Barbarei als Geschäftsidee

Die islamistische Terrororganisation IS will ein Kalifat in Syrien und dem Irak errichten. Ihr Erstarken ist auch die Folge rücksichtsloser Geopolitik des Westens. Sie nutzt die staatlichen Zerfallsprozesse in der Region und präsentiert sich wie ein moderner westlicher Konzern.

Als die islamistische Terrorgruppe IS („Islamischer Staat“) Anfang August zum Angriff auf die irakische Wirtschaftsmetropole Erbil ansetzte, ordnete US-Präsident Obama erste Luftschläge gegen Stellungen der Angreifer an. Das kurdische Erbil liegt im Norden des Irak und ist eine der wirtschaftlichen Leuchtturmmetropolen, in denen europäische und US-amerikanische Institutionen die wirtschaftliche Erschließung des irakischen Absatzmarktes betreiben. Die USA sind dort mit einem Konsulat und mehreren US-Soldaten vertreten und auch Deutschland kämpft in dem zerfallenden Staat um ökonomisches Gewicht. Seit Februar 2010 unterhält die deutsche Regierung eigenen Angaben zufolge in Erbil ein „Wirtschaftsbüro, das deutschen und irakischen Firmen ermöglichen soll, in einem nach wie vor schwierigen Umfeld gemeinsame Geschäftsinteressen zu entwickeln und Möglichkeiten der Kooperation zu eruieren.“ Wie schwierig das Umfeld wohl werden würde, wenn die IS-Kämpfer erst einmal vor der Tür der westlichen Institutionen stehen würden, wollte man sich dann wohl doch lieber nicht ausmalen, schließlich hatten die Islamisten zuvor gezeigt, wie sie mit „Ungläubigen“ umzuspringen gedenken. Auf ihrem Vormarsch im Irak und in Syrien, der mit großen Geländegewinnen insbesondere im Irak verbunden war, wurden tausende Menschen hingerichtet oder gefoltert. Laut einem UN-Bericht flohen bis Mitte August 380.000 Iraker vor dem „Islamischen Staat“ in die kurdischen Autonomiegebiete im Norden des Landes, bis zu 50.000 Jesiden wurden tagelang ohne ausreichend Wasser und Nahrung im Sindschar-Gebirge unweit der syrisch-irakischen Grenze von der Miliz belagert und mussten aus der Luft mit Hilfsgütern versorgt werden. US-amerikanische, französische und britische Militärmaschinen überflogen das Gebiet tagelang und warfen Hilfsgüter ab, ehe kurdische Peschmerga-Kämpfer einen Großteil der Eingeschlossenen befreien konnten. Der Zentralrat der Jesiden in Deutschland wies aber darauf hin, dass weitere 200.000 Angehörige der kurdischen Minderheit in den vom IS besetzten Gebieten auf Hilfe angewiesen seien.
Die Entwicklung im Irak läuft für die so genannte westliche Staatengemeinschaft jedenfalls ganz und gar nicht nach Plan, seit dem Rückzug der US-Truppen erlebt das Land einen atemberaubenden staatlichen Zerfallsprozess, eine lohnenswerte wirtschaftliche Ausbeutung des Ressourcen starken Landes bleibt vor diesem Hintergrund fast unmöglich.
Dabei ist der IS gewissermaßen ein Abfallprodukt einerseits der westlichen Interventionspolitik seit dem ersten Irakkrieg und andererseits eine Folge der kapitalistischen Weltkrise, die eine nachholende Modernisierung selbst für brennstoffreiche Volkswirtschaften wie den Irak unmöglich macht.
Bereits Mitte Dezember 2013 hatte der ehemailge CIA-Chef Michael Hayden auf einer Terrorismus-Konferenz des konservativen Washingtoner Think-Tanks „Jamestown Foundation“ erklärt, die angenehmste Option im Syrien-Krieg sei ein Sieg der regulären syrischen Armee sowie ein Verbleib des syrischen Präsidenten Assad im Amt. Zuvor hatten die westlichen Regierungen einen Sturz des Assads zum gemeinsamen Ziel erklärt und die kämpfenden Rebellengruppen in Syrien unter anderem durch Waffenlieferungen unterstützt. Aus dem ursprünglich friedlichen Protest gegen Assad war schnell ein Bürgerkrieg geworden, in dem die aus den Partisanenkämpfen gegen die US-Armee kampferprobten islamistischen Milizen die schlagkräftigsten Einheiten stellten und insbesondere über die Türkei Waffen geliefert bekamen, sowie aus dem wichtigsten arabischen Partnerstaat des Westens, Saudi-Arabien, militärisches Gerät und finanzielle Unterstützung erhalten hatten. So gesehen, ist man nun erneut gezwungen, die Geister, die man gerufen hat, zu bombardieren, um diese an geplanten Massenmorden zu hindern. Dabei gab es bereits frühzeitig auch öffentliche Warnungen. So hatte etwa Rania Abouzeid, Autorin des US-Magzins „Time“, im Sommer 2012 mit einer Reportage für Aufsehen gesorgt. Darin hatte sie ein Bild veröffentlicht, dass einen Rebellen-Checkpoint im Norden Syriens zeigt, an dem eine Flagge mit dem Zeichen Al-Kaidas angebracht war. Außerdem war es ihr gelungen, mit zwei jungen Rebellen-Kämpfern zu sprechen, die ihr erklärten, das Ziel der Milizen sei die Errichtung eines Gottesstaates.
Die Operation „kapitalistische Nutzbarmachung der fernen Peripherie“ ist jedenfalls vorerst gescheitert. Statt einer nachholenden Modernisierung, die dem angeschlagenen westlichen Kapitalismus neue Akkumulationsmöglichkeiten schaffen könnte, erlebt die globalisierte Welt einen kaum für möglich gehaltenen Zerfall staatlicher Strukturen, der vor kaum einer Weltregion mehr haltmacht. Der von dem privaten Washingtoner Think-Tank „Fund For Peace“ in Zusammenarbeit mit dem renommierten US-amerikanischen Außenpolitik-Magazin „Foreign Policy“ jährlich erstellte „failed-state-Index 2013“ vergibt für insgesamt 126 von 178 berücksichtigten Staaten die Kategorien „Alert“ (gescheiterter Staat) oder „Warning“ (akut vom Scheitern bedroht), das sind 20 mehr als noch 2006. Unter den Staaten in der höchsten Kategorie „Sustainable“ (zukunftsfähig) finden sich gerade einmal 14 Staaten, ausschließlich Länder Mittel- und Nordeuropas sowie Kanada, Australien und Neuseeland.
Derweil haben die, die sich die Reste kapitalistischer Reichtumsproduktion mit Waffengewalt und Terror sichern wollen und dabei vor keiner Brutalität zurückschrecken, die Regeln der Kapitalverwertung längst verinnerlicht. Gegenüber dem britischen Telegraph erklärte Jessica Lewis, Direktorin des „Institute For The Study Of War“, der IS habe einen Geschäftsplan und das Geschäftsfeld bestehe in „Expansion durch Eroberung“. Eine detaillierte Aufstellung der Aktivitäten stellt der IS möglichen Geldgebern in einer Form dar, „die in ihrer Aufmachung dem Public-Relations-Abteilungen westlicher Unternehmen entsprungen sein könnte“, wie der Journalist Tomas Konicz feststellt.
Im Internet kann man eine ins Englische übersetzte Version des Prospektes einsehen, in dem die barbarische Geschäftsbilanz des IS penibel aufgelistet ist: Für ihre Investition haben die Geldgeber unter anderem 1015 „Bombenanschläge auf Häuser und Gebetsstätten“, 1083 Morde, 238 Selbstmordattentate, insgesamt 7681 „militärische Operationen“ erhalten.
Der Spätkapitalismus, so scheint´s, macht noch aus seiner eigenen Zerstörung ein offenbar gut gehendes Geschäft.

Erschienen in Graswurzelrevolution 391 (GWR September 2014)
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