Austeritätsmedizin bleibt ohne Wirkung

Nicolai Hagedorn über die angebliche Besserung in den südlichen Krisenökonomien und einen Rechenfehler deutscher Spitzenpolitiker

In den vergangenen Monaten überschlugen sich die Erfolgsmeldungen aus Spanien, Portugal, Irland und sogar Griechenland, also den Krisenländern der europäischen Südperipherie. Portugal wurden etwa große Fortschritte in Sachen Krisenbewältigung attestiert, die ARD-Börsenredaktion erkor das Land sogar zum »Musterknaben«. »Die Welt« feierte indes Spanien als »Europas Superstar«. Die großartige Entwicklung dort sei Folge der »drastischen Reformen«, die Ministerpräsident Mariano Rajoy im Zuge der Austeritätspolitik durchgeführt habe.

Das Märchen von der Austeritätspolitik, die nun endlich ihre segensreiche Wirkung entfaltet, ist allerdings zu schön, um wahr zu sein. Die Krisenländer haben ihre Wettbewerbsfähigkeit, Handelsbilanzen und Exportquoten zwar tatsächlich zum Teil verbessern können - Spanien beispielsweise verzeichnet seit fünf Quartalen wieder ein leichtes Wirtschaftswachstum. Dieses bewegt sich jedoch auf einem Niveau, das zur Konsolidierung der Staatsfinanzen bei weitem nicht ausreicht. Das Hauptproblem bleibt: Die Risiken für die Zahlungsfähigkeit sind nur in die Zukunft verschoben worden, verschwunden sind sie nicht. Im Gegenteil. Erst vergangene Woche meldete die spanische Zentralbank ein neues Allzeithoch bei der Staatsverschuldung: Der Gesamtschuldenstand des Staates liegt demnach bei 1,5 Billionen Euro, das entspricht 142 Prozent des jährlichen Bruttoinlandsproduktes. Auch in Portugal, Italien und Griechenland wachsen die Staatsschulden weiter auf neue Höchstwerte.

Der zunehmende Finanzbedarf dieser Staaten resultiert dabei vor allem aus steigenden Sozialausgaben und den Kosten für die Bankenrettungen, für die etwa Spaniens Steuerzahler bis heute rund 60 Milliarden Euro aufbringen mussten. Hier wird der ganze Wahnsinn der vor allem von Deutschland über die Troika aus Europäischer Zentralbank, EU-Kommission und IWF durchgesetzten Sparpolitik sichtbar. Denn auch die Arbeitslosenquoten bleiben in Europas Süden auf Rekordhöhe, was zu den ausufernden Sozialausgaben führt. Im Klartext: Die Sparanstrengungen würgen die wirtschaftlichen Aktivitäten ab, was über erhöhte Arbeitslosigkeit und Verarmung letztlich zu immer höheren Staatsschulden führt. Die von Merkel in Europa durchgesetzte Krisenpolitik droht derweil weitere Opfer zu fordern: Frankreich meldete vergangene Woche ebenfalls einen neuen Rekord und überschritt erstmals in seiner Geschichte die Grenze von zwei Billionen Euro an Staatsschulden.

Der Versuch, diese beunruhigenden Entwicklungen mit dem Narrativ von der alternativlosen Sparpolitik, die jetzt einem glücklichen Ende entgegenstrebt, schönzureden, grenzt an Propaganda. Die tiefer liegenden Probleme der Eurozone sind nach wie vor verstopfte Absatzwege und Überkapazitäten. Diese werden durch immer weitere Einsparungen nicht behoben, sondern verschärft. Deshalb kann die Merkelsche Austeritätsmedizin nicht wirken, deshalb können immer weitere Zinssenkungen die Kreditkontraktion in der Eurozone nicht wirksam bekämpfen, und deshalb ist Europa auf dem Weg in eine Deflation.

Da diese Art der Krisenbekämpfung für alternativlos erklärt wurde, wird man wohl auf den Sankt Nimmerleinstag oder den nächsten großen Crash warten müssen, bis einmal ein Gedanke daran verschwendet wird, dass wirtschaftliches Wachstum nur dann stattfinden kann, wenn die so unheimlich wettbewerbsfähig produzierten Güter auch gekauft werden können. Dafür braucht es Abnehmer. Und diese müssen Geld verdienen. Mit einem zunehmenden Heer von Arbeitslosen und Niedriglöhnern wird das kaum zu schaffen sein. Wenn die ganze Welt Außenhandelsüberschüsse generieren soll, wie man sich das bei den Erfindern der Sparpolitik offenbar vorstellt, müssten Merkel, Schäuble und Co. schon einmal erklären, auf welchen Planeten die Güter denn verkauft werden sollen. Sonst bleibt nur, mit Paul Krugman zu konstatieren, dass hier wohl »ein Rechenfehler« vorliegt.

Erschienen in Neues Deutschland (ND) vom 8.11.2014
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