Sonntag, 15. März 2015

Na na, Tote Hosen!

Da ist Euer Manager Jochen Hülder »nach längerer schwerer Krankheit« gestorben, wie Ihr auf Eurer Homepage mitteilt, und fix erklärt Ihr dortselbst: »Ohne ihn wären Die Toten Hosen niemals geworden, was sie heute sind.« Aber hört mal, Campino, Kuddel, Breiti, Andi und Vom Ritchie: Wie unfair ist das denn, alles dem toten Freund in die Hosen, Quatsch, die Schuhe zu schieben!

Schämt sich für Euch:

Titanic

Erschienen in Titanic-Magazin 03/2015

Hallihallo, Peter Maffay!

Im Interview mit »Merkur-Online« haben Sie erklärt, wie es mit Ihrem Kinderdrachen »Tabaluga« weitergehen soll: »Alle Einnahmen aus ›Tabaluga‹ gehen in meine Stiftung, die etwa 1200 traumatisierte Kinder pro Jahr unterstützt. Die Stiftung braucht im Jahr gut eine Million Euro. Dafür muß ›Tabaluga‹ arbeiten – mit Platten, einem Film, mit Merchandising und anderem.«

Schon gut, Maffay, aber wäre es nicht sinnvoller, diese vielen Kinder gar nicht erst zu traumatisieren? Zum Beispiel, indem man sie nicht mit Ihnen und Ihrem albernen Drachen konfrontiert?

Ach, jetzt haben wir die ganze schöne Geschäftsidee verraten?

Entschuldigt sich kein bißchen:

Titanic

Erschienen in Titanic-Magazin 02/2015

Körpererfahrung

Es ist immer wieder erstaunlich, welche Geräusche der menschliche Körper hervorbringen kann; man muß nur gelegentlich in sich hineinhören, Beispiel Mund: Ein grandioses, so nie gehörtes Geschmatze bietet sich dem, der sich In-Ear-Kopfhörer tief in den Gehörgang steckt, ohne jedoch Musik oder sonstigen Lärm einzuschalten, und dabei etwas möglichst Matschiges, etwa einen Big Mac oder einen weichen Cookie verspeist. Zusatztip: Wenn man während des Einführens der kleinen Hörer den Mund weit aufreißt, kann man sie zwischen Ober- und Unterkieferknochen einklemmen.

Erschienen in Titanic-Magazin 01/2015

Ihr, Politiker,

könnt aber auch nie etwas richtig machen! Da entnahmen wir n-tv.de die Meldung, wonach Ihr »gefährliche Tiere verbieten« wollt, und dachten sofort an elende Stechmücken, Köter auf dem Fahrradweg und Matthias Sammer. Statt dessen aber bereitet Ihr einen Angriff auf genau das schützenswerte Getier vor, das vorgenannte Plagen zu beseitigen imstande ist, nämlich »Skorpione, Schlangen und Spinnen«. Wie konnte das denn wieder passieren?

Wenn Ihr so weitermacht, verliert langsam wirklich die Geduld mit Euch:

Titanic

Erschienen in Titanic-Magazin 12/2014

Als Sie, Wolfgang Pohrt,

im Konkret-Gespräch mit Hermann Gremliza auf dessen Spekulation, wonach Sie und er eventuell »doch einmal zusammen« losgehen könnten, und zwar »mit einer Kalaschnikow im Arm«, als Sie darauf also mit »Wir beide nicht mehr. Das schaffen wir nicht« antworteten, da kamen vor Rührung beinahe die Tränen:

Ihrer guten alten

Titanic

Erschienen in Titanic-Magazin 12/2014

Willkommen auf Deutsch (Rezension)

Regie: Carsten Rau/Hauke Wendler; Deutschland 2014 (Brown Sugar Films); 93 Minuten; ab 12. März im Kino

Das 400-Seelen-Dorf Appel hat ein Problem. Das ehemalige Altenheim im Ort soll zu einer Asylbewerberunterkunft umgebaut werden. Es bildet sich eine Bürgerinitiative, deren Anführer kaum verblümt mit Gewalt droht, sollten tatsächlich »53 Asylanten« einziehen. Einige Mütter sehen ihre minderjährigen Töchter durch »männliche Bedürfnisse« der Fremden bedroht, und dem Vertreter des Landkreises, der die neue Flüchtlingsunterkunft geplant hat, wird mitgeteilt, er solle »seine Neger« wieder mitnehmen. Schließlich schlagen die Anwohner vor, immerhin elf Flüchtlinge in der örtlichen Pension unterzubringen und setzen sich damit durch. Der vierschrötige Wirt bekommt nicht nur die elf Asylbewerber in sein Deutsches Haus, sondern auch die Aufgabe aufgebrummt, sie zu »unterstützen«. Sechs Wochen später brät er Schnitzel mit seinen Schützlingen und feixt: »Ich muss ganz ehrlich sagen: Das Zusammenleben ist gut.« Deutsche Willkommenskulturentbehrt nicht einer gewissen Komik.

Die Regisseure Hauke Wendler und Carsten Rau kommen ihren Figuren nahe, ohne ihnen zu nahezutreten. Sie dokumentieren die Vorgänge in zwei Dörfern im Landkreis Harburg, deren Bewohner sich zwischen Empathie und Ressentiment, Hilfsbereitschaft und Rassismus plötzlich konkret zu angekündigten beziehungsweise bereits eingetroffenen Flüchtlingen verhalten müssen. Und sie zeigen die Neuankömmlinge, die vor lauter Aufregung, Sorgen und Hoffnung gar keine Zeit haben, böse Pläne gegen ihre Gastgeber zu schmieden.

In aller Ruhe und ohne Parteinahme werden die Hilfsbedürftigen den Vorurteilen der deutschen Kleinbürger gegenübergestellt, so dass man sich manchmal fragt, wer eigentlich die erbarmungswürdigeren Gestalten sind: die Verdammten dieser Erde oder diejenigen, die ihnen vor Angst und Wut kein ehemaliges Altenheim gönnen. Indem der Film die Ängste der Angsthaber ernst nimmt, zeigt er, dass sie nicht ernst zu nehmen sind.

Es gibt aber auch die anderen: entschlossene Rentnerinnen, die Deutschkurse geben und Kinder betreuen, Kirchenvertreter, die sich um Kontakte zwischen Flüchtlingen und Anwohnern bemühen, oder den Landkreisbürokraten, der so pedantisch wie rührend Unterkünfte organisiert. Diese 90 Minuten filmgewordene Widersprüchlichkeit sozialer Aushandlungsprozesse sind so aufschlussreich und kurzweilig, dass man sich beim Abspann fragt, wo die Zeit geblieben ist.
Erschienen in konkret 03/2015

Fragwürdige Erfolge

Jubel über deutsche Wirtschaft ignoriert Konsequenzen und Warnsignale

Die Aktienmärkte boomen und die deutsche Wirtschaftspolitik lässt sich für staatliche Überschüsse feiern. Indes sendet die wirtschaftliche Entwicklung auch Warnzeichen. So viel zu jubeln gibt es gar nicht.


Während der Deutsche Aktienindex (DAX) in den vergangenen Tagen immer neue Höchststände erklommen hat, die Konjunkturpropheten von der Gesellschaft für Konsumforschung (GfK) bis zum Wirtschaftsforschungsinstitut Ifo steigende Zuversicht in die wirtschaftliche Robustheit der deutschen Industrie messen und das Statistische Bundesamt einen Überschuss des Gesamtstaates von 18 Milliarden Euro im Jahr 2014 verkündet, bleibt fraglich, woher die offenbar grenzenlose Zuversicht eigentlich kommt.

Wenn etwa die Ökonomen des GfK-Index zu dem Ergebnis kommen, die Konsumlaune der Deutschen sei so gut wie seit 13 Jahren nicht, bringt ein Blick auf die Einzelhandelsumsätze schnell Ernüchterung. Diese waren auch im Jahr 2014 niedriger als Anfang der 1990er Jahre und auch der angebliche Konsumrausch fiel im Dezember 2014 mit einem Anstieg der Umsätze von gerade einmal 0,2 Prozent zum Vorjahr wieder einmal aus.

Die Überschüsse bei den Steuereinnahmen resultieren in erster Linie aus gestiegenen Massensteuereinnahmen und auch 2014 rückläufigen Staatsinvestitionen. Der Sparkurs der Bundesregierung zeitigt zwar die versprochenen Überschüsse, allerdings auf Kosten eines Investitionsstaus, der unter anderem dazu geführt hat, dass laut Einschätzung des TÜV-Bauexperten Günther Jost mittlerweile rund 50 Prozent der deutschen Brücken sanierungsbedürftig sind. Das im vergangenen Jahr von Verkehrsminister Alexander Dobrindt aufgelegte Sonderprogramm zur Brückensanierung reicht dagegen nur für bescheidene 78 Brücken, wie die »Welt am Sonntag« im September berichtete.

Auch die Entwicklung am viel bejubelten deutschen Arbeitsmarkt ist eher ernüchternd. Seit Anfang der 1990er Jahre gingen in Deutschland rund 14 Prozent der sozialversicherungspflichtigen Vollzeitstellen verloren, während die Beschäftigung in Teilzeit im gleichen Zeitraum um sagenhafte 120 Prozent angestiegen ist. Und das alles bei Reallöhnen, die seit über zwei Jahrzehnten stagnieren. Der vor einigen Tagen erschienene Armutsbericht des Paritätischen Gesamtverbandes brachte es auf den Punkt: »Was den Zusammenhang von Wirtschaftswachstum (als Grundlage des volkswirtschaftlichen Reichtums) und Einkommensarmut anbelangt, lässt sich keine sinnvolle Korrelation mehr erkennen.«

Auch der Welthandel, von dem die deutsche Wirtschaft wie kaum eine zweite abhängig ist, sendet weiterhin Warnsignale. Wie etwa der Baltic Dry Index, ein Preisindex für Massenfrachtraten und traditionell ein Gradmesser des Welthandels, der zuletzt einen Einbruch von über 50 Prozent zum Vorjahr anzeigte und sich damit auf dem niedrigsten Stand seit Beginn der Datenerhebung im Jahr 1985 bewegt. Auch ein zweiter wichtiger Hinweisgeber für die weltwirtschaftliche Entwicklung zeigte im Januar Schwäche. Der Weltverband der Stahlindustrie »Worldsteel« vermeldete einen Rückgang der Weltstahlproduktion um knapp drei Prozent zum Vorjahresmonat.

Darüber hinaus sanken im Januar die Einzelhandelsumsätze in den USA und selbst China, dem einzig verbliebenen Wachstumstreiber der Weltwirtschaft, geht langsam die Puste aus. Trotz Ausweitung der Kreditvergabe und dem Versuch der chinesischen Führung, die Inlandsnachfrage zu steigern, sanken im Januar die Importe der Volksrepublik um 20 Prozent, was nach Meinung vieler Experten für eine rückläufige Entwicklung der chinesischen Inlandsmärkte spricht.

Hinzu kommen die geopolitischen Unsicherheiten, einbrechende Exportmärkte in der Ukraine und in Russland, sowie die nach wie vor darbende Südperipherie der Eurozone.

Sich überschlagende Aktienmärkte und steigende materielle Ungleichheit bei gleichzeitig wachsenden Risiken hinsichtlich der weltwirtschaftlichen Entwicklung, Deflationstendenzen in Europa und eine wachsende Armut nicht nur in den Ländern der Südperipherie dürften nach wie eher Anlass zu Besorgnis als zu Jubel sein.

Erschienen in Neues Deutschland vom 9.3.2015

"Lesen die ihren Kindern Pixi-Bücher vor?"

Ein Interview mit dem Filmemacher Hauke Wendler

Dokumentarfilmer Hauke Wendler im Gespräch mit GWR-Mitherausgeber Nicolai Hagedorn über seinen neuen Kinofilm "Willkommen auf Deutsch" [vgl. GWR 395, S. 20], fanatische deutsche Bürokraten, Alltagsrassismus und Fortschritte im Kampf dagegen.


Graswurzelrevolution (GWR): Wie geht es den im Film gezeigten Flüchtlingen?


Hauke Wendler: Von den fünf albanischen Flüchtlingen, die wir begleitet haben, sind drei bereits "freiwillig" ausgereist.

So heißt das offiziell, wenn die Ausländerbehörde so lange mit späteren Einreisesperren und ähnlichem droht, bis die Leute einknicken und, sofern das überhaupt geht, Deutschland verlassen. Das pakistanische Ehepaar und auch die tschetschenische Familie, die im Film eine wichtige Rolle spielen, sind nach wie vor im Landkreis Harburg und warten auf die Bescheide zu ihren Asylanträgen. Diese Ungewissheit ist für alle hart, weil sie einfach nicht zur Ruhe kommen.

GWR: Wie geht man so ein Dokumentarfilm-Projekt an? Fährt man da einfach mal in diese Dörfer, filmt und hofft, dass sich nachher ein Film zusammenschneiden lässt, oder habt ihr vorher schon eine Art "Drehbuch" geschrieben?

Hauke Wendler: Als wir 2013 die Bilder von den Protesten gegen ein neues Asylbewerberheim in Berlin-Hellersdorf gesehen haben, war uns klar, dass wir unbedingt einen neuen Film zum Thema Flucht und Asyl machen wollten.

Dann stehen erst einmal jede Menge Vorarbeiten an: Recherchieren, lesen, planen, lange Vorgespräche mit möglichen Protagonisten. Das dauert. Aber da entscheidet sich erst, ob ein Film inhaltlich und formal ein gewisses Potential hat oder nicht. Bei den Recherchen sind wir zuerst auf Makka gestoßen, die tschetschenische Mutter mit den sechs Kindern.

Erst danach haben wir nach weiteren Protagonisten gesucht. Wir haben uns bei unseren vorherigen Projekten ja eher auf einzelne Flüchtlinge und ihr persönliches Schicksal konzentriert. Bei ‚Willkommen auf Deutsch' wollten wir auch die Reaktionen der deutschen Bevölkerung einfangen, ihre Sorgen und Ängste, aber auch den Alltagsrassismus, der vielfach herrscht.

Ich glaube, das ist auch das Besondere an diesem Film. Aber was aus so einem Projekt wird, hängt stark vom Zufall ab. Von den Menschen, mit denen man dreht, davon, wie weit sie sich öffnen. Da ist auch eine Menge Glück im Spiel.

GWR: Wie habt ihr die Stimmung auf der gezeigten Bürgerversammlung, auf der gegen die Flüchtlings-Unterbringung in der Gemeinde Appel polemisiert wird, erlebt? Gehen diese Leute zur Not los und werfen Brandsätze oder sind das eher Maulhelden?

Hauke Wendler: Das ist Quatsch. Von den Menschen, die wir in Appel kennengelernt haben, wirft keiner einen Brandsatz. Da bin ich mir absolut sicher. Aber diese Stimmung während der Bürgerversammlung, diese aufgeladene Masse, aus der heraus sich Einzelne nach vorne wagen und böse werden, das hat schon etwas Bedrohliches. Aber auch darum geht's bei unserem Film ja: Wir wollen, dass diese Positionen vom Stammtisch an die Öffentlichkeit kommen. Um darüber zu reden und zu streiten, vor allem, damit sich all diejenigen ein Bild machen können, die unentschieden in der Mitte stehen. Wir müssen diesen Diskurs führen, um endlich zu besseren, nachhaltigen Gesetzen zu kommen. Alles Andere baden nur die Flüchtlinge aus, die in ihrer Not keine Alternativen haben. Denen nutzt eine Zuspitzung der Diskussion nämlich kein Stück.

GWR: Meistens verändern solche "Reformen" die Verhältnisse eher zu Ungunsten von Flüchtlingen und Asylsuchenden. Warum bist du optimistisch, dass das diesmal anders sein könnte?

Hauke Wendler: Ich bin da keinesfalls nur optimistisch. Das wäre naiv. Aber ich habe in den vergangenen 20 Jahren so viele Flüchtlinge und Migranten in Extremsituationen kennengelernt, dass ich meine politische Einschätzung der Lage nur bedingt von ihren persönlichen Interessen trennen kann. Wenn es jetzt zum Beispiel erste Erleichterungen im Bereich der Residenzpflicht oder der Arbeitsmöglichkeiten für Asylbewerber gibt, dann ist die Welt dadurch keinen Deut besser geworden.

Aber Larisa, die 21-jährige Tschetschenin aus unserem Film, darf aufgrund der neuen Regelungen jetzt in einem Altenheim im Nachbarort arbeiten. Da verdient sie kaum Geld, aber das ist so viel besser, als den ganzen Tag ohne Beschäftigung in der Bude herum zu hocken und vor innerer Anspannung die Wände hochzugehen. Das kann ich nicht ignorieren.

Gleichzeitig ist es inakzeptabel, dass diese Gesetzesänderungen derzeit nur vor dem Hintergrund von Wirtschaftsinteressen diskutiert werden, die auf billige und willige Arbeitskräfte abzielen und auf mehr nicht. Und da gilt es auch, Menschenrechte ganz grundsätzlich zu verteidigen.

GWR: Wenn man die Hilfesuchenden einerseits und die Wutbürger und Angsthaber andererseits persönlich kennenlernt und sie begleitet, wie schafft man es da, neutral zu bleiben und einen so verständnisvollen Film zu machen?

Hauke Wendler: Die Arbeit an so einem Film ist für uns auch eine Reise ins Ungewisse. Das empfinde ich persönlich als großes Glück, dass wir dabei immer wieder Menschen kennenlernen, denen ich sonst nie begegnet wäre. Aber das ist natürlich auch Stress. Als etwa Larisa akut von Abschiebung bedroht war, bin ich vier-, fünfmal die Woche zu der Familie gefahren. Und da erinnere ich mich an lange und wütende Fahrten auf der Autobahn. Da hat man als Autor natürlich auch Angst, gerade um diese Kinder. Andererseits habe ich kein emotionales Problem damit, ein langes Interview mit Hartmut Prahm von der Bürgerinitiative in Appel zu machen, der ja offen gegen das geplante Asylbewerberheim polemisiert. Das ist unser Job: Zuhören, nachfragen, verdichten. Und dabei versuchen, auch diesen Menschen gerecht zu werden. Wir reden ja schließlich nicht mit Nazis, das würde mich kein Stück interessieren.

Wir reden mit Leuten aus der bürgerlichen Mitte, deren Meinungen leider für viele andere in Deutschland stehen. Und die gilt es möglichst objektiv abzubilden. Das versprechen wir den Leuten vorab und daran halten wir uns. Auch weil es im Film eine viel stärkere Wirkung hat, wenn der Zuschauer sich sein eigenes Bild machen kann.

GWR: Kay Sokolowsky schrieb zuletzt in "konkret" über die Pegida-Anhänger: "Sie möchten keinem der herkömmlichen Lager zugeordnet werden, weil sie es auf eine bürgerliche Klientel absehen, die zwar faschistisch denkt, sich aber für demokratisch hält." Damit dürfte er solche Leute wie die Appeler Wutbürger in eurem Film meinen, die Angst um ihre Töchter haben, weil "diese Ausländer" ihre "männlichen Bedürfnisse" an ihnen befriedigen könnten, oder dem Vertreter des Landkreises Harburg erklären, er könne seine "Neger" wieder mitnehmen. Was würdest du Sokolowsky entgegnen?

Hauke Wendler: Natürlich ist es wichtig, bei Protesten wie Pegida zu schauen, welche politischen Interessen dahinter stehen. Ich würde diese Analysen aber nicht pauschal einer größeren Menschengruppe wie zum Beispiel allen Bewohnern des Dorfes Appel überstülpen wollen. Das ist zu plump und bringt niemanden weiter, schon gar nicht die Flüchtlinge.

Das Schöne am Beispiel Appel ist, dass sich am Ende der Teil der Dorfbewohner durchsetzt, der eine kleinere Gruppe von Asylbewerbern aufnehmen und unterstützen möchte. Da wird Deutschunterricht gegeben, da werden private Fahrdienste eingerichtet. Letztlich sind dadurch persönliche Kontakte entstanden, mit mehr Verständnis füreinander. Das finde ich gut.

GWR: Das Thema hat ja eine gespenstische Aktualität. Wie bewertest du die ausländerfeindlichen Bewegungen in Deutschland?

Hauke Wendler: Ich habe Anfang der 90er Jahre begonnen, mich mit dem Thema zu beschäftigen und wenn ich die Stimmung heute mit diesen Jahren vergleiche, dann bin ich froh, dass sich etwas bewegt hat. Wir haben auch in Tespe und Appel immer wieder Menschen getroffen, die Flüchtlingen helfen wollen. Das ist für mich ein klarer Unterschied zu den 90ern.

Andererseits schaffen Pegida und ähnlich dumpfe Veranstaltungen ein Klima, in dem viele ihren rassistischen Vorurteilen plötzlich freien Lauf lassen. Davor habe ich Angst: Dass die Situation an einzelnen Orten wieder eskaliert.

GWR: Besonders treffend in eurem Film ist ja, dass einige Flüchtlinge, deren Unterbringung in einem ehemaligen Altersheim von einer Bürgerinitiative verhindert wird, schließlich ausgerechnet im "Deutschen Haus" unterkommen. Was würdest du sagen, ist das Spezifische am deutschen Umgang mit Hilfesuchenden?

Hauke Wendler: Ja, das ‚Deutsche Haus', auch so ein Glücksfall für den Film. Wenn es den Namen des Hotels nicht schon gegeben hätte, hätten wir ihn eigenhändig dranschrauben müssen. Aber zurück zur Frage: Ich glaube, dass es in fast allen Gesellschaften Fremdenfeindlichkeit und Rassismus gibt, überall auf der Welt. Das ist ein so dumpfes Gefühl, an das sich wahnsinnig leicht appellieren lässt, da kann jeder Inländer gleich mitmachen. Was mich in Deutschland immer wieder schockiert, ist der Fanatismus, mit dem etwa die Ausländerbehörden hier ihrer Arbeit nachgehen. In unserem letzten Dokumentarfilm ‚Wadim' wurde ein 18-jähriger nach jahrelangen Duldungen, die oft nur für wenige Tage verlängert wurden, in ein ihm fremdes Land abgeschoben und aus seiner Familie herausgerissen. Mitten in der Nacht, nachdem sich die Mutter nebenan in ihrer Not gerade den Arm mit einem kaputten Marmeladenglas zerfetzt hatte.

Welche Behörde denkt sich solche Einsätze aus? Und wer zieht sie vor Ort durch? Und fahren die dann abends auch nach Hause und lesen ihren Kindern Pixi-Bücher vor? Da würde ich mir erhoffen, dass dieses Land endlich zu der Einsicht kommt, dass wir seit 20 Jahren ein Einwanderungsland sind und dass wir uns dieser Realität endlich stellen müssen. 51 Millionen Menschen sind weltweit auf der Flucht. Da können wir uns über 200.000 Asylbewerber im Jahr 2014 nicht beschweren. Das muss dieses Land besser hinbekommen.

GWR: Wie läuft das Projekt der Kinovorführungen? Werden die Filme nur gezeigt oder gibt es Diskussionsveranstaltungen dazu?

Hauke Wendler: Nachdem wir anfangs ganz schön kämpfen mussten, läuft die Vorbereitung des Kinostarts jetzt sehr gut.

Wir haben einen kleinen, ganz großartigen Filmverleih in Hamburg, der sich da voll reinhängt. Außerdem gibt es ein breites Netz von Gruppen und Initiativen, die sich zum Thema und auch zu dem Film engagieren, von Pro Asyl bis zur Interkulturellen Woche.

Wir konnten schon gut 40 Kinovorführungen mit anschließender Podiumsdiskussion fix machen und ich hoffe, es werden noch mehr. Wer den Film bei sich im Kino zeigen lassen und danach diskutieren möchte: Anrufen. Wir freuen uns!

Erschienen in Graswurzelrevolution (GWR) 397, März 2015

"Wir werden immer mehr sein als die"

Während in Köln, München und andernorts nach Aufkommen der Dresdner Pegida-Bewegung sehr schnell Gegendemonstrationen organisiert wurden, hat sich in Frankfurt lange nichts getan. Die Gruppe „No Fragida“, die auf Facebook für eine geplante Gegendemonstration bereits über 16.000 Zusagen sammeln konnte, arbeitet gemeinsam mit anderen daran, dies zu ändern. Eine der Initiatorinnen der Gruppe und Mitglied der Partei die Linke, Annette Ludwig erklärt in der GWR, wie die Proteste jetzt organisiert werden und wie sie mit Kritik daran umgeht.

GWR: Warum gab es so lange keine Anti-Pegida-Aktionen in Frankfurt?
Ludwig: Wir wollten sehr breit gegen Fragida, so heißt das in Frankfurt, aufrufen. Dabei war es uns wichtig, alle Bündnispartner an einen Tisch zu bekommen. Es haben sich schließlich 60 verschiedene Gruppen zusammengefunden. Wir waren im übrigen auch schon zuvor aktiv.
GWR: Welche Aktionen waren das?
Ludwig: Wir haben im Grunde verhindert, dass sich Fragida überhaupt konstituieren kann. Wir sind mit 300 Leuten zu der Lokalität „spaziert“, in der sich die Gruppe getroffen hat, wo wir beobachten konnten, wie neben dem AfD-Mann Brill ein gewisser Herr Jagsch (gemeint ist Stefan Jagsch, der stellvertretende Landesvorsitzende der NPD, d. Red.) am Tisch saß, was wir später bekannt gemacht haben. Außerdem haben wir eine Demo in Frankfurt blockiert, auch mit rund 300 Leuten. Damit war Fragida Geschichte. Die linke, antirassistische Szene in Frankfurt ist zu stark, die politische Kultur zu offen und international, als dass Nazis hier Fuß fassen können und dabei soll es auch bleiben.
Jetzt bildet sich offenbar ein neues Bündnis, das im Frankfurter Umland zu mobilisieren versucht. Das sehen wir aber gelassen, wir werden in Frankfurt jederzeit mehr sein als die.

Hans-Peter Brill, bis dahin Mitglied des Vorstandes der AfD Frankfurt und Initiator von „Fragida“, trat nach Bekanntwerden seiner Kooperation mit dem NPD-Vertreter aus der AfD aus, nachdem der Landesverband der AfD ihm mit einer „Ordnungsmaßnahme“ gedroht hatte. Brill erklärte, er habe nicht gewusst, dass bei dem Fragida-Vorbereitungstreffen ein NPD-Vertreter dabei war. Das habe er erst später erfahren. Schließlich deutete er an, die Demonstration in Frankfurt aufgrund der starken Gegenproteste gar nicht erst anmelden zu wollen.

GWR: Wie setzt sich das Bündnis gegen Fragida zusammen?
Ludwig: Die tragende Gruppe ist das Römerbündnis, ein Zusammenschluss des DGB, des Jugendrings Frankfurt sowie der jüdischen, katholischen und evangelischen Gemeinden in Frankfurt, das sich in Reaktion auf aufkommende Nazistrukturen bereits in den 80er Jahren gegründet hat. Es beteiligen sich aber auch Migrantenverbände und andere an unserem Aufruf. Leider haben sich die linken und antifaschistischen Gruppen in Frankfurt an dem Aufruf nicht beteiligt, werden unsere Aktionen aber zum Teil ebenfalls unterstützen.
GWR: Gerade von einigen Antifa-Gruppen kam ja auch zuletzt die Kritik, dass man sich bei solchen Massendemonstrationen mit denen gemein macht, die mit ihrer Politik in den letzten Jahren die derzeitigen Zuständen mit herbeigeführt haben und dass sie sich nicht neben der CDU, der katholischen Kirche und der Bildzeitung auf gemeinsamen Demos wiederfinden wollen. Auch die Beweggründe für viele, die da mitlaufen werden kritisiert. Denen geht es demnach nicht um Antifaschismus, die machen sich nur Sorgen um wegbleibende Touristen.
Ludwig: Diese Kritik ist berechtigt, und man muss durchaus aufpassen, mit wem man was macht. Wir wollten aber erst einmal ein großes Bündnis schmieden für eine große Demonstration und dann auch Raum lassen für Veranstaltungen, bei denen die beteiligten Gruppen ihre auch kritischen Standpunkte einem größeren, interessierten Publikum näher bringen können. Es ist auch für mich ungewohnt, mit denen zusammenzuarbeiten, die ich sonst politisch bekämpfe, aber in der aktuellen Situation haben wir entschieden, dass uns das gemeinsame Zeichen, das wir setzen wollen, wichtiger ist, zumindest für einen gemeinsamen Termin.
GWR: Aber sollte das nicht auch dahingehend mit Inhalt gefüllt werden, dass man solche symbolischen Termine mehr nutzt, um eigene Inhalte zu transportieren?
Ludwig: Es gibt bereits Veranstaltungen in diese Richtung. Dort treffen sich dann Vertreter linksradikaler Spektren etwa mit Funktionären aus DGB-Gewerkschaften und fangen an, miteinander zu diskutieren. Solche politischen Termine sind in Frankfurt derzeit geradezu überlaufen, das Spektrum derer, die da teilnehmen, geht von 18 bis 60 Jahren, von grün bis autonom, da ist alles vertreten. So etwas gab es selten.

Erschienen in Graswurzelrevolution (GWR) 396, Februar 2015
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