Fragwürdige Erfolge

Jubel über deutsche Wirtschaft ignoriert Konsequenzen und Warnsignale

Die Aktienmärkte boomen und die deutsche Wirtschaftspolitik lässt sich für staatliche Überschüsse feiern. Indes sendet die wirtschaftliche Entwicklung auch Warnzeichen. So viel zu jubeln gibt es gar nicht.


Während der Deutsche Aktienindex (DAX) in den vergangenen Tagen immer neue Höchststände erklommen hat, die Konjunkturpropheten von der Gesellschaft für Konsumforschung (GfK) bis zum Wirtschaftsforschungsinstitut Ifo steigende Zuversicht in die wirtschaftliche Robustheit der deutschen Industrie messen und das Statistische Bundesamt einen Überschuss des Gesamtstaates von 18 Milliarden Euro im Jahr 2014 verkündet, bleibt fraglich, woher die offenbar grenzenlose Zuversicht eigentlich kommt.

Wenn etwa die Ökonomen des GfK-Index zu dem Ergebnis kommen, die Konsumlaune der Deutschen sei so gut wie seit 13 Jahren nicht, bringt ein Blick auf die Einzelhandelsumsätze schnell Ernüchterung. Diese waren auch im Jahr 2014 niedriger als Anfang der 1990er Jahre und auch der angebliche Konsumrausch fiel im Dezember 2014 mit einem Anstieg der Umsätze von gerade einmal 0,2 Prozent zum Vorjahr wieder einmal aus.

Die Überschüsse bei den Steuereinnahmen resultieren in erster Linie aus gestiegenen Massensteuereinnahmen und auch 2014 rückläufigen Staatsinvestitionen. Der Sparkurs der Bundesregierung zeitigt zwar die versprochenen Überschüsse, allerdings auf Kosten eines Investitionsstaus, der unter anderem dazu geführt hat, dass laut Einschätzung des TÜV-Bauexperten Günther Jost mittlerweile rund 50 Prozent der deutschen Brücken sanierungsbedürftig sind. Das im vergangenen Jahr von Verkehrsminister Alexander Dobrindt aufgelegte Sonderprogramm zur Brückensanierung reicht dagegen nur für bescheidene 78 Brücken, wie die »Welt am Sonntag« im September berichtete.

Auch die Entwicklung am viel bejubelten deutschen Arbeitsmarkt ist eher ernüchternd. Seit Anfang der 1990er Jahre gingen in Deutschland rund 14 Prozent der sozialversicherungspflichtigen Vollzeitstellen verloren, während die Beschäftigung in Teilzeit im gleichen Zeitraum um sagenhafte 120 Prozent angestiegen ist. Und das alles bei Reallöhnen, die seit über zwei Jahrzehnten stagnieren. Der vor einigen Tagen erschienene Armutsbericht des Paritätischen Gesamtverbandes brachte es auf den Punkt: »Was den Zusammenhang von Wirtschaftswachstum (als Grundlage des volkswirtschaftlichen Reichtums) und Einkommensarmut anbelangt, lässt sich keine sinnvolle Korrelation mehr erkennen.«

Auch der Welthandel, von dem die deutsche Wirtschaft wie kaum eine zweite abhängig ist, sendet weiterhin Warnsignale. Wie etwa der Baltic Dry Index, ein Preisindex für Massenfrachtraten und traditionell ein Gradmesser des Welthandels, der zuletzt einen Einbruch von über 50 Prozent zum Vorjahr anzeigte und sich damit auf dem niedrigsten Stand seit Beginn der Datenerhebung im Jahr 1985 bewegt. Auch ein zweiter wichtiger Hinweisgeber für die weltwirtschaftliche Entwicklung zeigte im Januar Schwäche. Der Weltverband der Stahlindustrie »Worldsteel« vermeldete einen Rückgang der Weltstahlproduktion um knapp drei Prozent zum Vorjahresmonat.

Darüber hinaus sanken im Januar die Einzelhandelsumsätze in den USA und selbst China, dem einzig verbliebenen Wachstumstreiber der Weltwirtschaft, geht langsam die Puste aus. Trotz Ausweitung der Kreditvergabe und dem Versuch der chinesischen Führung, die Inlandsnachfrage zu steigern, sanken im Januar die Importe der Volksrepublik um 20 Prozent, was nach Meinung vieler Experten für eine rückläufige Entwicklung der chinesischen Inlandsmärkte spricht.

Hinzu kommen die geopolitischen Unsicherheiten, einbrechende Exportmärkte in der Ukraine und in Russland, sowie die nach wie vor darbende Südperipherie der Eurozone.

Sich überschlagende Aktienmärkte und steigende materielle Ungleichheit bei gleichzeitig wachsenden Risiken hinsichtlich der weltwirtschaftlichen Entwicklung, Deflationstendenzen in Europa und eine wachsende Armut nicht nur in den Ländern der Südperipherie dürften nach wie eher Anlass zu Besorgnis als zu Jubel sein.

Erschienen in Neues Deutschland vom 9.3.2015
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