Ungewohnte Forderungen aus Deflationsangst

Bei einem Arbeitstreffen mit Gewerkschaftern forderte die Bundesbank höhere Tarifabschlüsse
Die Forderung der Bundesbank, die Gewerkschaften mögen doch höhere Tarifabschlüsse anstreben, finden diese nicht nur begrüßenswert.


In der nicht enden wollenden Krise des europäischen Kapitals kommen erste, bisher nicht gerade für ihre beschäftigtenfreundlichen Ansichten bekannte Institutionen zu erstaunlichen Einsichten. So forderte der Chefvolkswirt der Deutschen Bundesbank, Jens Ulbrich, höhere Lohnabschlüsse. Die Gewerkschaften hätten, so Ulbrich, in den letzten Jahren »sehr verantwortungsbewusst Lohnzurückhaltung geübt«, nun aber seien höhere Lohnabschlüsse notwendig und geboten. Diese Aussagen zitierte der »Spiegel« in seiner aktuellen Ausgabe. Sie entstammen einem Arbeitstreffen mit Wirtschafts- und Tarifexperten aus dem DGB und seinen Mitgliedsgewerkschaften Ende Juni.
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Ins gleiche Horn stieß der Präsident des Deutschen Instituts für Wirtschaftsforschung (DIW), Marcel Fratzscher, und verwies auf die Reallohnsenkungen der letzten 15 Jahre. Angesichts der anhaltenden Krise in Europa hatte bereits zuvor IWF-Chefin Christine Lagarde vor einer »hartnäckig niedrigen Inflation« gewarnt, da diese eine Gefahr für das Wachstum darstelle. Es zeichnet sich damit weiterhin das Scheitern der ultralockeren Geldpolitik ab und damit einhergehend eine gewisse Verzweiflung bei den Verantwortlichen.

Die Forderung nach Lohnerhöhungen ist zwar für die Beschäftigten in Deutschland erfreulich, nur hat die Sache einen doppelten Haken. Dieser besteht einerseits in der Tatsache, dass die Lohnzurückhaltung der deutschen Arbeitnehmer tatsächlich zu einer erhöhten Wettbewerbsfähigkeit der deutschen Industrie geführt hat und andererseits darin, dass bei der mittlerweile manifesten deutschen Abhängigkeit vom Export selbst eine geringe Kaufkrafterhöhung die Exportausfälle kaum wird kompensieren können. Die europäischen Nachbarstaaten sind unverändert weit davon entfernt, Wachstumsmärkte zu sein.

Wie ist es dann zu verstehen, dass die Gralshüter deutscher Geldpolitik die Gewerkschaften zu weniger Lohnzurückhaltung aufforderten?

»Sicherlich herrscht auch in der Bundesbank eine gewisse Furcht, vor den Folgen einer Deflation. Wir stehen ja kurz davor«, sagt Sabine Reiner von der Abteilung Wirtschaftspolitik beim ver.di-Vorstand gegenüber »nd«. Daher komme das Nachfrageargument auch »von ungewohnter Seite«. Die Bundesbank hatte sich in den letzten Jahren stets damit hervorgetan, die Gewerkschaften vor zu hohen Lohnforderungen zu warnen.

Der jüngste Wunsch der Bundesbank könne auch als »eine Unterstützung der Gewerkschaften« verstanden werden, in kommenden Tarifrunden mit »selbstbewussten Forderungen« aufzutreten. Ohne die Verzahnung mit gewerkschaftlicher Lohnpolitik, könne die Geldpolitik der Bundesbank keinen Erfolg haben. »Es wäre aber schön gewesen, hätte die Bundesbank auch auf den Zusammenhang von Arbeitsmarktpolitik und Lohnentwicklung hingewiesen«, so Reiner weiter. Wer jahrelang mehr Prekarität fordere, dürfe sich über kaum steigende Löhne nicht wundern.

»Höhere Löhne fallen nicht vom Himmel«, stellte Michael Schlecht, wirtschaftspolitischer Sprecher der Linksfraktion im Bundestag am Montag fest. Zum einen hätte die Bundesbank die Bundesregierung auffordern sollen, »die gewerkschaftliche Durchsetzungsmacht zu stärken«. Dazu zählen ein Verbot des Missbrauchs von Werkverträgen oder die Stärkung der Allgemeinverbindlichkeit von Tarifverträgen, so Schlecht.

»Lohnerhöhungen sind angesichts der guten Konjunktur, der schwachen Inlandsnachfrage der vergangenen Jahre und der drohenden Deflation ökonomisch allemal gerechtfertigt«, sagte DGB-Vorstandsmitglied Stefan Körzell am Montag in Berlin. Doch das Führen von Tarifverhandlungen mit der Unternehmerseite sei immer noch eine Angelegenheit der Gewerkschaften so Körzell weiter. Zudem sei jedoch fraglich, warum die Bundesbank in den vergangenen Jahren so vehement gegen den Mindestlohn argumentiert hat. »Denn jeder Cent mehr, den ein Arbeitnehmer, eine Arbeitnehmerin dank dem Mindestlohn ab 2015 ins Portemonnaie bekommt, wird vollständig in den Konsum fließen und dem Preisverfall entgegentreten«, so Stefan Körzell.

Gemeinsamer Text von ND-Redakteur Jörg Meyer und mir, erschienen in Neues Deutschland vom 22.7.2014
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