Dienstag, 17. Dezember 2013

Du, Daniel Bühling,

hast dagegen ein Buch geschrieben, in dem Du von Deinen Erlebnissen im Priesterseminar berichtest. Vor einem Interview mit Dir im Deutschlandradio Kultur erklärte der Moderator einleitend, darin gehe es um »Kämpfe zwischen Liberalen und Reaktionären …, Frauenfeindlichkeit, schwule Sexorgien, neu ankommende Seminaristen, die von den Älteren als Frischfleisch oder Bückstücke bezeichnet werden, elitäres Gehabe, stark verklemmte oder gar psychisch gestörte Männer …, Karrierismus, Verschweigen und Wegducken«.

Sag mal, Bühling, könnte es sein, daß Du gar nicht im Priesterseminar warst, sondern Praktikant bei uns?

Hatte jedenfalls neulich einen Daniel:
Titanic

Erschienen in Titanic Magazin 12/2013

Sonntag, 8. Dezember 2013

Auf den Nullpunkt

Die historisch einmalige Geldpolitik der Zentralbanken in den kapitalistischen Zentren besteht aus immer weiteren Zinssenkungen. Damit wird es aber bald vorbei sein.

Am 07. November senkte die EZB den Leitzins auf 0,25 Prozent und reagierte damit auf die deflationären Tendenzen im europäischen Wirtschaftsraum. Dem DAX gefiel‘s, er wurde durch den so genannten „Draghi-Effekt“ in weitere unbekannte Höhen manövriert und knackte erstmals in seiner Geschichte die 9200 Indexpunkte.
In den Mainstreammedien war das Rätselraten darüber groß, was das nun bedeuten und welche Folgen das haben könnte, bis – endlich, endlich – der immer unvermeidlichere Professor Hans-Werner Sinn dem Ganzen selbigen absprach. Bemerkenswerter Weise mit der Begründung, die Niedrigzinsen erleichterten den Druck auf die Südländer, „überfällige Reformen“ durchzuführen. Diese hätten in den letzten fünf Jahren trotz der Niedrigzinsen und Rettungsschirmen keine ausreichenden Fortschritte hinsichtlich ihrer Wettbewerbsfähigkeit gemacht, weshalb sie jetzt mit Hilfe der Konkursdrohung endlich zum Sparen verdonnert werden müssten. Das meint Sinn durchaus ernst, auch wenn es in den gemeinten Südländern längst nichts mehr einzusparen gibt und die Sparpoltik zu einer Verschärfung der Rezession geführt hat.
Derweil verkündete Draghi: „Wir haben die Null-Linie noch nicht erreicht. Wir könnten vom Prinzip her noch weitergehen.“
Was wie ein lustiges Spielchen mit ein paar Zahlen und Prozentpunkten aussieht, ist in Wahrheit Ausdruck eines Problems, das sich offenbar immer weiter zuspitzt und dessen Ursache in mangelnden Investitionsmöglichkeiten in der Waren produzierenden Wirtschaft liegt.
Die EZB ist zu der Niedrigzinspolitik aus den gleichen Gründen gezwungen, wie die Fed in den USA: In einem Investitionsumfeld mit miesen Aussichten auf Gewinne aus substanzieller Geschäftstätigkeit muss die Wirtschaft ihre immer höheren Vorauskosten mit Kreditgeld bestreiten. Je größer aber die Überkapazitäten werden, desto geringer werden auch die Gewinnaussichten und desto geringer die Neigung der Banken, den Unternehmen Geld zu leihen. Die EZB kann darauf nur mit weiterer Verbilligung von Kreditgeld reagieren in der Hoffnung, die begünstigten Geschäftsbanken mögen doch das Geld an die Unternehmen weitergeben. Irgendwann, so das offenbar äußerst schlichte Kalkül, muss doch Geld so günstig zu haben sein, dass es sich wieder lohnen könnte, in realwirtschaftliche Aktivitäten zu investieren.
Angesichts der immer problematischeren Akkumulationsbedingungen des Kapitals in großen Teilen der Welt ist dies eine äußerst vage Hoffnung.
Eine niedrige Inflationsrate bei dem bereits spätestens seit 2008 bestehenden Niedrigzinsniveau müsste eigentlich selbst von Ökonomen dahingehend gedeutet werden, dass sich immer weitere Überkapazitäten im globalen kapitalistischen Betrieb auftürmen. Auch in VWL-Lehrbüchern kann man schließlich nachlesen, dass deflationäre Tendenzen genau darauf hindeuten.
Nun hat Draghi zwar recht, dass man mit 0,25 Prozent die Null-Linie noch nicht erreicht hat, aber selbst ihm dürfte aufgefallen sein, dass diese Linie immer näher rückt, ohne dass die Maßnahmen der Zentralbanker den gewünschten Effekt zeitigen würden.
Das marktradikale Wochenmagazin „Der Spiegel“ wunderte sich in seiner Online-Ausgabe derweil über die Tatsache, dass irgendwie nichts klappt wie es soll: „Eigentlich müsste es also Kapital im Überfluss geben, die westliche Welt einen beispiellosen Wirtschaftsboom erleben. Doch davon kann keine Rede sein. Die Euro-Zone krebst am Rande der Rezession und hofft laut Prognose der EU-Kommission für 2014 auf ein Mini-Wachstum von 1,1 Prozent. Auch in den USA gibt es eigentlich kein echtes Wachstum - zieht man einmal die zusätzliche Nachfrage ab, die das Land mit seinem noch immer gewaltigen Haushaltsdefizit künstlich erzeugt. Und auch Japans Wachstum bräche ohne immer neue Staatsschulden sofort zusammen.“
Man weiß beim Spiegel nicht mehr ein noch aus und repetiert die Begründungsversuche der Volkswirtschaftslehre: „Vom immer weiter abnehmenden Grenznutzen des technischen Fortschritts (die Erfindung des PC brachte mehr als die siebenundzwanzigste iPhone-Variante) bis zu einer zunehmenden Sättigung der Märkte (das dritte Auto macht weniger Spaß als das erste). Doch eine wirkliche Erklärung fehlt bis heute.“
Was natürlich heißen müßte: Eine wirkliche Erklärung fehlt bis heute jenen, die das Gesetz vom tendenziellen Fall der Profitrate als spekulative Annahme verwerfen, obwohl sich anhand langfristiger empirischer Wachstumsdaten zeigt, dass der von Marx beschriebene Mechanismus unumgänglich ist.
Wenn der tendienzelle Fall zum absoluten wird, weil der Markt global und die Arbeit bis zum Geht-nicht-mehr intensiviert ist, kann die Politik zumindest geringe Wachstumsraten nur noch durch Geld- und damit Kreditschwemme herstellen. Der Preis für Geld ist aber eben nich ewig senkbar. Es ist nun nicht schwer zu prophezeihen, dass der Tag naht, an dem die Notenbanken ihr Pulver verschossen haben werden. Unter null kann der Zins nicht fallen, das wird der hartnäckigste Kapitalismusfan zugeben.
Die nächsten krisenhaften Verlaufsformen des Spätkapitalismus nehmen konkrete Züge an. Statt jedoch endlich darüber nachzudenken, wie eine globalisierte Gesellschaft organisiert werden wird, wenn die Wertverwertung an ihr Ende kommt, werden die Verzweiflungsakte der Notenbanker als „geldpolitische Kniffe“ gepriesen und ein Gesellschaftssystem auf Biegen und Brechen verteidigt, von dem man nicht einmal sagen kann, was denn daran verteidigenswert wäre.

Erschienen in Graswurzelrevolution 384 (November 2013)

Freitag, 29. November 2013

Spekulationsobjekt Bitcoins

Die Kursrekorde der digitalen Währung sind ein Symptom der Probleme in der Realwirtschaft
Die weltweite Niedrigzinspolitik lässt Geldbesitzer nach immer neuen Anlageformen suchen. Wieder bilden sich spekulative Blasen - wie vor der Weltfinanzkrise 2007.
Am Mittwoch erreichte der Bitcoin-Kurs einen neuen Höchststand und überschritt erstmals die Marke von 1000 US-Dollar. Noch zu Beginn des Jahres lag die digitale Währung bei bescheidenen 13 Dollar.


Bitcoins sind virtuelle Münzen (Coins), die innerhalb eines Computernetzwerkes errechnet werden. Festgelegt ist, dass bis 2033 insgesamt nur rund 21 Millionen dieser Geldeinheiten erzeugt werden können. Dadurch nimmt die Anzahl der neu generierbaren Coins mit der Zeit ab, so dass die virtuelle Währung einen entscheidenden Unterschied zu herkömmlichem Geld aufweist: Sie lässt sich nicht in beliebiger Menge vermehren. Folgerichtig wurde sie zu einem Spekulationsobjekt und vertausendfachte ihren Preis innerhalb von nur zweieinhalb Jahren. Der Handel mit Bitcoins ist nach wie vor vergleichsweise sehr volatil, aber tendenziell kannte der Preis der immateriellen Münzen nur eine Richtung: nach oben.

Der ganze Artikel ist erschienen in Neues Deutschland vom 30.11.2013

Mittwoch, 20. November 2013

Bei wem der leichte Aufschwung nicht ankommt

Neue Zahlen zur Lohnverteilung in den USA zeigen: Die Ungleichheit wächst weiter, auch Arbeitslosigkeit und Armut steigen
Während die Börsen immer neue Rekorde feiern, wächst in den USA vor allem eines: die Ungleichheit der Einkommen.


Über 37 Millionen US-Arbeitnehmer verdienen weniger als 10 000 US-Dollar im Jahr, das sind 24 Prozent aller abhängig Beschäftigten. Dies geht aus aktuellen Daten der US-Sozialversicherungsbehörde Social Security Administration (SSA) zur Lohnstatistik für das Jahr 2012 hervor. Fast 50 Millionen Arbeitnehmer und damit knapp ein Drittel aller Beschäftigten mussten mit weniger als 15 000 Dollar Jahresverdienst auskommen, also umgerechnet nicht einmal 1000 Euro Monatslohn. Während sich diese Werte im Vergleich zu 2011 kaum verändert haben, die Masse der »Working Poor« also auf hohem Niveau stagniert, tat sich im Jahresvergleich auf der anderen Seite der Lohnpyramide Erstaunliches: Die Zahl der Beschäftigten mit einem Jahreseinkommen von über zehn Millionen Dollar ist binnen Jahresfrist von 2049 auf 2915 geklettert, ein Zuwachs von immerhin gut 42 Prozent bei den Superverdienern.

Die Statistik macht deutlich, wer am meisten von den - zuletzt eher niedrigen - Wachstumsraten profitiert. Laut SSA generierten die 120 000 Einkommensmillionäre im Jahr 2012 zusammen eine Lohnsumme von knapp 300 Milliarden Dollar, so viel wie die 50 Millionen Arbeitnehmer am unteren Ende der Lohnskala. Das obere Prozent der Lohnempfänger verdiente so viel wie die unteren 53 Prozent. Drei Jahre zuvor entsprach die Lohnsumme des oberen Prozentes »nur« der der untersten 40 Prozent.

Allen politischen Sonntagsreden zum Trotz spitzt sich die Ungleichverteilung der Einkommen in den USA weiter zu, ebenso wie die existenzbedrohende Armut. In den letzten zehn Jahren erhöhte sich die Anzahl der Bürger, die auf Lebensmittelmarken angewiesen sind, von 20 Millionen auf 47 Millionen.

Dass in den letzten Monaten ein Trend zur Reindustrialisierung zu beobachten ist, wird angesichts solcher Zahlen verständlich: Die Löhne der Billigarbeiter in China und den USA haben sich so weit angenähert, dass es sich für die Firmen kaum mehr lohnt, »Design und Entwicklung von der Herstellung zu trennen«, wie Jeffrey Immelt, Chef des US-Mischkonzerns General Electric, kürzlich erklärte. »Outsourcing nur aufgrund der Lohnkosten ist ein Auslaufmodell.«

Der Trend zu immer ungleicherer Verteilung des gesellschaftlichen Reichtums bleibt in den USA bestehen und der Druck auf die Niedriglohnarbeiter nimmt zu. Was in Deutschland als stille Reserve bekannt ist, also arbeitsfähige Erwachsene, die dem Arbeitsmarkt nicht zur Verfügung stehen, nimmt in den USA stark zu. Die Behörde für Arbeitsmarktstatistik zählt mittlerweile sind über 90 Millionen Arbeitsfähige, die unter die Rubrik »Not in Labor Force« fallen. Das sind über 20 Millionen mehr als Anfang des Jahrhunderts.

Die Meldungen von einer verbesserten Situation am Arbeitsmarkt erweisen sich darüber hinaus regelmäßig als Statistikschummelei. Die nicht mehr erfassten Jobsuchenden werden in die Rubrik »Not in Labor Force« verschoben, allein im Oktober 2013 verschwanden so über 900 000 Arbeitslose aus der offiziellen Arbeitslosenstatistik. Dennoch stieg die offizielle Quote auf 7,3 Prozent.

Ben Bernanke, Chef der US-Notenbank, versprach im Juli, die Staatsanleihekäufe und die Niedrigzinspolitik beizubehalten, bis die gemessene Arbeitslosigkeit unter eine Quote von 6,5 Prozent gefallen ist. Darauf wird er wohl trotz Statistiktricks noch lange warten müssen. Die Distanz zwischen Arm und Reich dürfte in der größten Volkswirtschaft der Welt weiter steigen.

Erschienen in Neues Deutschland vom 19.11.2013

Freitag, 8. November 2013

Hiya, Incredible Hulk!

Da kämpft man wie Du jahrzehntelang mit aller Gewalt um den nötigen Respekt, und dann so was: Am 21.9. zeigte das »Aktuelle Sportstudio« einen per Photoshop in Dich verwandelten Jürgen Klopp, was ja eigentlich schon frech genug ist. Kommentiert aber wurde das Bild von der Moderatorin Müller-Hohenstein so: »Hier ham wir Hulk Hogan, glaub’ ich. Hulk Hogan ganz in grün.« Und wäre das, Incredible Hulk, nicht ein veritabler Grund zum Ausrasten?

Falls Du Sender- oder Moderatorinnenadresse brauchst: einfach melden bei
Titanic

Erschienen in Titanic-Magazin 11/2013

Freitag, 25. Oktober 2013

Mal zu Ihnen, Harald Welzer!

Sie sind Soziologe, Sozialpsychologe, erfolgreicher Buchautor und erklärten nun in der Sendung »Precht« als Gast des gleichnamigen »Philosophen« den Kapitalismus für gescheitert: »Ich würde ja davon ausgehen, daß dieses Gesellschaftsmodell und dieses Wirtschaftsmodell, das uns dieses hochkomfortable Leben beschert hat und den beständigen Zuwachs an Konsummöglichkeiten ermöglicht hat, daß das aus sehr vielen verschiedenen Gründen komplett am Ende ist.« Ihre revolutionäre These besteht nun kurz gefaßt darin, daß jeder einzelne innerhalb des gerade zusammenbrechenden »Wirtschafts- und Gesellschaftsmodells« die Möglichkeit habe, »neue Handlungsbedingungen« zu schaffen, wofür Sie selbstredend auch ein passendes Beispiel parat hatten: »Ich kenne ein Unternehmen, das an Fragen der Nachhaltigkeit interessiert ist und sich überlegt hat: Was machen wir eigentlich mit Leuten, die mit öffentlichen Verkehrsmitteln, und mit Leuten, die mit Autos in unsere Firma kommen? Wie verändere ich deren Verhalten? Was haben die gemacht? Die haben den Firmenparkplatz neben den Bahnhof gelegt, so daß beide denselben Weg bis zur Firma zurücklegen mußten, das heißt eine Deprivilegierung der Autofahrer! Ein total intelligentes Konzept, wirklich witzig, und dann hat man plötzlich eine andere Handlungsbedingung, eine andere Rahmenbedingung für das, was Leute tun.«

Und wissen Sie was, Welzer? Da hätten wir auch noch eine Idee. Die hat etwas mit schwerer Artillerie, sehr tiefen Kerkern und der völligen Deprivilegierung stinkreicher Sozialwissenschaftsschnösel wie Ihnen zu tun. Das wird garantiert ein total intelligentes Konzept, echt witzig und es brächte ganz neue Handlungsbedingungen hervor. Versprochen!

Wird es Ihnen einmal demonstrieren, wenn es fertig ist:
Titanic

Erschienen in Titanic-Magazin 10/2013

Du, Barbara Schöneberger,

warst Gast in der »großen Show der Naturwunder«, was ja an sich schon Fragen aufwirft. Zum Thema »Putzen« erklärtest Du dort: »Putzen ist was Tolles, da bringt man sich selbst in Ordnung. Das hat nicht so sehr was damit zu tun, was man mit der Wohnung macht, sondern es hat etwas damit zu tun, was im Kopf passiert.« Ehrlich, Schöneberger, da liegt offenbar ein Mißverständnis vor: Wenn man, wie Du, nicht mehr ganz sauber ist, helfen auch verkopfte Reinigungsaktionen in den eigenen vier Wänden nichts mehr. Also: einfach weiterputzen, Schöneberger, nicht nachdenken und nicht reden! Nur immer schön weiterputzen!

Empfehlen wärmstens Deine Raumpflegekräfte von
Titanic

Erschienen in Titanic-Magazin 10/2013

Phantasien wartet auf die Inflation

Obwohl weltweit weiter Geld in die Wirtschaft gepumpt wird, bleibt die gemessene Inflation erträglich. Politik und Wissenschaft rätseln über die Gründe. Erst ein Perspektivwechsel bringt Aufklärung.

In seinem wohl berühmtesten Roman Die unendliche Geschichte schildert Michael Ende den mählichen Untergang der Parallelwelt Phantàsien. Das so genannte „Nichts“ verschlingt unaufhaltsam die von allerlei Phantasiegestalten bevölkerten Ländereien und ein ramponierter Bergtroll erklärt dem Helden Atreju den Schlamassel so: „Die Vernichtung breitet sich aus, wächst und wächst und wird jeden Tag mehr – falls man von nichts überhaupt sagen kann, dass es mehr wird.“

Was 1979 im Reich der Phantasie stattfand, klingt 2013 wie eine Beschreibung der kapitalistischen Existenzkrise, denn auch hier wird etwas mehr, das eigentlich nichts ist. Das Nichts der Wirklichkeit klafft in Form gigantischer Vorgriffe auf die Zukunft, die als Schulden und Eigentumstitel in die Gegenwart gepumpt wird, um eine Wert-Maschine am Laufen zu halten, die allen Bemühungen zum Trotz nur immer neue Krisenschübe produziert.

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Erschienen bei hintergrund.de am 15.10.2013

Donnerstag, 26. September 2013

Und über Euch, FDP-Nachwuchs,

titelte das Handelsblatt: »Junge Liberale lehnen Pädophilie ab«. Angesichts von Altvorderen wie Brüderle oder Westerwelle verstehen wir das natürlich, aber mal ehrlich: Soo jung seid Ihr nun auch wieder nicht. Also kein Grund zur Panik.

Eure Kinderfreunde von
Titanic

Erschienen in Titanic-Magazin 08/2013

Mittwoch, 18. September 2013

Gute Wahl!

Während Deutschland unter seiner Führerin Angela Merkel auf dem Weg zum ökonomischen Weltreich kaum zu stoppen ist, bleibt den Wahlberechtigten bei der drohenden Bundestagsabstimmung keine Wahl. Fast keine.

Früher, so der Satiriker Hans Zippert, gab es Briefmarken mit den jeweiligen Bundespräsidenten darauf. Dies sollte, so Zippert in der ZDF-Sendung „Markus Lanz“ weiter, wieder eingeführt werden, da auf diese Weise der jeweilige Amtsinhaber „die Würde und Bürde dieses Amtes wieder spüren“ würde. „Und auch der Bürger könnte in einem Akt der Triebabfuhr diese Briefmarke von hinten anlecken und aufkleben.“
Der derzeitige Bundespräsident trägt den unangenehmen Namen „Gauck“. Über den Gauck wusste Rayk Wieland in konkret bereits 1997 zu berichten, dass jener in der DDR mit der Stasi zusammengearbeitet hatte, was von der Behörde auch in dem so genannten „Operativen Vorgang Larve“ dokumentiert wurde: „Des weiteren äußerte er seine Sorge darüber, daß die »positiven Zielsetzungen, die die sozialistische Gesellschaft in der DDR hat«, nicht erfüllt würden und daß »ein Großteil der DDR-Bürger ein devisenorientiertes Konsumdenken besitzt, das schon seine ideologischen Spuren bei den Menschen hinterlassen« habe“, zitiert Wieland des Bundespräsis Stasi-Akte. Der gleiche Gauck sprach nur wenige Jahre später, nach der Annektierung Ostdeutschlands durch die BRD: „Ich bin von Herzen Antifaschist, aber Sie werden es mir nur dann glauben, wenn Sie auch spüren, daß ich aus Anstand und Moral und aus Wissen Antikommunist bin.“

"Wer nicht wählt, verzichtet auf Partizipation, verzichtet auf die wichtigste Form, mitzubestimmen."

Mit Gauck, der 2012 in der Bundesversammlung unter anderem von Geistesgrößen wie Otto Rehhagel, Frank Elstner oder Senta Berger ins Amt geschoben wurde, darf sich nun einer der beeindruckendsten Wendehälse deutscher Geschichte in einer Reihe mit vormaligen NSDAP-Mitgliedern (Karl Carstens, Walter Scheel) und KZ-Architekten (Heinrich Lübke) wähnen. Man wird diese Herren nur mit zugehaltener Nase anlecken wollen, Triebabfuhr hin oder her.
Der Nachfolger zahlreicher Nazis also, spricht zum Wahlvolk: "Wer nicht wählt, verzichtet auf Partizipation, verzichtet auf die wichtigste Form, mitzubestimmen."
Und wer möchte bei diesem Theater nicht mitmachen?
Leute wie Gauck, Merkel, Dings in ihre Ämter zu wählen, ist, das weiß jeder, der einmal als Wähler gewirkt hat, in erster Linie antiemanzipatorisch, eine nur noch symbolische Handlung der Selbstaufgabe. Denn die Selbstbestimmung hat der im Kapitalismus Wesende längst abgegeben, genaugenommen im Moment der eigenen Geburt, die jeden von vornherein unter das Regime des Kapitalfetisches degradiert. Robert Kurz bringt das in „Geld ohne Wert“ auf den Punkt, wenn er darauf hinweist, dass Demokratie „nichts ist, als die Internalisierung der Fetisch-Autorität ins Bewusstsein, sozusagen als Polizei im eigenen Kopf, um sich selbst nach Vorgaben des `automatischen Subjekts` zu steuern. Der höchste Grad der demokratischen Teilhabe bestünde dann darin, sich selber die notwendige Armut zu verordnen oder sich gleich sozialverträglich aufzuhängen, am besten qua basisdemokratischen Mehrheitsbeschluss. Unter Kannibalen muss eben ab und zu jemand in den Kochtopf wandern, und das Prozedere lässt sich vorzüglich demokratisieren.“

Wenn Zippert das demokratisch gewählte Staatsoberhaupt zur auf Briefmarkenformat geschrumpften, vom Volk angeleckten und aufgeklebten Witzfigur ironisiert, wird nicht nur die Nichtsnutzigkeit des präsidialen Amtes ausgestellt, sondern auch die Distanz und Entfremdung der gewählten Vertreter zum und vom Wahlvolk. Der Bundespräsident als staatstragende Figur dient dabei qua der dem Amt zukommenden Bräsigkeit nur als besonders lächerliches Symbol abgehobener Staatsmach.. Dass eine solche Figur dem deutschen Volk ganz hervorragend gefällt und grandiose Zustimmungswerte in Umfragen erzielt, darf niemanden wundern, der mindestens eine vage Vorstellung davon hat, was den deutschen Volkscharakter ausmacht.

Dass auch die Politikdarsteller mit mehr handfestem Einfluss gar keine andere Möglichkeit haben, als national borniert zu handeln, liegt darin begründet, dass der weltweite Kapitalismus den Planeten längst in Standorte eingeteilt hat, mithin der Kapitalfetisch jede politische Entscheidung determiniert. Auch die gewählten Entscheider haben gar keine Wahl, was sich auch rhetorisch in der berühmten „Alternativlosigkeit“ niederschlägt, ein Nicht-Argument, dass dazu führt, dass noch die verrücktesten Maßnahmen, die sich offensichtlich gegen das Wohlbefinden der „eigenen“ Bevölkerung richtet, von den Betroffenen weitgehend widerspruchslos hingenommen werden, weil sie ja doch dem Standort dienen. Steuersenkungen, Hartz IV, Ermöglichung massenhafter prekärer Beschäftigung: „Jedes Gesetz, das aus einem sozialen Impetus entstanden sein mag und die Probleme der Verschuldung lösen soll, endet todsicher mit einer Bevorzugung der `Besserverdienenden`“(Metz/Seeßlen). Proteste dagegen regen sich kaum.
Mehr noch: „Ökonomisierung und Privatisierung machen vor keiner gesellschaftlichen Instanz Halt: nicht vor Parteien, die längst zu Klientel-abhängigen Wirtschaftsunternehmen geworden sind, zu Unternehmen, in die man Geld und Informationen hineinträgt, um dafür Regelungen, Gesetze oder – andersherum – die Verhinderung von Regelungen, Gesetzen und Aufmerksamkeit zu bekommen (...)“ (a.a.O.)

Wer aber wählt, bekennt sich zur Gültigkeit des bürokratischen Molochs der Kapitalverwaltung


Mithin ist es doppelt egal, wer zu was gewählt wird, am Ende ist jede Entscheidung der unüberwindlichen Standortlogik und in der anhaltenden Krise zusätzlich einem immer verrückter werdendem Finanzierungsvorbehalt unterworfen, also alternativlos. Dem kann sich niemand entziehen, auch nicht die Linkspartei, die zwar im Bundestag wacker gegen praktisch jede Entscheidung der Blockparteien CDU, SPD, FDP und Grüne stimmt, aber die Oppositionshaltung stante pede ablegen muss, sobald sie in eine verantwortliche Position gewählt wird. Dann gehen ihre Entscheider genauso alternativlos asozial den Weg alles Sozialdemokratischen wie die Originale SPD und Gründe, was man etwa im Berliner Senat sehr anschaulich verfolgen kann.
Eine der Parteien zu wählen, ist also politisch überflüssig: Welche Partei die alternativlosen Entscheidungen trifft, ist offensichtlich gleichgültig.
Wer aber wählt, bekennt sich zur Gültigkeit des bürokratischen Molochs der Kapitalverwaltung und mithin auch zu dem darin herrschenden Kapitalfetisch. Wer unter kapitalistisch-demokratischen Bedingungen sich an Abstimmungen beteiligt, affirmiert unweigerlich das demokratisch-kapitalistische Fetischregime, wie jeder Mensch, der an einer Abstimmung über das nächste Mahl in einer Menschenfresser-Community teilnimmt, den Kannibalismus in Kauf nimmt. Selbstverständlich mit der Gefahr, selbst das nächste Opfer zu werden. „Für den Psychologen sind alle Wähler konservativ. Sie haben ausnahmslos das Bestreben, in das Rädchen zu fließen, das dem mächtigen Staatsrad am schnellsten vorwärts hilft. Sie erkennen damit die Notwendigkeit des Bestehenden und den Wert seiner Erhaltung an.“(Mühsam 1907)

Dennoch zeigen sich auch innerhalb des alternativlosen Systems teils bedenkliche, teils naive, teils spöttisch-ironische Reaktionen. Diese kristallisieren sich in der Gründung von Splitter- bzw. Splatterparteien (AfD), die zum Teil die Hoffnung der Wähler bedienen, elementare menschliche Bedürfnisse gegen die Hybris der Alternativlosigkeit zu verteidigen. So erhielt mit den Piraten eine Partei, deren Namen schon Rebellion und einen Gegenstandpunkt signalisiert 2012 monatelang zweistellige Zustimmungswerte in den Sonntagsfragen. Schnell wurde jedoch klar, dass auch diese Gruppierung letztlich keine Vorstellung davon hat und vermitteln kann, wie denn eine Alternative zum Bestehenden aussehen könnte. Die Piratenpartei büßte ihre Faszination schnell ein.
Das Beispiel zeigt aber, dass das kapitalisierte Wahlvieh offenbar doch noch eine gewisse Restvernunft besitzt, die es zumindest instinktiv hoffen lässt, dass es außer der bestehenden Vergesellschaftung qua Konkurrenz- und Verwertungszwang noch etwas anderes geben könnte, dass es eben eventuell doch eine Alternative gibt.

Die PARTEI hat immer recht


Das Satiremagazin Titanic, dessen Chefredakteur auch der oben zitierte Hans Zippert einmal war, ist das Zentralorgan einer ganz besonderen Partei. Angeführt von den Ex-Titanic-Chefredakteuren Martin Sonneborn (Parteivositzender) und Oliver Maria Schmitt (Kanzlerkandidat) tritt „die PARTEI – Partei für Arbeit, Rechtsstaat, Tierschutz, Elitenförderung und basisdemokratische Initiative“ gewissermassen als Über-Partei zur Wahl an. In Kanzlerkandidat Schmitts Buch „Mein Wahlkampf“ geht es laut Kurzauskunft „um Macht, Drogen und Sex, um den Wahn, noch besser aussehen zu wollen als Berlusconi und Guttenberg zusammen, um Merkel und Machiavelli, um Barschel, Brandt und Brüderle – und natürlich um die alles entscheidende Frage: »Wollt ihr den totalen Wahlsieg?« “
In Hintergrundgesprächen hört man immer wieder, dass Vergleiche mit der italienischen Grillo-Partei oder der FDP bei der PARTEI gar nicht gern gehört werden, schließlich sei man ja keine Spaßpartei.
Mit Wahlslogans wie „Wählt die PARTEI – sie ist sehr gut“ oder „Das Bier entscheidet“ ist die PARTEI tatsächlich eine Alternative zum Nichtwählen und mit ihrem von Chlodwig Poth adapierten Motto „Die endgültige Teilung Deutschlands – das ist unser Auftrag“ auch für Anarchisten wählbar.
Die „Flügelkämpfe“ der Vergangenheit sind derweil wohl ausgestanden. PARTEI-Strömungen wie die „verfassungsfeindliche Plattform“ oder die „Hintner-Jugend“, benannt nach Titanic-Layouter Tom Hintner, rücken im Wahlkampf noch enger zusammen. Sonneborn gab daher in der Zeit in aller Bescheidenheit das Wahlziel aus: „100 Prozent plus X – das X sind die Überhangmandate.“
Die Tatsache, dass der Autor dieser Zeilen als Mitglied und Listenkandidat der PARTEI in Hessen mit um die totale Machtergreifung kämpft, ändert nichts an der unbestechlichen Objektivität des Artikels. Und somit empfehle ich als Mitherausgeber der GWR und als Mensch die PARTEI zu wählen, denn die PARTEI hat immer Recht! Echt jetzt!

Der Artikel ist in leicht veränderter Fassung erschienen in
Graswurzelrevolution (GWR 381)
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