Donnerstag, 12. September 2013

Besetztes Sozialrathaus in Frankfurt geräumt

Nur einen Tag dauerte die Besetzung eines Gebäudes durch die Initiative »communal west« in Frankfurt am Main. Trotz Solidaritätsbekundungen mehrerer Politiker räumte die Polizei das ehemalige Sozialrathaus.

Für Aktivisten in der Bankenmetropole Frankfurt sind übertriebene Polizeieinsätze nichts neues. In den letzten Monaten und Jahren haben sie sich an Pfefferspray- und Knüppeleinsätze gewöhnt. Auch kalkulieren Hausbesetzer ein, dass sie unsanft entfernt werden. Als aber am Samstagabend das einen Tag zuvor von der Initiative „communal west“ besetzte frühere Sozialrathaus im ehemaligen Frankfurter Arbeiterviertel „Gallus“ von sechs bis zehn Männern angegriffen wurde, die zum Teil Kleidung der unter Rechtsradikalen beliebten Marke Thor Steinar trugen, lag für die Hausbesetzer die Vermutung nahe, es handele sich um einen Angriff von Neonazis. Die mit Teleskopschlagstöcken ausgerüsteten Männer drängten sich laut übereinstimmenden Augenzeugenberichten rücksichtslos an den vor und in dem Haus befindlichen Aktivisten vorbei ins Haus, wobei es zu einigen Rangeleien kam.


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Sowohl in der Printausgabe als auch in der ND-Online-Version ist von einer "rot-grünen" Stadtregierung in Frankfurt die Rede. Das ist falsch und geht auf einen Fehler meinerseits zurück. Richtig ist: In Frankfurt regiert eine rot-schwarz-grüne Stadtregierung. Frankfurt hat einen SPD-Oberbürgermeister bei einer schwarz-grünen Mehrheit im Stadtparlament.



Erschienen in Neues Deutschland vom 10.9.2013

Donnerstag, 5. September 2013

Völkische Geschichtsstunde

Seit Jahren wirbt die Rußlanddeutsche Landsmannschaft auch an Schulen fürs Deutschtum.

Jakob Fischer ist ein großer, breiter Mann mit leichtem russischen Akzent. Er hat viel zu erzählen über Migration, Integration und vor allem über Rußlanddeutsche und das Deutschsein überhaupt. Im Frühjahr 2013 hält er einen Vortrag in einer Bildungseinrichtung im Hessischen, und schnell ist er bei der Sache. Ausgerüstet mit Beamer und zwei riesigen Europa-Karten erklärt Fischer den knapp 80 jugendlichen Zuhörern die historischen Wanderungsbewegungen deutscher Volksgruppen jenseits der deutschen Staatsgrenzen und wie es um deren Integration in Deutschland heute steht. Fischer ist, wie er wissen läßt, selbst sogenannter Wolgadeutscher und Vertreter der »Landsmannschaft der Deutschen in Rußland e.V.« (LMDR). Außerdem hat er Teile der Wanderausstellung »Ein Volk auf dem Weg« mitgebracht, die hier aber unter dem Titel »Geschichte und Integration der Deutschen aus Rußland« firmiert.

Die Wanderausstellung folgt inhaltlich den Darstellungen der Vereinszeitung der LMDR, die ebenfalls »Volk auf dem Weg« heißt und 1996 zum Stein des öffentlichen Anstoßes wurde, nachdem in einem Artikel der Zeitschrift »Forum Wissenschaft« darauf hingewiesen worden war, daß »die Darstellung der Geschichte der Rußlanddeutschen in dieser Broschüre« auf überarbeiteten Manuskripten von Dr. Karl Stumpp basierte. Stumpp war, berichtete »Forum Wissenschaft«, in der NS-Zeit Experte für Volksbiologie und »als Leiter des ›Kommandos Dr. Stumpp‹ in den ›Sippenämtern‹ Shitomir und Dnjepropetrowsk an der Selektion beteiligt«.

Der gesamte Text ist erschienen in konkret 9/2013 und online abrufbar.

Mittwoch, 24. Juli 2013

Bester Günther Jauch!

Als in Deiner Prominentenausgabe von »Wer wird Millionär« eine Frage zum Klopapiergebrauch im Raum stand, freutest Du Dich sichtlich über die bemerkenswerte Tatsache, daß es in Deutschland »etwa 90 Prozent Falter, 6 Prozent Knüller und ganz wenige Wickler« gebe. Aber Jauch! Daß es bei dieser Verrichtung verschiedene Techniken geben muß, hätte Dir mit Blick auf Deine Gäste und nicht zuletzt Dich persönlich auch selbst auffallen können: Schließlich gibt es auch unterschiedlich große Arschlöcher.

Herzlichst: Deine Knüller von
Titanic

Erschienen in Titanic Magazin 07/2013

Mittwoch, 10. Juli 2013

Kinder im Feldlager

Protest gegen Bundeswehr auf dem Hessentag

Ein Mini-Feldlager der Bundeswehr auf dem Kasseler Bundesgartenschaugelände: Zwischen ausgestellten Panzern und Kampfhubschraubern hat sich bei strahlendem Sonnenschein eine Gruppe Kleinkinder um e...

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Erschienen in Neues Deutschland vom 26.6.2013

Montag, 24. Juni 2013

Solidaritätsvideo macht die Runde

Deutsche Occupy-Aktivisten sorgen mit einem Youtube-Video für Aufsehen in Spanien. Dabei wird deutlich, dass nicht nur Grußbotschaften ausgetauscht werden.

Erst hatte im Februar die spanische Aktivistengruppe Asamblea tres Cantos eine Botschaft an die deutsche Bevölkerung gerichtet, und zwar in Form eines Youtube-Videos. Darin erklären die Spanier, sie seien die Opfer und nicht die Verursacher der derzeitigen Krise in Europa. Das Video hat inzwischen über 140.000 Aufrufe auf Youtube zu verzeichnen. Frankfurter Occupy-Aktivisten antworteten Anfang Mai. Darin erklären sie sich solidarisch mit der spanischen Bevölkerung und entschuldigen sich für die Beteiligung deutscher Politik in das europäische Austeritätsregime.

Während aber das spanische Ursprungsvideo in erster Linie die Bürger beziehungsweise „die spanische Mittelschicht“ in Gegensatz setzt zu „korrupten Institutionen“ und die Ursache der Krise in „Finanzspekulation“ erblickt, geht die Kritik aus Frankfurt tiefer. In ihrem Video thematisieren die Occupisten neben dem neoliberalen Spardiktat auch rassistische Hetze gegen die Verlierer der Krisensituation und geben sich klassenkämpferisch: „Wir lassen uns nicht gegeneinander ausspielen, denn es ist kein Kampf zwischen verschiedenen Volksgruppen, sondern ein Kampf zwischen unten und oben.“

Auch das Frankfurter Video fand sein Publikum. Innerhalb gut einer Woche kam es auf über 90.000 Zugriffe und während in Deutschland die ZDF-Sendung „Aspekte“ sowie die Tageszeitungen taz und neues deutschland berichteten, erfreute sich der Clip in Spanien noch größerer Aufmerksamkeit. Mehrere Radio- und TV-Stationen berichteten, unter anderem auch „La Sexta“, das mit dem deutschen Pro7 vergleichbar ist.

Die Aktivisten aus beiden Ländern planen nun, ein drittes Video gemeinsam zu produzieren.

Erschienen in Graswurzelrevolution (GWR) 380

Polizei vs. Blockupy

Der antikapitalistische Protestzug am 1. Juni 2013 in Frankfurt wurde zu einem eindrucksvollen Aufzug deutscher Staatsmacht. Aber auch zu einer Demonstration linker Solidarität

Dieser Artikel sollte sich nach den Vorgängen am ersten Tag der Blockupy-Protesttage am letzten Maiwochenende vor allem kritisch mit den Inhalten der beteiligten linken Gruppen und ihrem Auftreten beschäftigen: Mit den unsäglichen Hammer-und-Sichel-Fahnen unbelehrbarer Alt- und RestkommunistInnen, mit peinlichen Auftritten von Attac-Schlagerparodisten, mit der unerträglichen Johlveranstaltung der Linkspartei im DGB-Haus, auf der Sahra Wagenknecht wahlkampfgerecht in Szene gesetzt und noch für den krudesten Neokeynesianismus frenetisch bejubelt wurde. Nach dem 1. Juni 2013 steht aber etwas anderes auf der Tagesordnung: Ein brutaler polizeilicher Angriff auf die Linke insgesamt.

Diese zeigte sich solidarisch - über alle Lagergrenzen hinweg. Beide Vorgänge überstrahlen die inhaltliche Kontroverse, auch weil sie ziemlich einmalig sind.
15.000

Rund 15.000 Blockupy-AktivistInnen haben sich gegen 12:30 Uhr in Bewegung gesetzt und werden, noch bevor alle den Startpunkt am Baseler Platz nahe des Frankfurter Hauptbahnhofs verlassen haben, schon wieder gestoppt.

An der Ecke Hofstraße/Neue Mainzer Straße stürmt gegen 13 Uhr eine Hundertschaft der Polizei ohne Vorwarnung in die Straßenmündung zur Neuen Mainzer Straße und blockiert die DemonstrantInnen.

Die Demo hat bis dahin rund 900 Meter zurückgelegt. Unter Schlagstock- und Pfeffersprayeinsatz drängt sich eine weitere Hundertschaft hinter den antikapitalistischen Blöcken in die Menge, um die Demo zu spalten. Von nun an gibt es für die Eingeschlossenen neun Stunden lang keine Möglichkeit, den Polizeikessel ohne Personenkontrolle zu verlassen. Bis zum Beginn der gewaltsamen Räumung kann das Areal überhaupt nicht verlassen werden.

Die erste polizeiliche Aufforderung lautet, die Demo könne wie geplant weitergehen, wenn alle die Vermummung abnehmen würden.

Im Gegensatz zur späteren offiziellen Darstellung der Polizei kommt die überwiegende Mehrheit der im so genannten "Schwarzen Block" versammelten AktivistInnen dieser Aufforderung sogar nach. Bei der Demaskierung kommen überwiegend jugendliche Gesichter zum Vorschein.

Auch beim allerbösesten Willen kann keine Rede davon sein, dass diese Leute eine Armee von bewaffneten PolizistInnen bedrohen könnten. Auf jedem Rockkonzert geht es aggressiver zu als in diesem Kessel. Schnell wird die angebliche "Defensivbewaffnung" (Styroporplatten) in Sitzgelegenheiten umgewandelt; als behelfsmäßige Damentoilette wird ein Transparent gespannt, man unterhält sich. Die anwesenden Abgeordneten der Linkspartei versuchen in Verhandlungen mit dem Einsatzleiter eine Lösung zu finden, um die Demo ohne Personenkontrollen weitergehen lassen zu können.

Stattdessen werden Katja Kipping, Willy van Ooyen und Janine Wissler mit erhobenen Händen abgeführt, als sie sich schützend vor den antikapitalistischen Block stellen. Gegen 16:40 Uhr, also gut dreieinhalb Stunden nach der Festsetzung werden den Gefangenen zwei Dixi-Toiletten zur Verfügung gestellt. Kurz darauf beginnt die Polizei mit der Räumung.
Gewaltfreier Widerstand

Selbst die erzkonservative Frankfurter Allgemeine Zeitung (FAZ) stellte bezüglich der Einkesselung der AntikapitalistInnen fest: "Tatsächlich befinden sich Anhänger radikaler Gruppen innerhalb des Blocks. Von Gewalttätigkeiten aber war ihr bisheriges Verhalten bei der Demonstration bis zu diesem Zeitpunkt weit entfernt."

Und dabei blieb es dann auch, abgesehen von Kettenbildungen und dem Widerstand gegen den Abtransport.
Polizeigewalt

Was die Einsatzleitung geritten hat, mit einem Dutzend Wasserwerfern, zwei Hubschraubern, militärischen Räumfahrzeugen, hunderten Metern Stacheldraht und einer Polizeiarmee anzurücken, über die auch viele unbeteiligte PassantInnen nur noch staunen konnten, bleibt rätselhaft.

Die Sturheit des Verhandlungsführers der Polizei, der unbedingt von allen rund tausend Eingekesselten die Ausweise sehen wollte, sorgte auch bei den im Kessel anwesenden JournalistInnen für Kopfschütteln.

Eine Reporterin des ZDF heute journal suchte nach AktivistInnen für einen O-Ton und stellte fassungslos fest: "Die haben ja alle totale Angst!"

Das alles ging auch vielen eingesetzten PolizistInnen zu weit. Mehrere Beamte äußerten schon während des Einsatzes gegenüber DemonstrantInnen ihr Missfallen. Einer, der seine Kollegen bei Gewalttätigkeiten im Zuge der Räumung beobachtete, distanzierte sich offen davon und bat um Differenzierung: "Sie dürfen nicht alle Polizisten über einen Kamm scheren."

Ein Kollege aus NRW, der selbst im Kessel eingesetzt war, begrüßte die Solidaritätsaktionen der MitarbeiterInnen des angrenzenden Frankfurter Theaters "Schauspiel", die mit Wasserflaschen gefüllte Eimer an langen Schnüren herunterließen und flugs ein großes Transparent mit der Aufschrift "Solidarität" an der Gebäudefassade befestigten. "Das finde ich gut", gab er zu Protokoll und warb wortreich für Verständnis dafür, dass er das alles ja nicht zu verantworten habe.

Darüber hinaus wandten sich PolizistInnen sogar an die Öffentlichkeit. "Einige Beamte bezeichneten es als taktisch falsch, den gesamten Demonstrationszug angehalten zu haben und einen Teil ohne vorherige Ansage eingekesselt zu haben. Auch die Brutalität, mit der einige der Einsatzkräfte vorgegangen seien, können sie nicht nachvollziehen, weil es ihrer Ansicht nach keinen Grund dafür gegeben habe", gab die FAZ die Stimmen von Polizeibeamten wieder, die sich offenbar an sie gewandt hatten. In der FR beschwerten sich mehrere Beamte im Nachhinein ebenfalls über die Brutalität ihrer Kollegen, die zu einem großen Teil aus anderen Bundesländern hinzugezogen worden waren: "Die kamen, haben zugeschlagen und sind wieder heimgefahren." Darüber hinaus herrsche in der Frankfurter Spezialeinheit BFE, die dafür ausgebildet sei, gezielt Störer aus einer Menschenmenge zu ziehen, Frust über die Unprofessionalität des Einsatzes. "Die Kollegen aus den anderen Bundesländern hätten mit zwei Ketten einen viel zu großen Kessel gebildet. Es sei vollkommen klar gewesen, dass die allermeisten der eingekesselten Demonstranten keine Gewalttäter waren. Bei der Polizei rechnet man deshalb mit zahlreichen Strafanzeigen wegen Freiheitsberaubung", fasste die FR die Aussagen der BFE-Beamten, die sich gegenüber der Zeitung geäußert hatten, zusammen.

Der Hessische Rundfunk (HR) erklärte, der so genannte Schwarze Block sei in diesem Jahr "eher ziemlich bunt" gewesen, in der Frankfurter Rundschau war von einem Desaster die Rede, "das ein juristisches Nachspiel haben muss". Die Polizei habe "mit ihrer Entscheidung, den Demonstrationszug am Schauspiel zu stoppen, kurzerhand ein Urteil des Verwaltungsgerichtshofs unterlaufen".

Dieser hatte zuvor die Demoroute ausdrücklich genehmigt, u.a. mit dem Hinweis, die polizeiliche Gefahreneinschätzung sei haltlos.
Desaströs

Bei der polizeilichen Pressekonferenz stellten Hessens Innenminister Rhein und der Frankfurter Polizeipräsident Thiel die Geschehnisse aus ihrer Sicht dar.

Aber auch die Pressekonferenz wurde zum Desaster. Da viele der anwesenden JournalistInnen selbst Opfer der Gewalt geworden waren, machten sie ihrem Unmut Luft. "Gewaltorgie", "Schande für Frankfurt" rufen die aufgebrachten MedienvertreterInnen, ein RTL-Reporter sagt, ihm sei ein Bein gestellt worden und ein Polizist habe ihm geraten: "Verpiss dich!", ein anderer Journalist stellt fest: "So ist es noch nie zugegangen!" und ein weiterer Kollege ergänzt: "Und zwar nirgendwo!" Frank van Bebber von hr-online twittert: "So eine Polizei-PK habe ich noch nie erlebt."
Hintergründe

Wo sich Medien verschiedenster Ausrichtung derart einig sind und sogar ein Teil der PolizeibeamtInnen zustimmt, stellt sich die Frage nach den Hintergründen.

Die Verantwortung in erster Linie bei dem 56jährigen Einsatzleiter Harald Schneider, einem passionierten Amateurfußballtrainer aus dem Odenwald, zu suchen, dürfte keine heiße Spur sein. Der dreifache Familienvater ist in der Vergangenheit nie als brutaler Scharfmacher aufgefallen. Dass Schneider aus eigenem Antrieb eine weitgehend friedliche Demo zusammenprügeln lässt, ist nicht plausibel. Gleichzeitig tauchten in den Tagen danach immer neue Bilder und ZeugInnenaussagen auf, die nahe legen, dass der Zugriff an dieser Stelle schon lange vorher geplant war. Wer aber hat welches Interesse daran, einen Demonstrationszug dieser Größe unter massiver Gewaltanwendung zu stoppen, einen Teil davon einzukesseln, stundenlang festzuhalten, um die Leute dann einzeln aus dem Kessel zu führen? Und das alles, obwohl jedem klar gewesen sein musste, dass es für dieses Vorgehen keine Rechtfertigung gab, es illegal und unprofessionell war und viele JournalistInnen alles hautnah mitbekommen haben? Das wird in den kommenden Wochen zu klären sein.

Neun Stunden nach Beginn der Demo warten neben dem Kessel noch immer tausende Gewerkschafter, GenossInnen von Linkspartei und DKP, AktivistInnen von Attac, der "Interventionistischen Linken", Occupy und anderen beteiligten Gruppen, sowie viele unabhängige TeilnehmerInnen singend und tanzend auf die eingeschlossenen MitstreiterInnen, von denen viele der Antifa oder anarcho-kommunistischen Gruppen angehören, die im "ums Ganze!"-Bündnis organisiert sind. Alle warten mit der Abschlusskundgebung bis auch der Letzte den Kessel verlassen hat, viele der Freigelassenen kehren trotz der massenweise ausgesprochenen Platzverweise zur Demo zurück. Es ist längst dunkel geworden in Frankfurt und gemeinsam geht man unter "Anticapitalista"-Schlachtrufen zum Hauptbahnhof.

Mit diesem Ausmaß an Solidarität innerhalb einer offenbar als zerstritten eingeschätzten Linken hatte auf Seiten der Staatsmacht wohl niemand gerechnet.

Genauso wenig wie die Besitzer des Nobelrestaurants "Nizza" damit gerechnet hatten, dass ihre Toilettenräume, die ausgiebig von der Polizei genutzt worden waren, mit Pfefferspray kontaminiert werden würden.

Aufgebracht klagte eine Besucherin: "Die können nicht mal mit ihren eigenen Waffen richtig umgehen!"

Erschienen in Graswurzelrevolution (GWR) 380

Bei Dir, »Spiegel online«,

fanden wir einen kleinen Fehler. »Nie ein Rat von Papa, keine Hilfe von Mama: Waisen und Pflegekinder haben es im Studium schwer«, schriebst Du in einem Artikel über ein Waisennetzwerk an der Universität Hildesheim. In dem Satz müßtest Du nur »schwer« durch »leicht« ersetzen – schon könnten zustimmen:

die Muttersöhnchen von
Titanic

Erschienen in Titanic-Magazin 06/13

Hallo »Taz«!

Da hast Du also dem amerikanischen Superpsychologen Allen Frances einen »Sonntaz«-Titel unter der Schlagzeile »Wo fängt irre an?« gewidmet. Wie Du berichtest, ist Frances nämlich dagegen, Masochismus in den neuen US-Katalog der psychiatrischen Störungen aufzunehmen, weil eine solche Aufnahme denen schaden würde, »die damit fälschlich als krank abgestempelt werden«. Und weißt Du was, Taz? Wenn wir Du wären und die Leser hätten, die Dich täglich erleiden müssen, würden wir denen das auch als wichtige Erkenntnis auftischen.

Bleibt Dir gegenüber lieber sadistisch:
Titanic

Erschienen in Titanic-Magazin 06/13

Dienstag, 11. Juni 2013

Die China-Illusion

China gilt längst als ökonomische Supermacht. Der jüngste EU-Beschluss, Solarmodule aus dem Land der China - Wachstum mit Widersprüchen Mitte mit Strafzöllen zu belegen und die forcierten Bemühungen Deutschlands im Rahmen der neuen Rohstoffstrategie der Bundesregierung mit Peking in Sachen Ressourcensicherung zu wetteifern, zeigen, dass die westlichen Industrienationen den fernöstlichen Konkurrenten auf dem Weltmarkt sehr ernst nehmen – als Handelspartner wie als Gegner im Kampf um die Märkte. Doch wie funktioniert das chinesische Wachstums- und Akkumulationsmodell? Und welche immanenten Grenzen hat es?


Während Europa und die USA in Schulden versinken, hofft das Kapital weltweit auf China. Die Wirtschaft des Landes wächst immer noch mit beachtlichen Raten. Aber wie überall unter kapitalistischen Bedingungen gilt auch hier: Wo ein Goldrausch ist, ist die Katastrophe nicht weit.

Der ganze Artikel ist abrufbar auf hintergrund.de vom 5.6. 2013

Mittwoch, 22. Mai 2013

Über Euch, Fruchtfliegen,

hörten wir zuletzt nur Erfreuliches: »Es ist völlig normal, daß sich Fruchtfliegen im Labor besaufen, wenn sie sich zwischen alkoholfreien und alkoholischen Getränken entscheiden können«, berichtete etwa die Süddeutsche Zeitung. Auch Eure Kleinsten vergeßt Ihr nicht, wie wir dem österreichischen Standard entnahmen: »Fruchtfliegen geben Nachwuchs Alkohol gegen parasitäre Wespen«. Wenn nun aber die Fruchtfliegenweibchen einmal nicht soviel Paarungslust haben, werden die Fruchtfliegenmännchen dann etwa unverschämt oder aufdringlich? Nein, nie: »Dürfen sich Fruchtfliegenmännchen tagelang nicht paaren, ertränken sie ihren Kummer im Alkohol. Sie ziehen das Rauschmittel normalem Futter vor und verschaffen sich so eine Ersatzbefriedigung«, erklärte National Geographic Deutschland.

Und da wollen wir Euch, Fruchtfliegen, an dieser Stelle einmal sagen, daß wir rundum einverstanden sind mit Euch und uns fast ein bißchen verbunden fühlen. Dicker Schmatz! Und Prost!

Kann halt auch konstruktiv:

Titanic

Erschienen in Titanic Magazin 05/2013

Sonntag, 19. Mai 2013

Audition

Die Antwort »Ich wollte mir einen Kindheitstraum erfüllen« ist ganz falsch, wenn man während eines Pornocastings gefragt wird, warum man eigentlich an so etwas teilnehme.

Erschienen in Titanic Magazin 05/2013

Wir sind die Guten!

Der monumentale ZDF-Dreiteiler „Unsere Mütter, unsere Väter“ findet ein großes Publikum. Dabei bedient er mit seinem Revisionismus in erster Linie die deutsche Volksseele. Während Deutschland Europa real wieder das Fürchten lehrt, kommt die Selbstvergewisserung via TV gerade recht.

Es sind die letzten Kriegstage des Zweiten Weltkriegs, die Kapitulation steht kurz bevor, als der Held sich opfert. Unterlegt mit einem Streicher-Furor tritt Wehrmachtssoldat Friedhelm irgendwo in einem polnischen Waldgebiet der feindlichen Übermacht der roten Armee entgegen und lässt sich mit dem Gewehr im Anschlag von Kugeln durchlöchern. Es ist ein deutscher Heldentod und die Katharsis der Nation. Dramaturgisch unnötig, aber ideologisch der Knackpunkt des Films „Unsere Väter, unsere Mütter.“
Dieser bemüht sich zuvor über vier Stunden lang darum, der neuen europäischen Hegemonialmacht Deutschland vorzuführen, dass man als Deutscher heute wieder unbekümmert zur Nation stehen kann. Es darf allerdings bezweifelt werden, dass es eine gute Idee ist, einer Bevölkerung, die mittels Selbstverarmung in den letzten 15 Jahren den Rest Europas in die mähliche Verelendung konkurriert hat und längst wieder anderen den eigenen asozialen Willen aufdrängt, einzureden, das einzige, was der Wiedererlangung legitimer Großmannsansprüche noch im Weg steht, sei obsolet; nämlich der Makel der besonderen Schwere genuin deutscher geschichtlicher Schuld. Wo nämlich kein Makel ist, muss auch nichts entfernt werden und man kann frisch-fromm zur ehrgeizigen Tagesordnung zurückkehren.
Hätten indes die Macher von „Unsere Mütter, unsere Väter“ Friedhelm einfach aus dem Krieg heimkehren lassen, dann wäre diejenige der fünf befreundeten Hauptfiguren des Films als einzige umgekommen, die nicht an der Front oder im Viehtransport Richtung KZ gelandet war, sondern in Berlin als Sängerin zurückblieb. Eine solche Darstellung wäre dann aber wohl nicht einmal durch den größten Pathos-Quark der Off-Stimme noch plausibel zu machen gewesen.

Die Filmhandlung beginnt mit fünf gerade dem Teenageralter entwachsenen Freunden, davon vier Arier und ein Jude, die in Berlin gut gelaunt den Beginn des Russlandfeldzuges der Wehrmacht erleben. Im Gefühl des sicheren Sieges gehen die Brüder Wilhelm und Friedhelm samt der Lazarettschwester Charlotte an die Ostfront, während die Sängerin Greta an der Heimatfront für gute Stimmung sorgt. Der fünfte Freund heißt Viktor, ist Gretas Freund, Jude und wird deportiert, obwohl sich seine Freundin - etwas widerstrebend auch mit körperlichem Einsatz - beim zuständigen SS-Mann für ihn stark gemacht hat. Außerdem verspricht der Sturmbannführer Greta eine Karriere als Sängerin, verschweigt ihr aber, dass er Viktor nur zum Schein Ausreise-Papiere besorgt hat. Letzterer entkommt aber gemeinsam mit einer jungen Polin aus dem Viehwaggon und schließt sich einer brutalen polnischen Partisanen-Gruppe an, deren fanatischer Antisemitismus auf eine Art und Weise heraus- und ausgestellt wird, dass das liberale polnische Nachrichtenmagazin Uwazam Rze verständlicher Weise verärgert titelte: „Geschichtsfälschung. Wie die Deutschen sich zu Opfern des Zweiten Weltkriegs machen“.
Derweil erleben Wilhelm, Friedhelm und Charlotte die Gräuel des Bodenkrieges. Wilhelms Desertationsversuch scheitert und er wird in eine Strafeinheit versetzt, die auf dem Rückzug der Wehrmacht für die verbrannte Erde zuständig ist.
Sein Bruder Friedhelm, der anfangs unter Wilhelm in einer Artillerie-Einheit dient, wird auf Befehl des SS-Teufels Hiemer erst zum Kindsmörder und dann zum Lebensretter und Nazikiller, indem er Hiemer erschießt und damit Freund Viktor (dem Juden!) das Leben rettet. Schließlich rennt er, siehe oben, allein ins Feuer des Feindes.
Charlotte denunziert erst eine jüdische Ärztin, die als Kriegsgefangene im deutschen Lazarett als Krankenschwester aushilft, bereut dies aber umgehend und versinkt fortan in Tränen ob all dem Grauen um sie herum. Als sie erfährt, dass Wilhelm gefallen ist, was sich später als Ente herausstellt, beginnt sie aber noch eine Affäre mit dem um einiges älteren Lazarett-Oberarzt.
Schließlich treffen sich die drei überlebenden Freunde nach Kriegsende in Berlin wieder, während Obersturmbannführer Dorn unbehelligt seinen neuen Job in der Nachkriegs-Verwaltung antritt, gedeckt von einem US-Captain.
Nach viereinhalb Stunden „volkspädagogisches Projekt“ (G. Diez) ist klar: Die Bösen sind immer die anderen: Nazis (schlimme Ausnahmen), Antisemiten (polnische Widerstandkämpfer), Nazi-Kollaborateure (Amerikaner nach dem Krieg) und Vergewaltiger (Russen). Zwar werden hin und wieder Erschießungen gezeigt, an denen sie teilnehmen müssen, aber unsere Mütter und Väter haben sofort Gewissensbisse, und Friedhelm erschießt sogar den brutalen SS-Standartenführer Hiemer, während Wilhelm einen anderen Bösewicht, den skrupellosen Oberfeldwebel Krebs ersticht. So werden unsere Mütter und Väter kurzerhand zu menschenfreundlichen Nazi-Jägern umgedeutet. Die polnischen Widerstandskämpfer hingegen erklären: „Wir ertränken Juden wie Katzen“. Die jüdische Ärztin, die zuvor von unserer Mutter Charlotte denunziert worden war, entkommt der Vernichtungsmaschine und lässt später als Rote-Armee-Offizierin eine junge russische Hilfsschwester hinrichten, obwohl unsere Mutter Charlotte sich noch für diese einsetzt!

Die dramatisierende Verbindung von Hochglanz-Ästhetik und Nahaufnahmen (selbst direkte Kriegshandlungen werden meist höchstens in der Halbtotalen dargestellt) erhöht die Identifikation mit den Protagonisten und verwirft den Anspruch eines klaren Blickes auf Schuld und Verantwortlichkeiten, der zur Kenntnis nehmen müsste, „daß die Deutschen allein den blutigsten Krieg der bisherigen Geschichte und ein beispielloses, systematisches Massenmordprogramm zu verantworten haben“, wie Georg Später in anderem Zusammenhang festhielt. Dieses fand nicht im Namen der Regierung oder der NSDAP, sondern im Namen und - wie der Großteil der deutschen Bevölkerung glaubte - zum eigenen Nutzen statt. Deshalb mordeten unsere Mütter und Väter mit oder hielten zumindest still, selbst als sich die Ausmaße der Mordmaschine längst herumgesprochen hatten. Nicht aus Angst oder Ahnungslosigkeit, sondern weil sie für sich selbst einen materiellen Vorteil und für sich als Deutsche eine Machtposition gegenüber anderen erhofften. Dass, wie Brecht formulierte, der Schoß, aus dem das kroch, noch fruchtbar ist, zeigt die Bereitschaft der heutigen deutschen Bevölkerung, den größten Sozialabbau in der Geschichte der BRD hinzunehmen, um sich einen wirtschaftlichen Vorteil zu sichern. Statt jetzt, wo die unmenschlichen Auswirkungen für Griechen, Spanier und andere offen zu Tage treten, die eigene Vorgehensweise zu überdenken, werden rassistische Stereotype von faulen, weniger leistungsstarken Griechen und Spaniern repetiert und das ist immer der erste Schritt auf dem Weg zu Herrenrasse und Untermensch.

Alle Beteiligten an Veranstaltungen wie „Unsere Mütter, unsere Väter“, Produzenten, Schauspieler, Regisseure sowie die Protagonisten des bürgerlichen Mainstreams vom Schlage etwa des unvermeidlichen Frank Schirrmacher, der sich in einer Rezension zum Film allen Ernstes über die Schlafgesundheit von Nazis Sorgen macht; sie alle und ihr Unfähigkeit zu einem ehrlichen Umgang mit der Geschichte und der daraus erwachsenden abstrakten und konkreten eigenen Verantwortlichkeit sorgen dafür, dass auch in Generationen sich Deutsche für ihre Vorfahren noch werden schämen müssen.

Erschienen in Graswurzelrevolution 05/2013 (GWR 379)
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