zu können, von der Debatte um ihr eigenes Leben abgetrennt werden.
Der aus seinem kargen, unbefriedigenden Leben resultierende Mißmut wird gezielt nach außen gelenkt und die Überlegungen, die eventuell zu einer skeptischen oder rebellischen Haltung führen könnten, werden durch früh erworbene innere Disziplin von vornherein unterbunden.
Und weil es eben ein karges, unbefriedigendes Leben ist, das selbst der noch materiell gut gestellte Versicherungsangestellte, Bankbeamte, Bauarbeiter, Gymnasiallehrer, Zeitungsjournalist (zumindest Stand 24.7.2012) führt, wird dessen Missmut „nach außen“ gelenkt und er fühlt sich auf Fußballplätzen und –stadien, in Diskos, Kinos, vor dem Fernseher, bei Rockkonzerten und Urlaubsreisen gut unterhalten. Alle 4 Jahre darf er eine Einheitspartei wählen, die der Form halber, zumindest in Deutschland, sich in 4 bis 5 unterschiedliche Parteinamen splittert. So fühlt er sich gefragt und glaubt, etwas mitentscheiden zu dürfen: SPD oder CDU, Mallorca oder Malediven.
Alle glauben ja wirklich, die tägliche Plackerei in tausenden langweiligen Jobs sei notwendig, weil ja irgendjemand „den Wohlstand“ produzieren müsse.
Auf den Umstand verwiesen, dass heute auch minimale Arbeitszeiten ausreichen würden, um „den Wohlstand“ zu sichern, dass es eben wirklich nur noch eine Frage der Organisation wäre, oder auf die Frage, was genau ein Versicherungskonzern eigentlich „zum Wohlstand“ beiträgt, reagiert der Lohnabhängige verschnupft und/oder desinteressiert. Bei Orwell heißt das „Delstop“ und beschreibt zutreffend die geistige Verfasstheit des heutigen Massenmenschen.
Delstop bezeichnet die Fähigkeit, geradezu instinktiv auf der Schwelle jedes riskanten Gedankens haltzumachen. Es schließt die Gabe mit ein, Analogien nicht zu begreifen, logische Fehler zu übersehen, die simpelsten Argumente mißzuverstehen, (…), und von jedem Gedankengang, der in ketzerische Richtung führen könnte, gelangweilt und abgestoßen zu sein.
Der Trick dabei ist, dass die meisten Menschen ja nicht an sich zu dumm sind, um die Vorgänge um sie herum begreifen zu können, der Gesamtzusammenhang der menschlichen Gesellschaft erscheint ihnen vielmehr als „viel zu kompliziert“, ohne dass sie benennen könnten, was genau daran denn kompliziert wäre. Das Denken wird nicht durch Dummheit oder Verblödung, sondern durch unbemerkt antrainierte Disziplin unterbunden, die Lüge ist schlicht zur Wahrheit geworden.
Wenn es jetzt, wie in Spanien, Griechenland, Indien oder unter etwas anderen Vorzeichen auch in Syrien zu gewaltsamen Aufständen kommt, dann ist das nicht Folge eines tieferen Verständnisses – die Lüge von der Alternativlosigkeit kapitalistischer Vergesellschaftung und Produktionsweise wird auch in den meisten Protestbewegungen affirmiert – sondern der Schrei nach Einlösung des uneinlösbaren und von vornherein gelogenen Versprechens. Die Protestler wollen keine andere Welt, sondern Arbeitsplätze. Der begriffliche Selbstbetrug führt mittlerweile dazu, dass unter Kapitalismus nicht mehr die Ausbeutung durch ökonomische Abhängigkeitsverhältnisse gesehen wird, sondern in einer mythischen Herrschaft von Finanzmärkten oder dem Wachstumszwang, der angeblich von Zins- und Zinseszinseffekten hervorgerufen wird und in fataler Weise firmiert solcherart Mystifizierung des Offensichtlichen neuerdings auch in den Protestbewegungen unter dem Label „Kapitalismuskritik“. Da wundert es dann nicht mehr, dass laut den Apologeten dieser Art von „Kritik“ die schlimmen Verhältnisse nicht zu bekämpfen und zu überwinden sind, sondern „geheilt“ werden können: „Durch behutsame Lösung von Blockierungen löst sich von selbst eine Fülle von Problemen, die erst aus der Blockierung entstanden sind. Das ist vielleicht der tiefere Sinn des Wortes “Lösung”. Wir brauchen dieses Wort nur wörtlich zu nehmen – es beinhaltet den Schlüssel zu Heilungen vielfältiger Art.“ (Bernd Senf, Begründer der so genannten „Monetative“)
Es ist notwendig solchen Irreführungen entgegenzutreten und Protest und Widerstand wo immer möglich aufrechtzuerhalten, denn die Krise des Kapitals ist durchaus geeignet, auch das Kapitalverhältnis selbst in die Krise zu führen.
Die Nervosität der Kapitalseite, des ideellen Gesamtkapitalisten oder einfacher: der Regierungen, rührt in der aktuellen Situation nicht so sehr daher, dass es eine weitere vorübergehende Krise zu bewältigen gilt. Das Problem ist vielmehr, dass es von Seiten der Herrschenden keine neue Perspektive mehr gibt, die Metamorphose der Lüge funktioniert nicht mehr und das ist den Mächtigen zumindest instinktiv bewusst.
Das äußert sich in völlig kopflosem Krisenmanagment der Staaten bei gleichzeitig kopflosen Massenprotesten. Das muss aber nicht so bleiben. Die Frage ist, wie, wenn nicht brutal und repressiv, der scheiternde Kapitalismus verteidigt und in die nächste Runde gerettet werden soll.
Während Euro-, Banken- und Staatenrettungen zum Dauerszustand werden, verkürzt sich die Halbwertzeit dieser Rettungen auf Tage. Man kommt mit dem Retten kaum mehr hinterher.
Während im Bundestag die so genannten „Spanien-Rettung“ via 100 Milliarden Euro-Hilfe verabschiedet wurde, stiegen nicht nur die Zinsen für spanische Staatsanleihen auf ein Niveau, auf dem laut ftd.de „sich Spanien nicht auf Dauer am Markt finanzieren (kann), ohne dass die Staatsschulden wegen der steigenden Zinslast nicht mehr tragbar wären“. Der IWF wundert sich darüber, „dass ein Anstieg des Risikoaufschlags Spaniens um vier Prozentpunkte allein im ersten Halbjahr schon lange nicht mehr mit den Fundamentaldaten des Landes zu erklären sei“.
Verwunderung und Perspektivlosigkeit also allerorten, doch die Regierungen wissen, was auf sie zukommt, wenn der zwanglose Zwang zunehmend als die Lüge erscheint, der er ist, weil er eben nur so lange Menschen in Arbeit und somit kapitalistische Vergesellschaftung zwingen kann, solange er Arbeit bereitstellt bzw. generiert bzw. einsaugt.
Man rüstet sich also: „Sicherheitstechniker haben eine Schallkanone entwickelt, die einen weltrekordverdächtigen Lärm erzeugt. Auf Lastwagen montiert, soll das sogenannte Herbertzhorn in Zukunft Wasserwerfer ersetzen“, meldet entzückt ein Käseblatt aus Nordhessen und feixt: „Dem gebündelten Schall kann sich niemand auf weniger als etwa 100 Meter nähern, ohne dass ihm körperlich unwohl wird. Selbst bei Gehörschutzträgern löst die Lärm-Attacke so starke Schwingungen im Körper aus, dass Schwindel und Übelkeit die Folgen sind. Jeder, der beschallt wird, verlässt fluchtartig dessen Wirkungsbereich.“
Es kommt für Protestbewegungen also vor allem darauf an, sich nicht von Scheinlösungen und esoterisch strukturierter Kritik blenden zu lassen, sondern kühlen Kopf zu behalten, wo die Mächtigen den Ihren gerade verlieren und ihnen nichts mehr einfällt als ohrenbetäubender Lärm. Gleichzeitig ist es für soziale Kämpfe nicht in erster Linie entscheidend, warum, sondern dass sie geführt werden, allzu zimperlich sollte man dabei nicht sein.
Erschienen auf occupy-public-space.com am 25.7.2012
Nicolai Hagedorn - 31. Jan, 00:53